Medientheorie als "théologie maudite"

Jochen Hörischs gewichtige "Geschichte der Medien"

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Medien sind, folgt man einer Einsicht des Literaturwissenschaftlers Jochen Hörisch, Abwehrzauber für Absenzen aller Art: Sie bringen zusammen, was zusammengehört, aber durch Abgründe (die Zeit, der Raum, der Tod) voneinander getrennt ist. So nutzten viele der im brennenden World Trade Center Eingeschlossenen das Medium Handy, um ihrem Partner, ihren Kindern, ihren Eltern ein letztes Mal "Ich liebe dich" zu sagen.

Etwas, das vor Erfindung der viel geliebten Mobiles unmöglich war. Katastrophen, das hat der 11. September auch gezeigt, laufen heute anders ab als früher. Wir alle sind, mehr oder weniger intensiv, an jenes multimediale weltumspannende Nervengeflecht angeschlossen, das uns mit seinen Inhalten (Informationen, Bildern, Romanen, Filmen, Anrufen, Mails usw.) in einen Zustand permanenter psychischer Erregung versetzt, mit gelegentlichen hysterischen Anfällen.

Wer im "Medium" nur den "Vermittler" sieht, das Mittel also, besagte Abgründe zu überwinden, begeht schnell den Fehler, anzunehmen, es handle sich dabei um Sekundäres und damit Unwesentliches. Wichtig ist, lässt uns unser Alltagsverständnis glauben, was ich kommuniziere, und nicht, wie (in welcher Sprache, Tonlage, ob ich es sage oder schreibe, ob ich anrufe oder maile). Dass aber die Politik wichtiger sei als die Formen ihrer Vermittlung und Inszenierung in den Medien, dürften allenfalls noch Politiker behaupten.

Beliebt ist auch das Naserümpfen über neue Medien gerade unter Kulturbeflissenen. Eine Geschichte der Medien ist ihnen eine Verfallsgeschichte: Schon das Kino war eine Sünde an der Literatur, wie es E-Mails oder SMS fürs Schreiben von Briefen sind. Vergessen wird dabei, dass Medienkritik zu allen Zeiten das kritisierte neue Medium zugunsten eines früheren abwertet. Bekanntlich verachtete Platon die Schrift, weil er in ihr eine Gefahr für die alten Medien Stimme und Gedächtnis sah.

Moderne Medientheoretiker lehnen solche naive Medienkritik ab. Und zitieren Marshall McLuhans Diktum: "The medium is the message." Belege dafür, dass das Medium selbst bereits die Botschaft ist und alle mit ihm vermittelten Inhalte nur sekundär sind, hat Jochen Hörisch in seiner im doppelten Wortsinn gewichtigen "Geschichte der Medien" (so der Untertitel) gesammelt. Für die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang etwa war es gleichgültig, ob sie nun Dallas empfangen konnten oder ein Konzert der Stones: Dass es dergleichen überhaupt gab, ja, gesendet wurde, war ihnen Botschaft genug. Sprache, Bilder, Schrift, Buchdruck, Presse, Post, Foto- und Telegrafie, Film, Radio und Fernsehen, Computer und Internet: das sind die Stationen, die Hörisch der Mannheimer Ordinarius für Neuere Germanistik und Medienanalyse kenntnisreich und souverän im alten Medium Buch abschreitet. Und dabei die Antriebsquellen zur Entwicklung der modernen Medien in Krieg, Wirtschaft und Religion verortet.

Medien sind nicht per se gut oder schlecht, so Hörisch. Sie können nur wie alles missbraucht werden, wie es etwa die Nazis mit dem Rundfunk taten. Es gibt gute und schlechte Bücher, Fernsehsendungen, Websites. Wie die Mediengeschichte zeigt, zwingen neue Medien die alten zu Funktions- und Identitätswechseln: Das Fernsehen machte das Radio zum Begleitmedium, Zeitungen verlegen sich im Zeitalter des Internets zunehmend auf die Hintergrundberichterstattung - oder sollten es zumindest tun. Und: aus Empfängern werden heute, wie es schon Bert Brecht forderte, zunehmend Sender. Das alte Schema "Zentrale an alle" wird heute abgelöst vom Schema: "Jeder an jeden": dank Internet und E-Mail kann jeder senden, was er will.

"The medium is the message": das wussten auch die Attentäter vom 11. September, die mit Sicherheit bei ihren Planungen gerade auf die Wirkung der explodierenden Twin Towers im Live-Fernsehen setzten. Das weiß auch Bin Ladin, wenn er sich von Bombenattacken unversehrt als selbsternannter religiöser Führer auf Al-Dschasira präsentiert. Religion, und sei sie noch so fundamentalistisch irregeleitet, ist, allem Gerede vom Clash of Cultures zum Trotz, eben gerade nicht das Andere der Medien. Im Gegenteil: Sie ist, wie Hörisch nicht müde wird, zu betonen, per definitionem auf Kommunikations- und Medienprobleme spezialisiert, auf die Mitteilungen eines transzendenten Gottes etwa. Weshalb Theologie immer auch Medientheorie ist und Medientheorie, so Hörisch augenzwinkernd, "théologie maudite".

Religiöse Leitbegriffe, seien sie christlich, jüdisch oder islamisch, sind immer auch Medienbegriffe: Engel, Frohe Botschaften, Heilige Schrift usw. Und religiöse Ereignisse sind Medienereignisse, von der Übergabe der zehn Gebote bis zum Pfingstwunder. Daher bedienen sich Religionen auch gern der modernen Medien. Vielleicht würde man die Mohammed Attas dieser Welt eher verstehen, wenn man mehr über das explosive Gemisch wüsste, das gerade beim Zusammentreffen von religiösem Fundamentalismus und modernen Massenmedien entsteht. Beim Kampf gegen den Terrorismus sollten nicht nur Nahostexperten, Islamkundler und Innenminister gehört werden, sondern auch und gerade Medientheoretiker.

Titelbild

Jochen Hörisch: Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
441 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3821841958

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