Dichtung und Wahrheit

Peter Hacks wendet sich gegen die Romantik

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ein begeisterter Hacks-Leser dem noch unentschlossenen Rezensenten empfahl, den Essay "Zur Romantik" doch einfach als Dichtung zu lesen und sich durch eigenwillige Bezüge zur Realität nicht weiter stören zu lassen, schien die geeignete Wertungskategorie gefunden. Dem Dichter steht ja frei, Vergangenheit ein wenig umzuschreiben und den historischen Stoff so anzuordnen, wie es seinem gegenwärtigen Interesse entspricht. Das Neue, das so entsteht, sollte in sich stimmig sein, dem geschichtlichen Bewusstsein möglichst nicht allzu grob widersprechen und beweisen, dass sein Autor die Sprache beherrscht.

Gut geschrieben ist das Buch. Hacks mag die Romantik nicht - das stand zu erwarten. Ebensowenig überrascht, welches Maß an eleganter Polemik er aus seiner Abneigung zu gewinnen vermag; Polemik, die noch dann freut, wenn man dunkel ahnt, dass auch eine eigene Position getroffen ist. Auch lässt Hacks die wichtigsten, bekanntesten Tatsachen unangetastet.

Wie steht es mit der Stimmigkeit seiner Geschichte? In dieser Hinsicht entspricht der Essay der Anforderung ebenfalls vollkommen. Hacks' Bild der Romantik ist so einprägsam wie ungünstig: "Ein romantischer Autor ist ein Autor, der die englische Literatur gelesen hat, Opium verzehrt, sexuell von patriotischen Groupies betreut wird und Karl Justus Gruner zum Führungsoffizier hat." Von der englischen Literatur hat der deutsche Romantiker allerdings keineswegs das Beste gelesen und unterbietet es noch beträchtlich. Mit Opium, wahlweise auch mit Alkohol will er sein Bewusstsein erweitern und trübt es leider merklich, was sein - nach Hacks - niedriges Niveau erklären hilft. Etwas moralisierend stellt er die patriotischen Groupies als gehobene Prostituierte dar und trifft damit allenfalls eine Randerscheinung.

Zentral dagegen ist das vierte Merkmal. Karl Justus Gruner, Berliner Polizeichef während der Napoleonischen Besatzung, steht in der Definition für den politischen Gehalt der Romantik: den Kampf gegen französische Revolution und Napoleonischen Fortschritt, für eine Restauration der alten Verhältnisse. Romantik ist auch für Hacks immer politische Romantik. Doch hat sein Ansatz nichts mit dem Carl Schmitts zu tun, der seine "politische Romantik" auf die Brüder Schlegel und Adam Müller einschränkte, um bequem einen "subjektiven Occasionalismus" anprangern zu können. Hacks dagegen weitet aus. Die Frühromantik, lange vor Napoleons Sieg in Deutschland, unterscheidet sich für ihn nicht von den Aktivitäten nach 1806. Kleist, einer der radikalsten antinapoleonischen Propagandisten, wird umstandslos der Romantik zugeschlagen, obwohl ihr ästhetisch kaum nahestehend.

Hacks gewinnt Geschlossenheit, indem er die unterschiedlichen literarischen Konzepte seiner Gegner beiseite lässt und sich auf die politische Funktion der Romantik konzentriert; auf die Funktion während weniger Jahre, die er dann verallgemeinert. So erscheint die Romantik als mit englischen Hilfsgeldern finanzierte geheimdienstliche Bewegung. Vorwurf dabei ist nicht das Konspirative, dafür ist Hacks viel zu sehr politischer Realist. Geheime Logenaktivitäten der von ihm favorisierten Autoren wie Goethe und Wieland hebt er gerade hervor. Nicht der Methode, sondern dem Ziel widerspricht Hacks: der Restauration, von England aus machtpolitischen Gründen gefördert, von den Romantikern ideologisch herbeigesehnt.

Der Ratschlag lautete, dies als Dichtung zu nehmen. Dichtung ist selten allein historistisch interessiert, gute Dichtung nie. Bei aller Mühe Hacks' ums Detail ginge die Annahme fehl, er wolle allein eine historische Konstellation aufzeigen und derart mit der Germanistik konkurrieren, der er in offenbarer Unkenntnis gerade neuerer Publikationen vorwirft, politische Aktivitäten etwa Kleists nicht zu beachten. Ein Abschnitt mit "Miniaturen und Miszellaneen" setzt zwar noch ein mit Kritik an irrationalistischer Wissenschaftsfeindlichkeit und dem Jugendkult der Romantik, doch geht bald über zu einer neueren Auseinandersetzung, nämlich der in der DDR um Romantikrezeption. Die Hochwertung der Romantik durch Autoren wie Fühmann oder Hermlin hatte Hacks in mutiger Wendung gegen die Mehrheitsmeinung schon in den 70er Jahren kritisiert. Romantik war und bleibt für ihn konterrevolutionäre Ideologie, und so wiederholt er gegen jede Mode seine Vorwürfe, die doch immer noch historistisch blieben, meinten sie nichts als dies: denn die DDR ist mittlerweile vergangen wie das napoleonische Angebot einer staatsbürgerlichen Zivilisierung, das von romantischen Ideologen wie von englischen und monarchischen Heeren beseitigt wurde.

