Der Zauber kehrt zurück

Isabel Allende verhext mit "Porträt in Sepia", wie wir es lieben

Von Julia DombrowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Dombrowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir haben damals so sehr geweint. Wir, die leidenschaftliche Fangemeinde, wir Groupies, wir Besessenen, als wir "Das Geisterhaus" lasen und damit unsere Isabel-Allende-Sucht begann. Wir weinten vor Rührung angesichts der grandiosen Liebe zwischen Blanca und Pedro, wir weinten vor Empörung über den cholerischen, verbohrten Esteban, wir weinten vor Trauer, als die weise, gütige Clara ihre Augen zum letzten Mal schloss und wir weinten angesichts dieser unsäglichen Verfilmung, die nicht annähernd die Größe des Buches hatte. Und dann warteten wir auf jeden weiteren Roman aus Chile, ganz nervös, ungeduldig. Wir verschlangen das wütende "Von Liebe und Schatten", wir lachten über den herzlichen, warmen Humor in "Eva Luna", wir waren beeindruckt von den starken Gefühlen, die "Paula" in uns auslöste. Wie viele schlaflose Nächte haben diese Geschichten wohl in der Welt verschuldet, wie viele Nachttischlampen haben bis in die Morgenstunden gebrannt, weil wir die Bücher einfach nicht beiseite legen konnten?

Dann erschien 1999 "Fortunas Tochter", ein Roman, der nicht ganz an seine Vorgänger anschließen konnte. Er blieb da seicht, wo die früheren Werke tief waren, die Geschichte plätscherte an den Stellen, an denen die vorherigen peitschten. Was keineswegs bedeutete, dass wir diesen Sommer nicht wieder raubtierartig um die Buchläden kreisten, ein leises Knurren in der Kehle ob jeden weiteren Tages, den wir zu warten gezwungen waren. Wir hätten beinahe Spanischkurse belegt und wären voller Ungeduld nach Südamerika oder Kalifornien gepilgert oder hätten der einzigartigen Übersetzerin Lieselotte Kolanoske Stimulanzen in den Tee gerührt, damit sie sich jegliche Bett- und Ruhezeiten bis zum Fertigstellen der neuen Allende endgültig abgewöhnt. Und dann war er da, der Tag des Erscheinens.

Zum ersten Mal knüpft Isabel Allende in "Porträt in Sepia" an eine vorhergehende Geschichte an. Wir treffen Eliza Sommers wieder, die Protagonistin aus "Fortunas Tochter". Ihre Liebe zu Tao Chi´en endet erst hier auf tragische Weise. Und mein Herz hat einen wahren Sprung getan, als sich die Geschichte Severo und Nívea del Valles entwickelte - ein echter Fan wird sich jetzt von einem halbherzigen abheben, denn ein eingefleischter Kenner weiß, dass es sich hierbei um die Eltern von Clara und Rosa handelt, der hellsichtigen Frau und ihrer grünhaarigen Schwester aus dem "Geisterhaus". Allein, dass "Porträt in Sepia" die Ahnen dieser Gestalten zum Leben erweckt, ruft Dankbarkeit hervor. Der Hauptstrang der Erzählung handelt von der jungen Aurora del Valle, Eliza Sommers Enkelin, die ein Leben lang von grausamen Alpträumen geplagt, auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit ist. Ihre Lebensgeschichte lässt sie zwischen den USA und dem Südamerika des ausgehenden 19. Jahrhundert pendeln.

Isabel Allende wäre nicht Isabel Allende, wenn ihr neues Buch nicht zwei altbekannte, altbewährte Merkmale aufweisen würde: Zum einen sind die Geschichten der Allende niemals nur eine einzelne Geschichte. Eine kaum enden wollende Anzahl von Erzählsträngen versteht sie meisterhaft zu verknüpfen, sie setzt beinahe spielerisch an verschiedenen Enden an und arbeitet sich zielstrebig auf den Kern, das eigentliche Herz des Romans zu. Merkmal Nummer zwei: Das Herz der Erzählungen sind immer die Frauengestalten, die von unglaublicher, aber nie unglaubwürdiger Stärke sind, selten sentimental, aber immer warmherzig, niemals ohne Ecken und Kanten und den merkwürdigsten Marotten, aber auf eine eigenartige Weise doch liebenswürdig. Selbst wenn sie wie die Matriarchin Paulina del Valle mit Klunkern und Zierat behängt walkürenartig in einem gigantischen Bett thronen, von wo aus sie ihre Befehle bellen und nicht nur durch die gewaltigen körperlichen Ausmaße Angst und Schrecken verbreiten.

"Porträt in Sepia" schlägt seinen Vorgänger um Längen. Es ist ein neues suchtbringendes Abenteuer; das Fieber, das uns beim Lesen befällt, ist genau so intensiv wie wir es von früher kennen. Und ich habe einen leisen Verdacht, woran das liegt, vielleicht eher eine Intuition: In Isabel Allendes Büchern spürt man mit großer Deutlichkeit ihre Liebe zu ihrem Heimatland Chile. Seit Pinochets Militärputsch lebt sie in amerikanischem Exil; die Wehmut nach der Heimat aber steht deutlich zwischen den Zeilen. So liebevoll sind ihre chilenischen Urgestalten dargestellt, so viel Wärme liegt in den Schilderungen des Landes und seiner Kultur. Klar und vehement wird in ihren Geschichten die Schuld der Militärdiktatur bis zu Pinochets Sturz angeprangert - aber niemals verbittert, in jeder Finsternis überlebt auch ein Stück Lebenslust. Sie lässt "Fortunas Tochter" die weite Reise in die USA antreten, sie verlässt damit die chilenische Umgebung, die soviel des Zaubers ihrer Werke ausmacht. Aurora dell Valle macht sich auf in das Land ihrer Wurzeln - und der Zauber kehrt zurück!

Titelbild

Isabel Allende: Porträt in Sepia. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Lieselotte Kolanoske.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
512 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3518412809

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