Aufklärung und Literatur

Egon Schwarz' Essays über jüdische und österreichische Literatur

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diese Sammlung von literaturhistorischen Essays und Rezensionen des in Wien geborenen, in den USA lehrenden Germanisten Egon Schwarz zeigt in wenigen beispielhaften und anschaulich vorgetragenen Text- und Kontextanalysen das Profil der jüdischen Komponente in jener deutschsprachigen Geisteslandschaft, die durch den Rassenwahn der Nationalsozialisten für immer zerstört wurde. Bei der Darstellung der - an der Literatur ablesbaren - Faktoren des seit dem 19. Jahrhundert fortschreitenden Diskriminierungsprozesses und seiner apokalyptischen Klimax ist Schwarz jeder metaphysischen Überhöhung oder Enthebung in Sphären der Spekulation über die Ursachen fern. An den antisemitischen Texten des 19. Jahrhunderts, von Autoren eines Schlages wie etwa Dühring, Drumont oder Lagarde, aber auch im Vergleich der Darstellung von Juden in französischer und deutscher Literatur liest der Autor bereits die gradweise Absonderung der Juden und die Polarisierung ihres Verhältnisses zu den nichtjüdischen Mitbürgern ab. In genauerer Analyse entnimmt Schwarz den literarischen Stereotypen den Mangel an Toleranz, die Verbohrtheit des christlichen Anti-Judaismus, die Konfusionen des Sozial-Darwinismus, die sozial-psychologische Funktionen des Judenhasses in einer sich krisenhaft und mit hohem Tempo verändernden Welt bis hin zur Entstehung des zu fatalen Resultaten geführten Rassedenkens. In einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Phrase vom "Beitrag" der jüdischen Autoren zur deutschen bzw. französischen Literatur wird hervorgehoben, dass die meisten der als "Juden" klassifizierten Autoren sich als deutsche (oder französische) Schriftsteller verstanden und die Betonung des Jüdischen meist in ausschliessender Absicht benutzt wurde. Bis 1933 ist die deutsche Literatur ohne die schreibenden, lesenden, kritisierenden, distribuierenden jüdischen "Beiträger" kaum hinreichend zu verstehen oder zu analysieren. Gerade bei einem Autor wie Heinrich Heine ist das vielfach untersuchte "Jüdische" nur in unlösbaren Paradoxa zu unterstellen.

Hervorzuheben ist der an den "sensus communis" appellierende Stil der Abhandlungen über Hugo von Hofmannsthal, Marie von Ebner-Eschenbach, Ferdinand Saar, Arthur Schnitzler, Franz Werfel und Rainer Maria Rilke, die ohne Wissenschaftsballast das Wesentliche herausarbeiten, angereichert mit illustrierenden Beispielen und hinführend zu den Kernfragen der gestellten Themen. Freilich schimmert durch diese Objektivität noch ihre historisch bedingte Prägung hindurch und verleiht der Argumentation durch den Hinweis auf ihre Entstehungsbedingung eine noch höhere Überzeugungskraft (sie findet sich ausführlicher dargestellt in Schwarz' außergewöhnlicher Autobiographie "Keine Zeit für Eichendorff" (1979/ 1992). Es sind dies nicht nur Anspielungen auf das Ende der europäischen Judenheit, sondern hier wird die Illusionslosigkeit des engagierten links-liberalen Intellektuellen angesichts der allgemeinen historischen Entwicklung deutlich, die auch jene ob diesen Gegenständen verständliche "Melancholie der Erkenntnis" in den Texten nachvollziehbar macht.

Der andere Themenkreis, der in diesem Band aufscheint, ist die österreichische Literatur (Artmann, Qualtinger, Raimund, Hofmannsthal, Werfel, Schnitzler, Bernhard) - auch dieser eingeleitet durch einen Aufsatz zur Diskussion, was das spezifisch "Österreichische" an dieser Literatur sei. Weiterhin haben die Herausgeber einige der Rezensionen, die Schwarz als langjähriger Kritiker der F.A.Z. schrieb, in den Band aufgenommen. Sie zeigen, mit welchem Sachverstand Literatur in einen historischen Rahmen gestellt werden kann, ohne ihr Gewalt anzutun. Die reflexive Tiefe und das kritische Engagement ihres Autors machen diese Besprechungen zu Trouvaillen innerhalb der literaturkritischen Publizistik und runden hier eine umfassende Edition ab.

Titelbild

Egon Schwarz: "Ich bin kein Freund allgemeiner Urteile über ganze Völker". Essays über österreichische, deutsche und jüdische Literatur.
Herausgegeben von Dietmar Goltschnigg und Hartmut Steinecke.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2000.
282 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3503049711

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