Von 15, die auszogen, einen Roman zu schreiben

Ein Gemeinschaftswerk von Joseph O'Connor, Roddy Doyle und anderen irischen Schriftstellern

Von Ulrich SonnenscheinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Sonnenschein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich glaub der war schon tot, eh ich auf ihn geschossen hab. - Was laberst Du da, fragte Roberts. - Ich glaub, er war tot, sagte Nestor. Schon tot, meine ich. Ehe... du weißt schon."

Es beginnt, wie gewohnt am Dialog orientiert, mit Roddy Doyle und endet versöhnlich mit Frank McCourt. Doch wenn 15 Autoren einen Roman schreiben, dann sind es vor allem diese beiden, die man bedauern muss. Den ersten, weil er etwas anstößt, von dem er zumindest vage schon weiß, wie es weitergehen soll und darin definitiv enttäuscht wird, und den letzten, weil der all die losen Fäden zusammenknüpfen und das, was seine Kollegen ihm untergeschoben haben, zu einem sinnvollen Abschluss bringen muss. Was aber ist das für ein Buch, an dem 15 Autoren mitarbeiten, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen, teilweise Bestseller veröffentlicht haben, wie Roddy Doyle, Marian Keyes oder Frank McCourt, sonst für Film und Bühne schreiben, wie Gerard Stembridge, Donal O'Kelly oder Connor McPherson oder als Biografen und Journalisten bekannt wurden, wie Gene Kerrigan oder Anthony Cronin. Die unterschiedlichen Temperamente führten zumindest zu einem einzigartigen Kriminalroman, und selbst wenn man nach dem fünften Kapitel im Stillen hofft, Roddy Doyle würde uns die Geschichte, die er so hinterhältig begonnen hatte, irgendwann einmal zu Ende erzählen, so ist "Yeats ist tot" doch ein Buch - was dem Begriff "Tour de Force" einen neuen, in seiner unbeschreiblichen Komik eindeutig positiven Aspekt verleiht.

Nestor und Roberts sind zwei korrupte Polizisten, die die sogenannte "Drecksarbeit" für eine gewisse Mrs. Bloom machen und immer mal wieder bei ihren Kunden vorbeischauen, um diese daran zu erinnern, dass sie noch etwas schuldig sind. Sie wissen nicht, um was es geht, doch genießen sie den kleinen Nebenverdienst und das Charisma ihrer Auftraggeberin.

"Roberts war sofort klar, dass er ein Genie vor sich hatte: Da saß eine Frau im Garten von einem Reihenhaus aus dem sozialen Wohnungsbau mitten in einem Gebiet, das der keltischer Tiger als Katzenklo benutzte, und lenkte von dort aus ein weltumspannendes Imperium. Eine Unternehmerin reinsten Wassers. Sie hatte fast alles ausprobiert nur nicht die ehrliche Masche. Roberts war total verrückt nach ihr."

Nun aber haben sie den alten Raynolds erschossen, und damit nicht nur sich, sondern auch Mrs Bloom in Schwierigkeiten gebracht.

Dies ist ein Anfang, der alle Möglichkeiten offen lässt. Und da es bei diesem Spiel keine Regeln gibt, außer die der inneren Logik, gehen die folgenden Autoren Connor McPherson, Gene Kerrigan und Anthony Cronin daran, neue Charaktere einzuführen und die alten skrupellos umzubringen. "Ich wollte einen weiblichen Kommissar", sagte Anthony Cronin bei einem Gespräch, "also musste ich den männlichen irgendwie beseitigen". Von Roddy Doyles Ursprungspersonal sind inzwischen nur noch Mrs. Bloom und ihre Schwester und Assistentin Mrs. Blixen übrig, die beide bei ihm schon als Nebenfiguren angelegt sind, da sie einen ganzen literarischen Kanon vertreten - und eigentlich auch zu mehr nicht taugen. Molly Bloom ist die Stimme, die in Joyces "Ulysses" den Subtext bestimmt, und Mrs. Blixen wird als Einwanderin beschrieben. Sie weist sich durch den Satz: "Ich hatte eine Farm in Afrika" selbst als Autorin aus, doch von ganz anderem Kaliber, als die hier versammelten. Ein Grund vielleicht, warum Meave Binchy, die zahlenmäßig erfolgreichste Autorin Irlands, gar nicht erst gefragt wurde.

