Das Paar als Kunstwerk

Renate Berger über Künstlerpaare im 20. Jahrhundert

Von Claudia SchmöldersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Schmölders

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht erst Christo und Jeanne-Claude haben gezeigt, was man zu zweit zuwege bringen kann, ist man bloß einig und ausdauernd und hinreichend begabt. Aber avantgardistische Kunstpaare werden noch nicht lange beobachtet. Ende der siebziger Jahre und noch einmal 1990 widmete die Zeitschrift "Kunstforum International" ihnen zwei eigene Hefte. Parallel dazu gab es seit den achtziger Jahren analytisch besorgte Studien zur Lage der Liebe überhaupt. Meinungsführer (Beck/Gernsheim) fixierten das "ganz normale Chaos" der Szene: wo einst Liebe war, soll konsumverschworene Partnerschaft werden; die kapitalstarke Individualisierung beider Geschlechter ist Wunsch und Bedingung zugleich für eine funktionierende zweite und dritte Moderne. Der (kultur-)industrielle Wurm im Weichbild gesellschaftlichen Lebens? Walter Grasskamp sähe es so. Denn Weniges passt in die Szene derartiger Konditionierungen besser als das kreative Paar, das sich selbst als Produzent von (verkäuflicher) Bedeutung erfindet, jeden Partner marktmäßig dressiert, gleich weit entfernt von Kindersorgen wie von verstörendem Sexus und bürgerlichem Establishment, das doch als Käufer umworben wird. Eine Utopie mit lange verborgenem Janusgesicht und qualvollem Werdegang. 1993 erschien in London eine Anthologie zum Thema "Creativity & Intimate Partnership": dreizehn Studien zu historischen Paaren aus Kunst und Literatur. Die beiden Herausgeberinnen Chadwick und Courtivron legten eine gemäßigt feministische Messlatte an ihre Objekte. Produktion statt Reproduktion war mindestens ein Movens dieser Partnerschaften, hießen sie nun Claudel und Rodin, Delaunay, Kahlo und Rivera, Jasper Johns und Robert Rauschenberg. Fast überall war die Kooperation erkämpft, manchmal erst im Rückblick als Härte erkannt, oft um den Preis eines bequemen Lebens oder des Lebens überhaupt, doch immer im Clinch mit den Lüsten und Geltungsansprüchen von innen und außen. Wie viel einfacher haben es da berühmte Brüderpaare wie die Grimms oder Arbeitsgemeinschaften ohne Reproduktionsbegehren.

Dieser Wertekonflikt ist nicht ganz einfach zu analysieren. Denn das Paar bildet einen sozialen Sonderfall, nicht nur quantitativ. Wer die Paarszene betritt, findet oder fand sich jedenfalls bis vor kurzem noch in einem weitgehend rechtsfreien Raum, und dies mitten in der Gesellschaft. Wird dieser Raum nicht von Liebe und Takt erfüllt, so von Gewalt, denn aus Gleichgültigkeit zieht man nicht zusammen. Die Frage des Raumes stellt sich auch physisch. Liebe und Quadratmeter Raum stehen im umgekehrt proportionalen Verhältnis; je enger das Paar wohnen muss, desto mehr Liebe bräuchte es und desto weniger hat es meist. Die Geschichte der romantischen Liebe könnte auch davon handeln. Die zähen Kämpfe dagegen, die in den USA um Rechtlichkeit im Paarverhalten ausgefochten werden, sprechen von einer andern Geschichte. Sie beweisen, dass mit der Liebe kein Staat zu machen und die Entwicklung der Partner zu (selbständig wirtschaftenden) Subjekten unerlässlich ist; mindestens in einer völlig außengeleiteten Gesellschaft. Denn erst so sind beide in Rechtsräumen angesiedelt, können Pflichten einklagen und Rechte ausüben.

Auch bei den Künstlerpaaren, den romantischen Urbildern, stellt sich die kernpolitische Frage nach den Machtverhältnissen und Aufgabenteilungen: Wer kümmert sich um die Kinder in guten wie in schlechten Zeiten, wer wäscht, wer kauft ein, wer erhält Zeit und Raum für sich alleine, wer das Geld, wer signiert die Werke, wann endlich tut und erhält jeder der beiden von allem etwas, und wann endlich nimmt die Kunstgeschichte das weibliche Werk zur Kenntnis, statt selber noch in der Rezeption die patriarchalen Muster zu reproduzieren. Diese Heuristik muss wohl noch immer gelehrt werden. Renate Berger, Kunsthistorikerin an der Hochschule der Künste in Berlin (heute: Universität der Künste), Vorkämpferin für die gerechtere Sicht auf "Malerinnen im 20. Jahrhundert" (1982), tritt mit ihrem Paare-Band noch einmal auf den Parcours feministischer Sorge. Denn so kompatibel die neue Legende vom produktiven Paar für die (Waren-)Gesellschaft von heute auch ist, in keiner Konstellation haben sich patriarchale Muster offenbar hartnäckiger gehalten als in der Künstlerehe. Ausnahmen wie das Ehepaar Modersohn bestätigen nur die Legende. Diese handelt vom einsamen Genie, das in Wahrheit ganze Frauengruppen zwecks Werkschaffung um sich schart und bei Beschränkung auf eine Frau diese multipliziert: zum Modell, zur Muse, zur Sekretärin, Haushälterin, Mutter, Wirtschafterin und Nachlassverwalterin macht (vgl. Charlotte Behrend-Corinth). So oder ähnlich finden wir es in Deutschland, in Japan, in Russland, in den Vereinigten Staaten und bei den Franzosen, und hätte es der Verlag erlaubt, wäre sicher noch ein Kapitel über Italiener und Spanier zustande gekommen. Die Übersicht ist aber auch so reichhaltig, das aufwendige Suchen nach weiblichen Nachlässen beeindruckend, etwa zu Lucia und László Moholy-Nagy, Dora Maar und Picasso, Leonora Carrington und Max Ernst, die Goncarova und Michael Larionov, Aleksandr Rodcenko und die Stepanova, Georgia O'Keeffe und Alfred Stieglitz und vielen anderen.

