Ein literarisches Chaos wohl geordnet

Joost Zwagerman über sein eigenes Nest

Von Tobias TemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Temming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Otto Vallei ist ein zweitklassiger, in der Kritik bestenfalls "lobenswerter" Schriftsteller. Nach drei Romanen leidet er jetzt an einer akuten Schreibhemmung, einem "writer's block". Zudem von Zwangsneurosen geplagt, halten ihn die trivialsten Dinge, wie der morgendliche Lichtstrahl von zehn bis elf Uhr über seinem Schreibtisch, sechs Monate lang davon ab, auch nur einen Satz Literatur zu Papier zu bringen. Als er sich eingestanden hat, dass er in seinem Verlag von verhassten Kollegen wie Ed Waterland weit übertroffen wird und er selbst nur in der zweiten Liga spielt, beschließt Otto seine Laufbahn als Schriftsteller zu beenden.

Schon bald fängt er als Co-Moderator der unbedeutenden Amsterdamer Kultursendung "Kunstlicht" an und darf als Ex-Schriftsteller Woche für Woche die "Instantprosa des soundsovielten Stümpers durchgehen" oder Theatervorstellungen zwischen "Plastikhühnern und brennenden Autoreifen kommentieren". Eine Sammelausstellung "junger, HIV-positiver, haitianischer Künstler" ist da schon eine exotische Abwechslung.

Joost Zwagerman zeigt sich auch in seinem dritten Roman wieder als ein genauer Beobachter: Unter seiner stellenweise bösartigen Satire zu leiden haben dieses Mal die niederländische bzw. Amsterdamer Literatur- und Kulturszene.

Doch es kommt noch schlimmer: Der ehemalige Konkurrent, Ed Waterland, veröffentlicht einen neuen Roman, in dessen Protagonisten sich Otto Vallei sich erschreckend deutlich wiedererkennt. Zu Ottos Neurosen gesellt sich nun auch noch eine ausgeprägte Paranoia: Woher hat Waterland all sein Wissen? Hat jemand sein Vertrauen missbraucht? Ist es eine Verschwörung? Woher weiß Waterland, was in Ottos Zukunft geschieht? Waterland wird zu einem okkulten Gegenspieler in Ottos Welt - und das nicht ganz unberechtigt.

Oftmals ist Zwagerman dabei gekonnt amüsant, doch leider auch permanent auf der Suche nach der 'kreativsten sprachlichen Variante', die nicht immer gelingt. Dieser Starrsinn bringt den Humor des Romans zuweilen bedenklich nah an den gezwungenen Wortwitz misslungener Popliteratur à la Stuckrad-Barre & Co.

Abgesehen davon ist Zwagermans gewagte Version der Metabuchthematik, über die Vielschichtigkeit des Erzählens an sich zu erzählen, ein spannender und intelligenter Kunstgriff bis zum Schluss. Für die finale Lösung erfordert dieses literarische Rätselspiel noch ein letztes Mal das Mitdenken und "Tüfteln" des Lesers. Es wird belohnt: Erst jetzt wird das Geheimnis des trickreichen, literarischen Spiels um den Wechsel von Fiktion und Realität der Figuren in "Kunstlicht" völlig offenbart, und man kann sich über seinen eigenen detektivischen Scharfsinn freuen.

Titelbild

Joost Zwagerman: Kunstlicht.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Martina den Hertog-Vogt.
Picus Verlag, Wien 2002.
315 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3854524579

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