Von der Schattenseite der Welt

Margrit Schribers Erzählungen "Von Zeit zu Zeit klingelt ein Fisch"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich bin einfach herausgefallen. Aber das Schlimmste ist, dass ich nicht einmal weiß, wo ich herausgefallen bin", resümiert die Frau eines Versicherungsvertreters ihr bisheriges Leben - durchaus charakteristisch für viele Figuren in Margrit Schribers elf Erzählungen.

Die Personen wirken seltsam entrückt, aus Raum und Zeit gefallen (selbst wenn Handlungsorte präzise benannt werden), liebenswert deformiert, einige wandeln auf einem schmalen Grat zwischen Realität und Surrealismus.

Margrit Schriber (Jahrgang 1939) stellt hohe Anforderungen an ihre Leser - vor allem in puncto Assoziationsvermögen. Die in Zofingen und in der Dordogne lebende Autorin präsentiert sprachlich präzise formulierte Momentaufnahmen ohne Vorgeschichten, teilweise novellistisch zugespitzte unerhörte Begebenheiten.

Eine Frau steht in einem Museum vor einem Gemälde, das eine maritime Landschaft zeigt, und plötzlich platscht das Wasser aus dem Rahmen. Die vormals stumme Betrachterin steht plötzlich selbst mitten im Bild. An anderer Stelle springt eine Frau aus einem Gemälde heraus, verwandelt sich eine Kunstfigur plötzlich in ein "reales" Wesen. Man muss gewiss ein Faible für Skurrilitäten haben, um diesen Erzählungen, die an die Werke der verstorbenen Adelheid Duvanel erinnern, vorbehaltlos zu folgen. Da Margrit Schriber stets nur Ausschnitte beleuchtet, fällt es bisweilen schwer, eine Plausibilität auszumachen. Die Plots kommen meist unvermittelt daher - in vielen Fällen allein der Inspiration der Autorin und nicht einer stringenten Logik folgend. Im Schaufenster eines Waffengeschäfts bleibt nach einer Invasion gruseliger Insekten nur eine Blutspur und die zersplitterte Brille des Dekorateurs zurück, und in der Titelgeschichte kniet ein Mann am Ufer eines Flusses im Kerzenlicht nieder, um den Fischen sein Herz auszuschütten.

Manchmal geht es aber auch etwas lebensnäher zu. Eine Frau klagt über die allmorgendliche Zeitungsbarriere, die sich beim Frühstück zwischen ihr und ihrem Mann auftürmt, und in der Erzählung "Opernglas" erfahren wir einiges über die brillante Weitsicht einer fast blinden Frau. Doch selbst in diesen Realitäts-Erzählungen dominieren die Defizite, sei es körperlicher oder emotionaler Natur. Margrit Schribers Figuren leben allesamt auf der Schattenseite dieser Welt. Von Mitleid keine Spur, denn die Autorin wahrt eine gehörige Distanz zu ihrem Personal, blickt selbst auf sie wie durch ein "Opernglas". "Es hat keinen Sinn, sich gegen die Bilder im Kopf zu stemmen. Man muss sie über sich ergehen lassen", lässt Margrit Schriber - zutreffend für die vorliegenden Texte - eine Frau beim Betrachten eines Bildes befinden.

Titelbild

Margrit Schriber: Von Zeit zu Zeit klingelt ein Fisch. Erzählungen.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2001.
166 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3312002826

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