Mit jedem dieser Paare im Blickwinkel dieses Buches verbinden sich Frauenkämpfe um Eigenkreativität und Anerkennung, welch letzterer immerhin selbst die Frankfurter Schule vor einigen Jahren das Wort Liebe nicht mehr versagt hat (Axel Honneth). Mit jedem dieser Paare aber wirft auch die Kunst selber ihr Los. Bergers Band fragt ausdrücklich nach dem "Paar im Bild" und folgt damit den kunsttheoretischen Prämissen der Vorurteilsbildung. Herauskommt, dass gerade hier ganz geschlechtsspezifisch agiert wird: der Mann stellt das Paar im Bild dar, die Frau räsonniert mit Worten darüber, schreibt Tagebücher, Erinnerungen und Romane. Und sicher mit Recht, denn im Bild findet die Frau sich ja seit Anfang der Malerei nur verklärt, nicht anders als die Diva in der Arie der großen Oper; wie soll sie sich also im Bild realistisch finden. Und folgerichtig ist in diesem reinen Autorinnen-Buch auch nur etwa ein Viertel der rund 160 gezeigten Bilder mit dem Paarmotiv befasst. Als Rarität werden hier (erstmals?) die Paarbilder der Studentin Hanna Nagel aus den späten zwanziger Jahren gezeigt, allesamt frech, nachdenklich und illusionslos das Geschlechterverhältnis bezeichnend; und deren Gegenbild, ebenfalls Rarität, die beiden hinreißend zärtlichen Fotos von Max Ernst und Leonora Carrington.

Natürlich schafft die Lektüre Fragen. Funktionieren wissenschaftliche Paare wirklich signifikant besser als Künstlerpaare? Und homosexuelle besser als heterosexuelle? Und hätte die Frau ohne Emanzipationsdruck den Mann als Modell so verklärt wie er seinerseits sie? Und wenn die Frau als Muse verschwindet - ändert sich dann die Kunst? Sind Installationen und "land art" Folge von artistischer Partnerschaft? Und wenn die Frau aufsässig wird - schadet es männlicher Kunst? Für die Literatur ist Ähnliches konstatiert worden; Dichter von dichtenden Frauen bedrängt, schreiben anders, womöglich schlechter, wenn sich das Paar nicht überhaupt in Konkurrenzdramen aufreibt, vergleiche die Studie über "Schreibende Paare" von Gerda Marko. Renate Berger und ihre Autorinnen wagen keine Prognose. Immerhin schließt der Band mit Ausblicken auf Paarungsmodelle von heute, den Klon am Horizont der Phantasmen. Im Sinnbild des Zwillings, heißt es nun, arbeiten Paare wie "Twin Gabriel", "Bigert & Bergström", "Christine & Irene Hohenbüchler" und viele andere im Gefolge der älteren "Gilbert & George", "Marina Abramovic/Ulay", "Eva & Adele", "Pierre & Gilles" und so fort. Der Zwilling hat in der Tat eine kunsthistorische Tradition. Er erinnert an die vielen Doppelgänger im Bild, besonders im Selbstbild. Er ist eine Chiffre des Narziss.

Die siamesische Lösung, die am Ende herauskommt - etwas zu wörtlich mit einem real verwachsenen Paar im Bild - denkt nicht mehr laut an ein Liebes- oder Elternleben. Sie evoziert, was der Markt verlangt: ein von wilden Kindern, unordentlichen Lüsten und Anwandlungen gemeiner Konkurrenz gereinigtes kollegiales Produzieren und eher spielerisches Zusammenleben. Gewiss nicht ohne Charme und Bedeutung, und allemal klug. Denn zu zweit lebt es sich gerade auch auf dem Markt sicherer als allein. Derartige Paarbilder entschärfen zudem den Titel des Buches: "Liebe Macht Kunst" - denn Freundschaft macht Kunst ohne groß geschriebenes M. Aber macht sie wirklich Kunst - oder doch eher (Kunst-)Gewerbe? "Was viele begabte Frauen leisten und werden könnten, wenn sie häufiger die Chance hätten, auf talentierte, aber menschlich unkomplizierte Partner zu treffen" - diesen Stoßseufzer äußern beide Geschlechter vermutlich täglich. Solch ein Paar im avantgardistischen Bild dürfte zur Karikatur werden. Aber Leben und Kunst stehen in diesem Diskurs gnädig weit auseinander.

Titelbild

Renate Berger (Hg.): Liebe Macht Kunst. Künstlerpaare im 20. Jahrhundert.
Böhlau Verlag, Köln 2000.
455 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 341208400X

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