Rebellinnen

Die Lebensgeschichte zweier Feministinnen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie man weiß, präsentieren sich die Beiträge eines wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazins in einem unverkennbar eigenen Stil. Gleiches gilt für ein kaum weniger bekanntes politisches Frauenmagazin. In dessen Stil ist - mit all seinen Stärken und Schwächen - auch die Doppelbiographie der Feministinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann gehalten, als deren Autorinnen die Journalistin Anna Dünnebier und die Psychologin Ursula Scheu firmieren. Dünnebier ist unlängst als Mitautorin einer Alice Schwarzer-Biographie hervorgetreten und Scheu gab seinerzeit zusammen mit Schwarzer den inzwischen eingestellten Frauenkalenders heraus. Auch darüber hinaus sind beide Autorinnen "EMMA" und ihrer Herausgeberin auf vielfältige Weise freundschaftlich und politisch verbunden. Die stilistische Verwandtschaft mit der journalistischen "EMMA" ist daher durchaus nicht ganz zufällig.

Nun ist ein politisches Frauenmagazin keine wissenschaftliche Abhandlung, und so werden auch diejenigen enttäuscht werden, die von dem Buch eine Arbeit erwarten, die wissenschaftlichen Kriterien genügt. Gleich reihenweise finden sich unausgewiesene Zitate, unter anderem aus den Tagebüchern und Briefen der "Schwabinger Bohème-Gräfin" Franziska zu Reventlow oder aus den Lebenserinnerungen Helene Stöckers. Auch eine Botschaft des Papstes "an seine Schäfchen" wird zwar ausführlich aber ohne Quellenangabe zitiert. All diese Texte haben nicht einmal Aufnahme in das Literaturverzeichnis gefunden. Auch scheint Quellenkritik den Autorinnen geradezu ein Fremdwort zu sein. Darüber hinaus haben sich einige, allerdings eher randständige, Ungenauigkeiten eingeschlichen. So heißt es etwa über Reventlow, sie sei durch ihre satirischen Bücher bekannt gewesen, als Augspurg und Heymann sie Anfang des Jahrhunderts kennen lernten. Ihren ersten satirischen Roman hat Reventlow jedoch erst mehr als zehn Jahre später verfasst. Und wenn man es schon für nötig erachtet, die Staatsangehörigkeit von Rosa Luxemburg zu betonen, dann sollte man sie nicht schlicht als "Deutsche" bezeichnen. Luxemburg war eine gebürtige Polin, die durch eine Scheinehe mit Gustav Lübeck 1898 die preußische Staatsangehörigkeit erhielt.

Auch wenn es den Autorinnen nicht darum ging eine wissenschaftliche Arbeit vorzulegen, sondern ein populäres lebendiges Bild vorbildlicher Feministinnen zu zeichnen - was ihnen zweifelsfrei gelungen ist -, so handelt es sich bei solchen Unterlassungen und Mängeln doch um leicht zu vermeidende Ärgernisse. Auch stören gelegentlich auftretende Klischees, wie das der "russischen Anarchistin, strebsamen Deutschen und selbstbewussten Amerikanerin".

Wohltuend ist hingegen, dass die Autorinnen bei aller - nachvollziehbaren - Sympathie für Heymann und Augspurg vor Kritikwürdigem nicht die Augen verschließen. Desgleichen ist zu begrüßen, dass Dünnebier und Scheu nicht vorgeben, sämtliche Details aus dem Privat- und Intimleben ihrer Protagonistinnen zu kennen, oder gar (notwendig) Unbekanntes durch phantasievolle Erdichtungen substituieren, sondern dass sie es im Gegenteil strikt vermeiden, sich einem voyeuristischen Interesse an intimen Details anzudienen.

Im Untertitel werden Augspurg und Heymann als das "schillerndste Paar der Frauenbewegung" vorgestellt. Das mag manchem zu marktschreierisch klingen, doch nach der Lektüre des Buches kann man sich vorstellen, dass sie nicht nur das schillerndste, sondern vielleicht auch das radikalste und kämpferischste Paar der Frauenbewegung um die Jahrhundertwende bildeten. Anders als der Untertitel vielleicht erwarten lassen könnte widmet sich das Buch nicht nur der gemeinsamen Zeit von Augspurg und Heymann, sondern ebenso ihren Wegen bis zum ersten Zusammentreffen - sie lernten sich 1901 kennen und bezogen zwei Jahre später in München, der damaligen Metropole der "Bohème, Exzentriker und Emanzen", eine gemeinsame Wohnung.