Es mag für die Krimifans ernüchternd sein, wenn neben dem eigentlichen Opfer nach 50 Seiten auch der ermittelnde Kommissar und die beiden Täter tot sind, doch dem Roman eröffnet dies strukturelle Möglichkeiten. Um aber zu verhindern, dass "Yeats ist tot!" eine lose Folge von mehr oder weniger verbindlichen Kurzgeschichten wurde, greift Joseph O´Connor, der das Projekt zusammen mit Roddy Doyle ins Leben gerufen hat, zu diesem Zeitpunkt ein und stellt drei neue Regeln auf: Keine Morde mehr, keine neuen Charaktere und keine Rückblenden. Dadurch soll dem Buch etwas mehr Stringenz verliehen werden. Sein eigenes Kapitel, das neunte, bekennt sich zwar offen zu der Farce, die das Buch inzwischen geworden war, fasst aber auch einige der bedeutsamen Details zusammen und gibt der inzwischen immer unwichtiger werdenden Krimihandlung noch einmal neuen Schub. Hier klärt sich die mysteriöse Formel, die in dem Wohnwagen des Toten gefunden wurde titelgebend auf:

"Wir hatten das Manuskript von James Joyce' letztem Roman. Von ihm selbst geschrieben. Absolut einzigartig. Fast unbezahlbar. - Sie sprechen hier von ,Finnegans Wake', Madam? - Nein. Es gab noch einen weiteren vollendeten Roman. Er wollte ihn veröffentlichen, starb aber bedauernswerterweise, ehe es dazu kam. In Zürich. Und wir haben das Mauskript erworben, meine Schwester und ich. - Ach, ich verstehe. Und wo befindet es sich jetzt? - Es wurde uns gestohlen. Von dem Toten, Thomas Reynolds. Es hieß und heißt ,Yeats ist tot!' Der Titel ist ein Rätsel. Eine Art Rebus, wenn sie so wollen."

"Yeats ist tot!" ist ein Spiel mit Versatzstücken, das nur in seiner intelligenten Komik Bestand hat sowie darin, dass sämtlicher Gewinn der englischen Originalausgabe an Amnesty International ging. Wir lesen hier ein Buch, das sich als Fortführung der Comic-Relief-Kampagnen versteht und darin einfach großartig ist. Denn ursprünglich sollte Joseph O´Connor für Amnesty eine Antologie komischer Geschichten zusammenstellen, entschied sich dann aber, nachdem er mit Roddy Doyle gesprochen hatte, für einen Kriminalroman in Fortsetzung. Beide hatten erste Erfahrungen mit dieser Art von Gemeinschaftsarbeit bereits bei Dermot Bolgars Projekt "Finbars Hotel" gemacht. Doch da war die Struktur insofern anders, als das Hotel die Hauptfigur war, sieben Autoren sieben Gäste beschrieben und sich eine zeitlich und räumliche Kontinuität ergeben musste. Die Fäden, die "Finbars Hotel" zusammenhielten, verliefen also nur in den Nebenhandlungen, und jeder war frei, seine Figuren zu gestalten. Hier nun muss auf irgendeine Art und Weise ein Verbrechen geklärt werden, sei es nun der relativ unspektakuläre Mord zu Beginn, der Verbleib dieses merkwürdigen Manuskripts oder die Machenschaften von Mrs. Bloom und Mrs. Blixen ganz allgemein. Insofern legte Roddy Doyle gleich zwei Schienen, auf denen "Yeats ist tot!" wunderbar ins Ziel gleitet: Zum einen ist es ein Kriminalroman, der sich selbst dekonstruiert und sich auch noch lächelnd dabei zuschaut. Es ist ein Buch voller komischer absurder Einfälle, die für einen eigenen Roman niemand dieser Autoren auch nur entfernt bemüht hätte, eine Farce im besten Sinne, die dann, wenn es niemand mehr erwartet, von Frank McCourt zu einem Happy End geführt wird. Dazu verlegt er die Handlung einfach von Dublin nach Limerick.

