Ein Sommerstück

Charles Simmons erzählt von Liebe und Tod

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits der erste Satz dieses kleinen Romans hat es in sich: "Im Sommer 1963 verliebte ich mich und mein Vater ertrank." Es ist ein Satz, der in nuce schon mehr enthält, als man von einer Novelle fordern und erwarten würde, nämlich Spannung und Perspektive, unerhörtes Ereignis und Wendepunkt. Dieser Satz belegt den Leser mit Beschlag, lässt ihn nicht mehr los, fesselt ihn an die Geschichte Michaels, seines Vaters und seiner ersten Liebe Zina, die, wie wir erfahren, lange schon zurückliegt. Michael erzählt sie aus der Retrospektive, er ist heute älter als sein Vater damals war, in jenem Sommer, der sein Leben verändert hat. Gleichsam unschuldig klingt sein erster Satz, als sei der Vater von selbst ertrunken, und er klingt zugleich wissend, als lasse sich ein solcher Satz nicht sagen ohne Reife, ohne Lebenserfahrung, ohne Abgeklärtheit.

Mit der Lakonie dieses Einstiegs wird auch weitererzählt. Ort der Handlung ist Bone Point, eine kleine Insel vor der Ostküste Amerikas. Dort hat Michaels Familie seit Großvaters Zeiten ein Sommer- und ein Gästehaus. Und die Gäste sind in diesem Jahr die 20-jährige Zina und ihre Mutter, Mrs. Mertz. Michaels Vater hat die Feriengäste dort einquartiert, und er hat sich offenbar etwas dabei gedacht.

Michaels Vater Peter ist für seinen Sohn ein guter Kumpel, nur etwas sorglos vielleicht: einmal geraten sie in Lebensgefahr, weil er die Gezeiten falsch eingeschätzt hat und mit Michael aufs offene Meer hinausgezogen wird. Im Augenblick der Gefahr hat Michael das Gefühl, sein Vater werde ihn aufgeben und sich allein zurück ans Ufer kämpfen. Michaels Mutter hat Anlass, auf ihren Mann böse zu sein, auch eifersüchtig zu sein, wie sich herausstellt. Zur Familie gehören noch ein Hund, Blackheart, und ein Boot namens Angela. Angela, ein solider Segler von sieben Meter Länge, ist schwer gebaut, aber leicht in der Handhabung. Sie lässt sich auch von stärkeren Böen nicht aus der Ruhe bringen und sieht es einem nach, wenn man nicht immer Herr der Lage ist.

Wie alles in diesem Mikrokosmos, der auf den Verlust der Unschuld und auf den Tod zuläuft, ist auch Angelas Charakterisierung von höchster Bedeutung. Denn auf dem Boot wird sich etwas wiederholen, was dem Großvater vor Jahren einmal passiert ist, als er den Point umrunden wollte: "Der Mast traf ihn am Kopf, und er wäre wohl ertrunken, wenn ihn nicht ein Patrouillenboot entdeckt hätte."

Charles Simmons (geb. 1924) ist ein behutsamer, ja leiser Erzähler. Sparsam setzt er die Signale, legt Spuren aus, die - wie beiläufig - zur Verdichtung seiner Geschichte beitragen. Er erzählt, als wolle er den Modellfall der Novelle schaffen, indem er mit seiner Geschichte zugleich das Idealbild der Gattung formuliert. Der Leser tut gut daran, auf der Hut zu sein und auch das bescheidenste Zeichen ernst zu nehmen. Michaels Vater, der seiner Frau hin und wieder Grund zur Eifersucht gibt, trägt einmal die junge und hübsche Fotografin Zina an Land - lachend wie ein Bräutigam. In Zina aber hat sich ausgerechnet Michael verliebt, und es dauert lange, bis er begreift, warum er bei ihr nicht landen kann. Henry, ein Galerist aus der Stadt, sagt von Michael, er sei zugleich "unschuldig und wissend". Das charakterisiert ihn in der Tat - als Halbwüchsigen und später als Erwachsenen. Seine Erzählung, laut Fiktion viele Jahre später zu Papier gebracht, hält noch immer diese Schwebe von Unschuld und Wissen, von Schuld und Nichtwissen, die Michaels Denken, Handeln und Erzählen charakterisieren. Und die auch den besonderen Reiz von "Salzwasser" ausmachen, weshalb es falsch wäre, allzu viel von dieser Geschichte zu verraten. Auf dem Buchrücken steht zu lesen, "Salzwasser" sei die Nacherzählung von Iwan Turgenjews Novelle "Erste Liebe". Für ein paar Eckdaten der äußeren Handlung mag das zutreffen, doch um eine Nacherzählung im eigentlichen Sinne handelt es sich nicht. So viel aber lässt sich sagen: Es ist eine Novelle oder ein kleiner Roman, der es mit den großen Russen durchaus aufnehmen kann.

Titelbild

Charles Simmons: Salzwasser. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck.
Verlag C.H.Beck, München 1999.
136 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3406452914

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch