Von Freud ist nicht die Rede
Das "Metzler-Goethe-Lexikon" und das "Goethe-Lexikon" Gero von Wilperts
Von Melanie Ottenbreit
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseJohann Wolfgang von Goethe war ein vielseitiger Mensch. Als Naturkundler, Meterologe, Kunsthistoriker, Frauenschwarm und Napoleonanhänger hat er sich seinen Lesern überliefert. Wohl kaum ein Schriftstellerleben ist so ausführlich dokumentiert wie seines.
Die beiden zum Goethe-Jahr erschienenen Lexika über den Dichter und Wissenschaftler versuchen, der Fülle von Daten gerecht zu werden. Fast alles, was es über Goethe zu wissen gibt, haben die Herausgeber zusammengetragen. Gero von Wilpert faßt sich im Nachschlagewerk aus dem Kröner Verlag gewohnt kurz, formuliert aber präzise und ist mit 4000 Schlagworten umfassend. Im Metzler-Goethe-Lexikon von Benedikt Jeßling, Berndt Lutz und Inge Wild sind die Artikel meist detaillierter, allerdings gibt es deren nur 2200.
Wer von beiden den Leser besser von A bis Z über die Person Goethes, seinen Lebensalltag, seinen Freundeskreis, seine Reisen, Werke und Wirkungen aufzuklären weiß, ist schwer zu sagen und wohl eher eine Geschmacksangelegenheit. Gero von Wilpert hat seinen Einträgen Literaturhinweise zur Seite gestellt und regt so zum Nachlesen an. Beim Metzler-Goethe-Lexikon fehlt weiterführende Literatur, dafür aber gefallen die über 150 Abbildungen, darunter Zeichnungen der Laokoon-Gruppe, des Straßburger Münsters und des Zwischenkieferknochens, die gerade komplexe Sachverhalte veranschaulichen. Die Texte erinnern ein wenig an Artikel aus den Goethe-Handbüchern, auf Lexikonlänge zurückgestutzt.
Ausführlich sind beide Werke, wenn es gilt, literarische Figuren wie dichterische Motive zu erklären und Orte zu benennen, an denen Goethe sich aufgehalten haben soll. Von Wilperts Lexikon allerdings ist nicht nur ausgiebiger, es bietet auch erheblich mehr Querverweise auf verwandte Suchbegriffe. Wer sich etwa über das antike Ehepaar Philemon und Baucis erkundigen will, entdeckt bei ihm sowohl unter Philemon als auch unter Baucis eine Notiz. Beim Goethe-Lexikon aus dem Metzler-Verlag hingegen ist nur die Suche unter dem Buchstaben P erfolgreich, während sich unter B weder eine Angabe noch ein Verweis findet.
Hilfreich ist auch die sorgfältige Erläuterung literarischer Fachbegriffe bei von Wilpert. Zum Metrum sind "Distichon" und "Hexameter" notiert, während beim Metzler-Lexikon beide unter dem Begriff "klassisches Versmaß" zusammengefaßt werden. Und wo von Wilpert den Alexandriner eingehend beschreibt, sogar Werke erwähnt, in denen Goethe ihn verwandt hat, sucht man bei Metzler vergeblich nach einem Vermerk.
Auch biographisch empfiehlt sich das Wilpertsche Lexikon. Der Literaturwissenschaftler hat eine Reihe von Personen aufgenommen, die in direktem oder indirektem Kontakt zu Goethe standen, wie zum Beispiel die Literaten des "Göttinger Hains". Unter "Brentano" sind sogar sechs Personen, teils mit Querverweisen, vermerkt, während sich das Metzler-Lexikon mit einer einzigen Eintragung zu Clemens Brentano begnügt. Zumindest ein Hinweis auf Sophie von La Roche und Bettina von Arnim wäre aber wünschenswert gewesen.
Beim Auftischen von Alltäglichkeiten stehen sich die Lexika in nichts nach. Beide übertreffen sich mit Anekdoten zu Goethes Weinkonsum und -geschmack und mit Geschichten über seinen Nachbarn am Frauenplan, den Leinenweber Johann Heinrich Herter, der mit seinen Webstühlen gelärmt und so den Dichter am Arbeiten gehindert haben soll. Von Wilpert ist Herter deshalb gleich zwei Erwähnungen wert, sowohl unter "Nachbarn" als auch unter "Herter". Dort heißt es: "Er gehörte nicht der Literaturgeschichte an, sondern hat vielmehr Literatur eher verhindert." Wem sich der Sinn dieses Eintrags nicht zu erschließen vermag, der sei an die Goetheschen Schriften erinnert, die womöglich ein klappernder Webstuhl vereitelte. So gesehen verdient der unruhige Leinenweber dann doch eine ernsthafte Erwähnung, eher aber unter V wie "verhinderte Schriften".
An Kuriosem mangelt es beiden Nachschlagewerken nicht. Gero von Wilpert fällt zu "Sigmund Freud" ein Zitat aus dem "Faust" ein: "Du hörest ja, von Freud ist nicht die Rede." Wenngleich das Metzler-Goethe-Lexikon bei diesem Begriff passen muß, so listet es immerhin das Stichwort "Homosexualität" auf. Der Autor nennt das Werk "Die Liebkosung des Tigers" (1997) von Karl Hugo Pruys, der Goethe als "Schwulen zu outen" versuchte.
Was es gemeinhin zu Johann Wolfgang von Goethe in Erfahrung zu bringen lohnt, ist in beiden Lexika zu finden, sogar mehr als das. Für das Handwerk leistet wohl Gero von Wilpert die besseren Dienste, Laien wie Kenner sind hier gut aufgehoben. Das Metzler-Goethe-Lexikon scheint nur auf den ersten Blick, vor allem durch die reichliche Bebilderung, attraktiver. Im wissenschaftlichen Gebrauch jedoch stößt es rasch an seine Grenzen: Zwar verfügt das Nachschlagewerk im Anhang über eine weiterführende Auswahlbibliothek, die aber nicht mit den Suchbegriffen verknüpft ist und den vollständigen Zugriff auf einen Themenkomplex erheblich erschwert.
Mittlerweile hat die Autorin des bei Reclam Leipzig erschienenen Goethe-ABCs Gudrun Schury gegen das Metzler-Goethe-Lexikon auch einen Plagiatsvorwurf erhoben, in einem Leserbrief in der "Frankfurter Rundschau". Sie wirft einzelnen Autoren unter anderem vor, Stichwörter, die sie für ihr Nachschlagewerk kreiert hat - wie etwa Gartenzwerge und Rechtschreibreform - "abgekupfert" zu haben. Der Informationsgehalt der beanstandeten Artikel gehe zudem nicht über den ihres eigenen Werkes hinaus.
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