Besichtigung einer Epoche

Stefan Heyms neue historische Biografie "Pargfrider"

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie schon in "Lenz" und "Lasalle" wendet sich der heute 86-jährige Stefan Heym mit seinem neuen Roman "Pargfrider" wieder einer geschichtlichen Gestalt zu. Heym lässt den (historisch verbürgten) Joseph Pargfrider (1787 bis etwa 1858) dessen Biografie erzählen: Als jüdische Halbwaise aufgewachsen, arbeitet er sich schnell hoch zu einem angesehenen Hoflieferanten, der das österreichische Heer mit Kleidung versorgt. Intrigen und antisemitische Ressentiments prägen sein Leben; als Geldverleiher macht er sich viele Feinde. Am Ende seines Lebens muss er feststellen, dass alle Menschen, die ihn umgeben haben und seine Freunde sein wollten, käuflich waren.

Pargfriders Erzählweise ist oft ziemlich unreflektiert, und der Autor zeigt gegenüber seiner Figur keine Distanz; so wirken etwa die philosophierenden Reflexionen Pargfriders in ihrer Langatmigkeit und Selbstgefälligkeit ausgesprochen störend. Sollte es Heyms Ziel gewesen sein, seine Figur auf diese Weise als selbstzufriedenen Kleinbürger zu entlarven, so tut er das zu unentschieden. Positiv zu vermerken bleibt allerdings die Sensibilität Pargfriders gegenüber den Neuerungen und Entwicklungen seiner Zeit - und dem Antisemitismus.

Die Handlung verläuft innerhalb des Hauptteils streng chronologisch. Das kommt zwar der Nachvollziehbarkeit zugute, führt jedoch auch zu einer gewissen Ermüdung. Die Rahmenhandlung, in der der Autor berichtet, wie er in den Besitz von Pargfriders Aufzeichnungen gekommen sein will, wirkt sehr konstruiert, außerdem trägt sie nicht eben dazu bei, die Binnenhandlung voranzutreiben; auch die Möglichkeit des kritischen Kommentars seitens des Autors bleibt so ungenutzt. Dennoch entwickelt Heym aus den Gegensätzen von Arm und Reich, Jude und Antisemit oder Aufklärung und Romantik einige Spannung. Sie basiert auf den Zerwürfnissen der Zeit, in der Pargfrider lebte. Darüber hinaus kommt Heym auf das Thema zu sprechen, das schon seinen ersten 'großen' Roman "Fünf Tage im Juni" geprägt hat und seitdem immer wieder auftaucht: die Notwendigkeit des eigenen Denkens. Wurden seine Bücher in der Vergangenheit von der Kritik gelegentlich als "reißerisch und journalistisch gemacht" bezeichnet, dürfte spätestens seit "Ahasver" klar sein, dass der Autor mit seinen historischen Stoffen umzugehen versteht und ihnen über die bloßen geschichtlichen Tatsachen hinaus eine zusätzliche Dimension verleiht.

In seiner gelegentlich etwas langatmigen, weil altertümelnden Erzählweise richtet sich der Roman vornehmlich an Leser, die das Portrait einer Epoche, verkörpert am Lebenslauf einer einzelnen, herausragenden Persönlichkeit, zu schätzen wissen.

Titelbild

Stefan Heym: Pargfrider oder Vom Nutzen des Tuchhandels. Roman.
C. Bertelsmann Verlag, München 1998.
224 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 3570001822

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