Reframing Bernhard
Thomas Bernhard oder die Zurichtung des Menschen
Von Christina Bacher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer es nicht zum Berliner Thomas Bernhard-Kongress anlässlich seines 10-jährigen Todestages geschafft hat, kann nun die Vorträge aus dem Jahre 1998 im Band "Die Zurichtung des Menschen" nachlesen. Alexander Honold und Markus Joch geben mit dem 257 Seiten starken Band einen Beitrag zur Bernhard-Forschung heraus, der größtenteils eine jüngere Generation von Wissenschaftlern zu Worte kommen lässt. Den Autorinnen und Autoren der 23 Aufsätze gehe es - so ist im Vorwort der Herausgeber nachzulesen - um "die Gegenwart Bernhards im kulturellen Leben und im öffentlichen Diskurs zwischen den Spannungspolen Kunst und Politik".
Zwar verharren die meisten Aufsätze eher im wissenschaftlichen Elfenbeinturm, gehen dafür aber beachtenswerterweise über konventionelle Themen der Bernhard-Forschung hinaus. So lassen sie die "Übertreibungskunst" weitestgehend links liegen, streifen das Bild des "Geschichtenzertrümmerers" nur kurz und flanieren an der negativen Weltsicht der Figuren samt ihres Autors vorbei. Das Verbindende der hier versammelten Forschungsansätze scheint die Möglichkeit einer denkbaren Neustrukturierung der Lektüre - im Sinne Paul Watzlawiks eines "reframing" des Werkes zu sein. So geht Ulrich Dronske den Versuch an, alle Dramen als "ein einziges Stück aufzufassen": mit der Aussage, dass deren Aufbau und Sprache augenscheinlich gleich seien, die Inhalte samt Figurenkonstellation ebenfalls. Obwohl eine Entwicklung des Autors in vielerlei Hinsicht von dem Text "Der Schweinehüter" (1968) bis hin zur "Auslöschung" offensichtlich ist, schließen sich zahlreiche Autoren der so genannten Ein-Buch-These an. Darunter auch Alfred Pfabigan, der jedoch abschließend richtig feststellt, dass man so den bedeutenden Aspekten des Werkes nicht gerecht würde. Ganz sicher steckt in "Frost" ein anderer Gehalt als in "Der Atem", werden in "Der Theatermacher" andere Hintergründe angeführt als in "Heldenplatz". Auch einem knorzigen und zeitlebens unleidigen Autor - der einst behauptete, er selber würde seine Bücher nicht mehr auseinander halten können - muss man dies zugute halten. Während sich der erste Teil des Tagungsbandes unter der Überschrift "Markierungen" Interpretationen mit erhöhtem Konfliktpotential annimmt, fragen die Autoren unter dem Aspekt "Haltungen" nach dem Habitus der Figuren Bernhards. "Sprach-Spiele" diskutiert die performativen Aspekte im Werk des Artisten Bernhard, vom Schweigen über die Sprache des Helden bis hin zu der empfehlenswerten Studie von Andreas Herzog über die Verwendung von Sprach- und anderen Masken. "Zurichtungen" stellt eine alte Debatte in neues Licht: die Verbindungen des Autors zum antipsychiatrischen Diskurs. Ernst Leonardy interessiert sich für den Aspekt des Todes nur am Rande, in erster Linie geht es ihm um den von Bernhard oft thematisierten zeremoniellen Umgang mit dem Leichnam vor der Beerdigung. "Rückwendungen" schließlich sieht sich als Retrospektive auf die Jugend des Autors im Werk bis hin zu einer Untersuchung des wenig bekannten Bernhard-Textes "Der Hutmacher" aus dem Jahre 1968.
Das Ziel der Tagung und der im Nachhinein nochmals überarbeiteten Beiträge, nämlich die "Vielstimmigkeit" in der Bernhard-Forschung aufzuzeigen, ist erreicht worden. Thomas Bernhard himself mit seiner Abneigung für Germanisten hätte den Titel sicherlich umgedichtet in "Die Zurichtung des Bernhard". Aber der war ja sicherheitshalber schon "zehn Jahr' unter die Erd'".
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