Ingenium des Spießers

Die 387 Häuser des Peter Fritz

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Geschichte klingt abenteuerlich: 1993 machte der Künstler und Ausstellungsmacher Oliver Croy in einem Wiener Trödelladen einen sensationellen Fund - er entdeckte 387 kleine Modellhäuschen, in Müllsäcke verpackt, Freizeitbasteleien aus dem Nachlass eines unbekannten Künstlers offenbar. Architektonische Schmuckstücke im Charme der 50er und 60er Jahre, von mitunter schreiender Scheußlichkeit und Biederkeit. Häuser aus Pappe und Pappmaschee, Tapetenresten, Bunt- und Silberpapieren, Stoffen und Synthetikfasern, d-c-fix-Folien, Schriftproben, Zeitungsschnipseln und ausgewerteten Illustrierten, Kartonagen und Holzabfällen aller Art, Uhu, Holzleim und Tapetenkleister. Häuser ganz verschiedenen Typs, mit seltsamen Proportionen, gewöhnlichen Bestimmungen: Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Villen, Berghütten, Garagen, Bahnhöfe, Kirchen, Amts- und Bürogebäude, Kaufhäuser, Vereinslokale, Schwimmbäder, Pensionen, Hotels, Burgen, Wartehäuschen, Geisterbahnen, Bankgebäude. Garniert und dekoriert mit Modellautos, Plastikbäumchen und anderem Schnickschnack aus der Grabbelkiste.

Dank einer Dia-Sammlung, die den Säcken beilag, konnte das Sommerhaus des 'Künstlers' ermittelt werden, dank einer Nachbarin die Identität des verstorbenen Künstlers selbst: es handelt sich um den Wiener Versicherungsbeamten Peter Fritz (1916-1992). In seiner Stadtwohnung im 5. Gemeindebezirk war Fritz seinem seltsamen Hobby nachgegangen - er hatte, unbemerkt von der örtlichen Kunstszene und vom Kunsthandel gar, hunderte von Häusern gebaut und sich aus Abfällen der Kulturindustrie ein Modellbau-Universum geschaffen.

Erst posthum erkannte ein Künstler das Künstlerische des Unternehmens: Oliver Croy, nachgerade erschlagen von der Fülle und Vielzahl der Modelle, entwickelte die Idee, das Œuvre des Peter Fritz der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die von ihm und Oliver Elser konzipierte Wanderausstellung wurde bereits mit viel Erfolg im Österreichischen Museum für Volkskunde Wien und im Frankfurter Architektur-Museum gezeigt. Derzeit ist sie in Schwäbisch-Hall ("auf diese Steine können Sie bauen") zu sehen.

Wie sich zeigt, haben Croy und Elser ein kleines Wunder vollbracht. Es ist ihnen gelungen, etwas zur Kunst zu erklären, was nie als Kunst gedacht war. Sie haben es erreicht, dass renommierte Häuser das Lebenswerk des Peter Fritz in ihren Räumlichkeiten ausstellen. Sie haben den experimentierfreudigen Kunstverlag Hatje Cantz davon überzeugen können, eine herrlich gemachte Dokumentation aller 387 Häuser vorzulegen und also einen Katalog zu produzieren (mit 1.241 Abbildungen!), der in Bild und Wort das Gesamtkunstwerk Peter Fritz um immer neue Aspekte erweitert. Durch Beiträge von Friedrich Achleitner, Burkhard Spinnen, David Wagner wird der Bereich der schönen Literatur abgedeckt, durch Peter Arlt die Soziologie, durch Bodo-Michael Baumunk die Volkskunde, durch diverse Vertreter die Kunst- und Architekturgeschichte. Gut 35 Beiträge beteiligen sich an der Analyse der so genannten "Sondermodelle" und arbeiten in ihren Kurzbeiträgen das Mögliche und das Unmögliche, das Wahrscheinliche und das Unwahrscheinliche, das Eigenwillige und das Bürgerlich-Konforme der Fritz'schen Entwürfe heraus. Sie alle geben Impulse zu einer eigenen Fritz-Forschung, die noch in ihren Anfängen steckt, aber deren erste Ergebnisse sich bereits sehen lassen können. (Die eigens eingerichtete Website http://www.fritz-forschung.org dient als Anlaufstation und stellt auch Pressematerial bereit.)

Nicht nur der Künstler ist, auch die Ausstellungsmacher sind zu loben. In den letzten Jahren ist ihre Spezies mehr und mehr in den Vordergrund gerückt, hat bisweilen sogar die Künstler verdrängt und statt ihrer die Preise kassiert. Harald Szeemann ist ein illustres Beispiel dafür, Catherine David ein anderes. Auch der Künstler Oliver Croy und der Architekturkritiker Oliver Elser, die sich hier - scheinbar - ganz in den Dienst eines anderen stellen, sind für ihre Arbeit zu würdigen. Sie haben sogar die Idee entwickelt, einzelne Häuser des Peter Fritz durch einzelne Bauherren tatsächlich und in der Wirklichkeit realisieren zu lassen. Die Idee ist frappierend und verblüffend: Denn mit dem, was an unfreiwilligen Fritz-Bauten in der Welt bereits steht, könnte man schon bald eine Peter-Fritz-Weltausstellung im Maßstab 1:1 planen und durchführen. Man könnte schon mal, ganz nach Thomas Bernhards Empfehlung, mit Österreich anfangen.

Titelbild

Oliver Croy / Oliver Elser (Hg.): Sondermodelle. Die 387 Häuser des Peter Fritz.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2001.
480 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3775710310

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