Geschlechterforschung im Dunkel der Evolutionsbiologie

Hede Helfrich präsentiert einen interdisziplinären Sammelband zur Gleichheit und Differenz der Geschlechter

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Im Zeitalter der 'political correctness'", in der wir uns Hede Helfrichs zufolge befinden, sei es "nicht einfach, über Unterschiede im Denken und Fühlen zwischen Frauen und Männern zu sprechen". Da sich jedoch vom smarten Werbefuzzi bis zum hippen Popliteraten jeder, der etwas auf sich hält, damit brüstet, alles andere als 'politisch korrekt' zu sein, jedoch noch nie jemand auf die Idee verfallen ist, mit seiner - oder ihrer - political correctness zu renommieren, ist Helfrichs Charakterisierung der Gegenwart ausgesprochen befremdlich. Auch ist per se nicht einzusehen, wieso political correctness die Erörterung geschlechtsspezifischer Differenzen des Denkens und Fühlens erschweren soll. Doch hier klärt Helfrich sofort auf: Zu leicht sei damit die Gefahr verbunden, als sexistisch oder frauenfeindlich verunglimpft zu werden. Allein schon die Fragestellung birgt also die Gefahr der Verunglimpfung. Wie man sich zu ihr äußert, spielt für das Verdikt, sexistisch zu sein, nicht die geringste Rolle. Die altbekannte Immunisierungsstrategie, eine erwartete Kritik durch deren Vorwegnahme und Zurückweisung von vornherein zu desavouieren, findet sich im Vorwort zu dem von der Verfasserin herausgegebenen Sammelband "Patriarchat der Vernunft - Matriarchat des Gefühls?", der auf einer Veranstaltungsreihe an der Universität Hildesheim in den Jahren 1999/2000 beruht. Offenbar sah Helfrich sich veranlasst, einige der Beitragenden prophylaktisch gegen entsprechende Vorwürfe zu schützen. Möglicherweise hatte sie dabei Gisela Roggendorf und Andreas Hejj im Auge, die emotionale und kognitive Unterschiede zwischen Männern und Frauen, "im Lichte der Evolutionsbiologie" erörtern und sie als "sinnvolle stammesgeschichtliche Anpassung an ein konstruktives Miteinander von Mann und Frau" betrachten.

Roggendorf, in Bielefeld praktizierende Fachärztin für Psychiatrie, führt in ihrem Aufsatz zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der "Spielauswahl" aus, dass Mädchen "anlagebedingt" andere Spiele bevorzugen als Jungen. Die Spiele letzterer, behauptet sie, seien "vor allem intelligenter" - und führt als Beispiel ausgerechnet Fußball an. Angesichts dieses Befundes ist es überraschend, dass ihr zufolge "die Frauen das männliche Denken verstehen und über alles mitreden können, wenn sie intelligent und interessiert genug sind". Männer hingegen verstünden die Frauen selbst dann nicht, wenn sie "sehr intelligent" sind. Um eine Begründung für ihre erstaunliche Auffassung ist sie nicht verlegen: Männer können Frauen vor allem deshalb nicht verstehen, "weil sie von vornherein behaupten, nur das logische Denken sei gut." - Logisch!

Dem in München lehrenden Evolutionspsychologen Andreas Hejj zufolge ist die menschliche Geschichte seit "etwa hunderttausend Generationen" eine Geschichte der natürlichen Auswahl durch "Paarungswert und Reproduktionserfolg". Zur Illustration seiner These zitiert er mit Vorliebe den Machiavelli der Liebes-Kunst: Ovid. Doch immerhin konzediert er generös, dass wir unseren "ererbten Steinzeitanpassungen" nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Dennoch sollten wir "unsere Natur [...] erhören", wie er in nur schwer zu überbietender Naivität fordert. Spuren des Gender-Diskurses der letzten 30 Jahre sucht man in seinem Text ebenso vergeblich wie erkenntniskritische Reflexionen über seinen Naturbegriff.

Anders als Hejj ist Karin Derichs-Kunstmann die Unterscheidung zwischen Sex und Gender nicht unbekannt. Vor allem aber hebt sich Helga Oppermanns in jeder Hinsicht lesenswerte Untersuchung der Frage "Schreiben Frauen anders?" positiv von den Texten Roggendorfs und Hejjs ab. Auch wenn sie letzten Endes mit der etwas kryptischen Antwort "Natürlich schreiben Frauen nicht anders, aber natürlich schreiben Frauen anders!" aufwartet, wirft die an der Universität Hildesheim tätige Autorin unterwegs doch etliche interessante Schlaglichter auf die englischsprachige Diskussion um Differenz und Gleichheit bzw. um die Gleichberechtigung der Geschlechter in den letzten 250 Jahren und weist auf das "aporetische Dilemma" systemimmanenter Gleichberechtigungsbestrebungen hin: "Gleichheit innerhalb einer ursprünglich hierarchisch strukturierten Beziehung" bedeute vorwiegend "Angleichung und zwar des Gleichheit anstrebenden untergeordneten Teils des Systems". Die "Wertskalen" ließen sich zwar "erobern, aber nicht verändern". - Wirklich nicht?

Titelbild

Hede Helfrich (Hg.): Patriarchat der Vernunft - Matriarchat des Gefühls? Geschlechterdifferenz im Denken und Fühlen.
Daedalus Verlag, Münster 2001.
252 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3891261675

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