Quatschgewerbe
Rainer Wochele erzählt von den Psychomechanismen der Macht
Von Eva Leipprand
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs ist wieder salonfähig geworden, Romane über Politik zu schreiben. Und das ist gut so. Denn auch wenn man heute den Politikern und ihrem Gewerbe nichts als Verachtung entgegenbringt: sie sind keinesfalls nur Akteure in einer Vorabendserie, die wir abschalten können, wenn's zu langweilig wird. Sie sind die Mächtigen, die unseren Alltag und unsere Zukunft bestimmen.
Vor wenigen Jahren zeigte uns Manfred Zach mit seinem Lothar-Späth-Schlüsselroman "Monrepos", wie es in den Schaltzentralen der Macht zugeht. Rainer Wocheles neues Buch ist nicht nur im gleichen Verlag erschienen, sondern auch in der gleichen Südwestecke unserer Republik angesiedelt, zeitlich etwas später allerdings, in den frühen neunziger Jahren, als in Stuttgart eine Große Koalition aus CDU und SPD regierte. Sein Gerd F. Rauschenberg, 68er und ehemals entschiedener Atomkraftgegner, erinnert unübersehbar an Harald Schäfer, den Umweltminister eben jener Großen Koalition, der, keineswegs der Schlimmste seiner Art, sich mit der fragwürdigen Dauerbetriebsgenehmigung und den noch fragwürdigeren Sicherheitsstandards im Kernkraftwerk Obrigheim herumschlagen musste. Wocheles Interesse gilt dabei weniger dem Räderwerk der Macht, als seiner Wirkung auf die Menschen, die sie ausüben - der fast zwangsläufig sich einstellenden déformation professionelle. Die findet ihren Ausdruck vor allem in der Sprache - der "Faktenverschiebemaschine", dem ständigen Schönreden, Umdeuten, Anpassen. Das titelgebende Mädchen nennt Politiker "Quatschgewerbetreibende": "Ihr schneidet das Denken von der Tat ab." Der Minister wird aber nicht nur mit der Direktheit dieses Mädchens konfrontiert, einer lebensfrohen Abiturientin, sondern auch mit der Naturgewalt des Wildschweins, eines urigen Keilers, der, vom Überfluss der Zivilisation angelockt, aus den umgebenden Wäldern über die Grillplätze und Ausfallstraßen bis in die villenbesetzten Stuttgarter Hänge vordringt und dort am Ende vom Minister mit roher technischer Gewalt zur Strecke gebracht wird. Das Mädchen, entschlossen, Rauschenbergs glatte Politikerschale aufzubrechen und Wort und Tat wieder zusammenzubringen, unterzieht ihn einer harten, zwischendurch lebensgefährlichen Kur, und das so erfolgreich, dass sich die beiden näher kommen als erwartet. Nur für kurze Zeit allerdings, dann - der gewalttätige Showdown am Ende macht es deutlich - verschanzt sich Rauschenberg wieder in den Psychomechanismen der Macht. Vielleicht kann man ja in der Politik gar nicht anders überleben. Ein Blick auf die Regierungsgrünen heute scheint dies zu bestätigen.
Der erfahrene Zeitungsmann Wochele hat diesen Roman mit viel Insiderwissen geschrieben und anschaulich in Stadt und Landschaft verankert. Der Stil, mit Stuttgarter Schwäbisch in homöopathischen Dosen versetzt, ist variabel im Ton; feuilletonistisch sprießender Wortreichtum schafft immer wieder Distanz zum Geschehen. Kapitelüberschriften à la Erich Kästner spiegeln gewitzt Naivität vor, eine Leichtigkeit, der auch eine omnipräsente Ironie dient. Nie allerdings werden die Figuren der Lächerlichkeit preisgegeben. Dazu ist dem Autor die Sache zu ernst.