Als Dichtung wäre auch das obsolet, vergnüglich allenfalls durch sprachliche Brillanz. Doch der Dichter Hacks weitet aus: Romantik wird überhaupt als die Stimmung einer Fronde gefasst, als "Bündnis von Abweichungen", als Summe der rechten und linken Abweichungen von einer Realpolitik, die Hacks um 1800 durch den Reformwillen aufgeklärter Fürsten repräsentiert sieht. Auch hier verallgemeinert er: "Alle Abweichungen sind grundsätzlich dümmer als die Regel. Die Herstellung eines gemeinsamen Bodens zwischen befeindeten Abweichungen senkt die Denkebene jeder Abweichung und vervielfacht die Dummheit."

Das formuliert wohlgemerkt ein Autor, der 1955 in die DDR übersiedelte, Probleme mit der Kulturpolitik bekam, gleichwohl mutig als einziger 1961 nicht für Heiner Müllers Ausschluss aus dem Schriftstellerverband stimmte, wieder gegen die Mehrheit der Autoren der Ausbürgerung 1977 Biermanns zustimmte und noch heute die DDR jedenfalls Ulbrichts lobt. Hacks selbst ist die personifizierte Abweichung und könnte daraus lernen, dass zwar in besonderen historischen Konstellationen die staatliche Macht gegen alle Fronden den Fortschritt repräsentieren kann, dass jede Verallgemeinerung dagegen in die Irre führt. Anders als seine Dramen und Erzählungen, die sich einer eindeutigen begrifflichen Aufschlüsselung entziehen, haftet der Essay am Schema und unterbietet deshalb die Komplexität historischer Verläufe. Offensichtlich weiß Hacks, der den Romantikern vorwirft, verschiedene Gattungen nicht zu trennen, dies sehr wohl zu tun; nicht zum Vorteil des allzu rigiden Essays.

Einige Beispiele vermögen dies zu illustrieren. Hacks lehnt die angelsächsische Entwicklung ab und sieht, dass Gesellschaften, in denen der Absolutismus sich nie dauerhaft durchsetzte, kein produktives Verhältnis zu staatlich initiiertem politischen und sozialen Fortschritt zu entwickeln vermögen. Auf die Gegenwart bezogen leuchtet das ein, da unter den Industrieländern Großbritannien und die USA Negativbeispiele für Sozialabbau wie für Zerstörung von Gesellschaftlichkeit darstellen. Für die napoleonische Zeit wie für die neuere Geschichte überzeugt ebenfalls die These, dass gerade diese Staaten die finstersten reaktionären Banden unterstützen: Die Unterstützung des Westens für Pol Pot nach dessen Sturz durch vietnamesische Truppen, für islamistische Fanatiker in Afghanistan seit 1979 und selbst nach dem Wegfall einer kommunistischen Bedrohung für eine völkische Terrorgruppe wie die UCK im künftigen Großalbanien gibt Hacks recht.

Allerdings verlor Hacks 1989 den Staat, der für ihn den realpolitischen Fortschritt bedeutete, und kein neuer ist in Sicht. So müsste auch er, der den angelsächsisch inspirierten Neoliberalismus hasst, auf Fronde setzen, auf Fronde der Globalisierungsgegner etwa, auf die freilich sein Verdikt gegen die Romantiker zutrifft: rechte wie linke Abweichung zu sein, einig in der Ablehnung und nicht darin, was an Positivem gewollt ist. Das Ungeklärte nun ist Schwäche wie Stärke dieser Bewegung. Definierte man Ziele, wäre eine Demonstration wie in Genua unmöglich; nicht zum Schaden des angelsächsischen Neoliberalismus.

Hacks' Schema erfasst also nicht die komplexe Gegenwart - erfasst es die Vergangenheit? Unvollständig. Die Krieger gegen Napoleon kassierten englische Gelder, und sie übernahmen, um die Opfer ihrer Propaganda zu ködern, französische Ideen: die Nation, vermindert um jeden egalitären Aspekt. Sogar derart verstümmelt, besiegte die Ideologie die Ideologen. Statt eines ständischen Pseudo-Mittelalters entstand ein dynamischer deutscher Kapitalismus, der sich der Nation als Mobilisierungsinstrument für die Konflikte der Moderne bediente und schließlich in zwei Weltkriegen den englischen Geldgeber zu einer nostalgiegesättigten Mittelmacht zurückstufte.

Widersprüchlich also ist nicht erst die Gegenwart, sondern schon die Konstellation um 1800. Hacks' Abgrenzung gegen die Romantik genügt dem Konfliktfeld deshalb nicht, weil sie an wichtigen Punkten simplifiziert. Schlechte Dichtung also, ein überflüssiges Buch? Dennoch nicht. Die Lektüre erlaubt eine durchaus ästhetizistische Freude am Gebrauch des Deutschen, das so sicher heute kaum zum Streit verwendet wird. Der historischen Romantik ergeht es schlecht, was einige heute gängige Verklärungen zu beseitigen vermag. Das Buch vereinfacht stark; ist jedoch gekonnt, und deshalb lesenswert, auch wo man sich abgrenzen mag.

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Peter Hacks: Zur Romantik.
Konkret Literaturverlag, Hamburg 2001.
176 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3894581980

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