Und damit sind wir auch schon bei der zweiten Ebene. Es ist, als wolle er verspätet mit der Stadt seiner unglücklichen Jugend seinen Frieden machen, quasi ein Happy End für Limerick schreiben und darin dem folgen, was Roddy Doyle eben auch angelegt hat: dem Diskurs der Texte und Anspielungen. Nicht nur, dass das Zentrum dieses Romans aus einem verschollenen Joyce-Manuskript besteht, es hängt auch ein Bild des größten irischen Dichters an der Wand des Opfers. Joyces Figuren verselbstständigen sich, so dass einzig Molly, neben Leopold und Tochter Milly aus dem "Ulysses" übrig bleibt:

"Ein Mr. Bloom war, soviel Roberts wusste, nicht vorhanden, war wohl gestorben oder verspeist, lag vielleicht unter den Rosenbüschen. Auch kleine Blooms gab es nicht, keine Fotos in der Diele oder Küche. Es gab nur ihre ganze Pracht und Herrlichkeit."

Nestor, der Mörder, ist der mythische Überbau einer der Nebenfiguren im "Ulysses", und betitelt darüber hinaus das zweite Kapitel. Die Verwandlung von Menschen in Schweine - schon bei Joyce eine Farce in Anlehnung an die "Odyssee" - wird hier zum Kulminationspunkt der literarischen Unterströmungen. Danach geht es zurück zum Krimi, der inzwischen, weil das per Konstruktion nicht einheitliche Subjekt der Erzählung das so wollte, keine Hauptfigur mehr hat und dennoch sein logisches Ende findet. Er löst sich also von seinen eigenen Gesetzen, dies aber mit einem höhnischen Lachen, bei dem all diejenigen spürbar Spaß haben, die im Erfinden von Charakteren mitmischen können. Weniger Spaß hatte wohl Joseph O'Connor, der das Ganze dann auch noch lektorieren musste. Vier Jahre hat es gedauert, bis alle Texte fertig vorlagen. Und alle, die wissen, wie schwierig es ist, mit einem Autor an seinem Text zu arbeiten, können sich vorstellen, was es heißt, mit fünfzehn Autoren zu arbeiten, die noch dazu gemeinsam eine komische und sinnvolle Erzählung zusammenbringen sollen.

Mit dem Humor ist das immer so eine Sache. Zum einen ist er fast immer sehr subjektiv, und das heißt oft schlicht: Nicht witzig. Zum anderen läuft man Gefahr, in der Folge eine Pointe mit der anderen zu erschlagen. Es war also eine gute Entscheidung, nicht einfach eine Anthologie irischer Komik zusammenzustellen und beliebige Texte aneinanderzureihen, sondern ein Buch zu erfinden, das sich selbst als Produkt des Humors darstellt. Hier werden intelligenter Witz, brachiale Fabulierwut und gestalterischer Ernst grandios und unaufgeregt vermischt.

Dieses Buch ist sicher kein Höhepunkt des sprachlichen Ausdrucks, kein poetisches Meisterwerk der irischen Dichtkunst, aber eine in sich spannende literarische Konstruktion und darüber hinaus - auch das wäre im Sinne von Joyce - ein ungeheures Lesevergnügen.

Titelbild

Joseph O'Connor (Hg.): Yeats ist tot! 15 Autoren schreiben einen sehr irischen Roman.Es beginnt mit Roddy Doyle und endet mit Frank McCourt.
Ullstein Taschenbuchverlag, Berlin 2001.
304 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3548680291

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