Durchsichtig wie Glas
Henning Mankell vertraut in "Die falsche Fährte" auf Altbekanntes
Von Oliver Georgi
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs ist ein Krimiplot wie aus dem Lehrbuch: Ein junges Mädchen verbrennt, mit Benzin übergossen, in einem Weizenfeld der südschwedischen Provinz Malmö; ein ehemaliger Justizminister, eher berüchtigt denn bekannt für seine zwielichtigen Aktivitäten, wird auf bestialische Weise am Strand ermordet; ein stadtbekannter Kunsthändler in seinem Gartenhäuschen umgebracht. Kommissar Wallander, dessen Ermittlungen seit längerer Zeit fast schon eine Bestsellergarantie auf dem deutschen Buchmarkt sind, sieht sich bei seinem neuen Fall mit einer Mordserie konfrontiert, die an Grausamkeit kaum zu überbieten ist. Und es bleibt nicht bei diesen drei Morden; fieberhaft sucht er nach dem erbarmungslosen Killer. Erst als er selbst im Fadenkreuz steht und es fast schon zu spät ist, erkennt der brummige Kriminalist Wallander, dass er bei seinen Recherchen einer falschen Fährte gefolgt ist.
Er ist ein herkömmlicher Krimi, dieser neue Mankell - herkömmlich sowohl in seinen Motiven als auch in seinen Protagonisten. Das schon altbekannte Ermittlungspersonal im Malmöer Polizeipräsidium wird nur in groben Strichen gekennzeichnet durch unbändigen Arbeitswillen über die Erschöpfung hinaus, kollegiale Rivalitäten und auch sonst eher prototypische Charakteristika. Sie scharen sich um den "einsamen Wolf" Kurt Wallander: verwitwet, bärbeißig, einsam, Typ schwieriger Einzelkämpfer. Schon sehr früh sind der Andeutungen auf den möglichen Täter genug, bereits nach dem ersten Drittel des Romans wird der Verantwortliche für all solch Grauen erkennbar. Und je erkennbarer der Täter, desto vorhersagbarer auch der weitere Verlauf: Für den Leser hält Mankell so gut wie keine Überraschungen bereit. Dass das Buch trotz dieser sehr frühen Entlarvung lesenswert und hochspannend bleibt, dafür ist Henning Mankell Respekt zu zollen. Indem er den (fast) auktorialen Leser mit den nur zähflüssig voranschreitenden Ermittlungsarbeiten Wallanders und seiner Truppe konfrontiert, ihn schier zur Verzweiflung bringt ob der unverständlichen Fehlsichtigkeit und fehlenden Kombinationsgabe der Polizei, schafft er einen weitreichenden Spannungsbogen, der nicht abbricht. Mankell spielt mit offenen Karten; der Wert seines Werks liegt nicht in der Frage des "Wie" begründet, sondern vielmehr in einem enervierenden "Wann": Wann holt der Täter zu einem neuen Schlag aus, und wann endlich versteht Wallander die Zusammenhänge?
Diese Technik Mankells, die Polizei grundsätzlich langsamer arbeiten und begreifen zu lassen als den Leser, hat zur Folge, dass an vielen Stellen des Buchs dramaturgisch zwar notwendige, jedoch zu redundante Streckungen des Materials auftauchen. Die dem Kommissar schon bekannten Informationen werden schier endlos umgewälzt und verlängern so die Ermittlungsarbeit. Diese künstliche Verlangsamung des Plots gipfelt schließlich in wiederholten Unaufmerksamkeiten der Polizei, die einfach "vergisst", wichtige Fotos vom Tathergang zu entwickeln oder Dokumente zur Ermittlung versehentlich nicht weiterleitet. Ein dramaturgisch verständliches Vorgehen, gewiss, für den Leser jedoch zu leicht als Mittel zum Zweck durchschaubar.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: "Die falsche Fährte" ist ein lesenswertes Buch, das man ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit auf einen Satz verschlingt. Doch bleibt dieser Krimi bei aller Spannung so konventionell, wie er konventioneller nicht sein könnte. Mankell erfüllt die Erwartungen des Lesers, mehr nicht; Innovatives wird nicht geboten. Altbekannte Kost also. Aber es muss ja auch nicht bei jedem Buch das Rad neu erfunden werden.
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