Ganz oben auf der Wunschliste

Peter Haff bereist in 23 Tagen die Welt

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für jeden liegt das Paradies irgendwo anders; für einige existiert es nur mehr in der Erinnerung. Diese kann zum Klingen gebracht werden, jedenfalls für den 1938 in München geborenen und heute in der Schweiz lebenden Schriftsteller Peter Haff. Durch ein abgegriffenes Buch, aus dem einst die Großmutter vorgelesen hatte, wurde in dem Kind bereits eine unbestimmbare Sehnsucht nach Petra, der geheimnisvollen Felsenstadt der Nabatäer geweckt. Es ist der Klang ferner Verlockung, der Haff und seine Frau spontan zusagen lässt, als ihnen im Oktober 1999 die Teilnahme an einer Reise angeboten wird, die nach "Petra in Jordanien, Muskat in Oman, Rangoon und Pagan in Burma; von dort weiter nach Laos, Vientane und Luang Prabang" führt. Von dort, erfährt der Leser, während sich seine Stirn leicht zu kräuseln beginnt, "sollte Kambodscha angeflogen werden, drei Tage in der Ruinenstadt Angkor Wat. Dann Nepal, Kathmandu und von dort in kleinen Maschinen nach Tiger Tops, einer Lodge im Royal Chitwan National Park. Nordwärts nach China; von Chengdu hinauf in die Eisregionen des Himalaya, Lhasa in Tibet. Die Ziele im letzten Drittel der Reise sollten Ulan Bator in der Mongolei und, als Krönung, Samarkand in Usbekistan sein." All dies in 23 Tagen und für die Kleinigkeit von 70.000 Dollar.

Obwohl die Orte unbestritten "bei jedem von Fernweh Geplagten als Juwelen ganz oben auf der Wunschliste stehen" dürften, sind Zweifel angebracht, ob man diese in Begleitung von rund 80 Snobs besuchen will, die neben ihren zahllosen Neurosen etwa auch ihre Hunde bzw. deren Haarlocken im Portemonnaie mit sich führen. Dubios erscheint auch der Reiseveranstalter, der sich zwar vollmundig "Zegram Expedition" nennt und den Privatjet "Explorer" getauft hat, das Unternehmen aber dergestalt durchorganisiert, dass "zweimal am Tag auf den Zimmern ein auf die Minute ausgearbeitetes Programm für jeden Zielort hinterlegt", welches Hinweise für die Kleidung und ein Kuvert mit lokaler Währung enthält. Trotzdem kapitulieren viele vor den unvermeidlichen Anstrengungen und bleiben im künstlichen Klima der Luxushotels. Darüber zu schreiben, das kann kaum gut gehen. Der Autor selbst formuliert denn auch die schwerwiegendsten Bedenken und verlässt die Gruppe, wo immer es geht. Erst auf diesen Seitenwegen ergeben sich echte Entdeckungen, etwa mit dem einheimischen Guide durch Petra, der in Marburg studiert hat und den Europäer nun mit arabischer Mentalität bekannt macht. Oder in der Familie des tibetanischen Führers, dessen Schwester sich für die, wie sie meint, fortschrittlichen Ideen der chinesischen Eroberer begeistert. Vom amerikanischen Botschafter in Ulam Bator erfährt Haff, dass man den Schamanen holt, wenn der Jeep streikt.

Die Begegnung mit den Weltreligionen kommentiert der Turboreisende mit erfrischend unfrommen Gedanken. "SEIN Lächeln", weiß er über Buddha zu berichten, "erreicht mich nicht." Umso intensiver vertieft er sich in den Bericht eines Vorgängers namens A. Edward-Tonelli, der die "verlorenen Städte" in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgesucht und seine Erfahrungen unter dem Titel "Rosenknospen des Staunens" veröffentlicht hat. Zeitreise. Im Zwiegespräch mit diesem "Künstler des Augenblicks" ergeben sich für den Reisenden an der Jahrtausendwende interessante Einsichten über das Unterwegssein in dieser Welt. Immer mehr gerät das Unternehmen und die Reisegruppe zum Modellfall. Verloren sind die Städte nur dann, wenn der Mensch sich selbst verliert. "Wenn du das Paradies suchst", wird Haff von einem weltweisen Begleiter belehrt, "fang die Suche bei dir an."

Titelbild

Peter Haff: Die ungenaue Lage des Paradieses. Eine Reise zu verlorenen Städten. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2001.
343 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3630870902

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