Die Autorinnen bieten nicht nur eine Darstellung der Lebenswege ihrer Protagonistinnen, sondern gewähren darüber hinaus Einblicke in den alltäglichen Sexismus zur Zeit des Fin de siècle und die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. So liefen um 1900 etwa Frauen, die es in Hamburg wagten, alleine durch die Straßen der Stadt zu gehen, Gefahr als mutmaßliche Prostituierte festgenommen, auf ein Polizeirevier geschleppt, zwangsentkleidet, beleidigt und begrapscht zu werden. An anderer Stelle illustrieren die Autorinnen unter anderem an einem Text von Ernst zu Reventlow, dem Bruder der bereits erwähnten Franziska zu Reventlow, wie Antifeminismus und Antisemitismus Hand in Hand gingen. Natürlich zeichnen Dünnebier und Scheu aber vor allem die Geschichte der sogenannten ersten Frauenbewegung nach, die ja eng mit dem Leben Augspurgs und Heymanns verknüpft ist.

Bei dem ersten Zusammentreffen der Beiden auf einem Internationalen Frauenkongress in Berlin war die damals 34-jährige Augspurg schon eine erprobte Kämpferin der Frauenbewegung, während die zehn Jahre jüngere Heymann noch am Anfang ihrer langen kämpferischen Karriere stand. Schon bald verbanden die "herbe Kühle aus dem Norden mit dem heißen Gerechtigkeitsgefühl" und die "flippige Exzentrikerin aus dem Süden mit ihrer intellektuellen Schärfe" eine Reihe von Gemeinsamkeiten: "der Frauenkampf, die Naturliebe, die Achtung vor den Tieren, die Goethe-Verehrung und die Freude an Musik und Malerei" - und ebenso bald gehörten sie zu den führenden Köpfen der sogenannten "Radikalen", deren Radikalität sich etwa in der Forderung nach dem Stimmrecht für Frauen und der Gründung des ersten Mädchengymnasiums auf deutschem Boden ebenso ausdrückte, wie aber auch darin, dass Heymann den Hamburger Senat wegen Zuhälterei anklagte oder Augspurg nicht nur den Schwangerschaftsabbruch straffrei wissen wollte, sondern ebenfalls die Kindstötung unmittelbar nach der Geburt.

Sie und die anderen "Radikalen" befanden sich in ständiger Auseinandersetzung mit den "Gemäßigten" um Helene Lange und Gertrude Bäumer, denen schon die Forderung nach dem Frauenstimmrecht zu weit ging, aber auch mit den Sozialdemokratinnen, allen voran Klara Zetkin und ihre frühere Kampfgefährtin Lily Braun, die in den Radikalen wohl nichts weiter als - bestenfalls wildgewordene - Kleinbürgerinnen sahen. Die verschiedenen Kontroversen zwischen den drei Fraktionen der damaligen Frauenbewegung stehen immer wieder im Mittelpunkt des Buches. Leider erfährt man gelegentlich mehr über die Art und Weise, wie die "Kräche" mit Zetkin oder die Querelen mit den Gemäßigten ausgetragen wurden ("natürlich nicht frei von Beleidigungen und Intrigen") als über die ausgetauschten Argumente. Zetkin, so die Autorinnen, sah in Augspurg eine "typische Luxusfrau, die von ihrem 'Atelier Elvira' lebte, ohne noch dafür zu arbeiten". Umgekehrt hielt Augspurg die Sozialdemokratin für eine "typische Funktionärsfrau, lustlos und ehrgeizig, die rigide alle anderen Meinungen unterdrückte". Augspurgs Urteil dürfte zweifelsfrei das zutreffendere gewesen sein, wobei anzumerken ist, dass Augspurg die rigorose Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen selbst auch nicht so fremd war.

Auch innerhalb der "Radikalen" kam es zu wiederholten inhaltlichen Streitigkeiten, die auf kaum zu lösende Weise mit persönlichen Zu- und Abneigungen verquickt waren. So bildeten Augspurg, Heymann und Minna Cauer, sämtlich im Vorstand des "Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine", und Katharina Erdmann, die für dessen Propaganda-Ausschüsse zuständig war, ein "Beziehungsviereck aus gewesener, gegenwärtiger und entstehender Liebe, voller Eifersucht, Hoffnung, Abneigung und unterschwellig brodelnder Gefühle, wie es konfliktreicher kaum vorstellbar ist".

War Augspurg in den ersten Jahren aktiver als Heymann, so war diese nach Ausbruch des 1. Weltkrieges die engagiertere und publizierte bereits Anfang September 1914 in der Zeitschrift "Frauenbewegung" die "erste öffentliche Äußerung gegen den Krieg" überhaupt. Im folgenden Jahr brach sie gar ein bislang unangetastetes Tabu und geißelte auf dem Frauenfriedenskongress in Den Haag die Massenvergewaltigungen durch Soldaten aller kriegsführenden Staaten, wofür sie von den anwesenden Frauen tosenden Applaus erntete. Das hinderte nach Ende des Krieges die vorübergehend siegreichen Revolutionäre in Bayern allerdings nicht daran, sogleich die männliche Tradition der Massenvergewaltigung fortzuführen, wie Ernst Toller in seinen Erinnerungen "Eine Jugend in Deutschland" berichtet.

Nach 1914 erwiesen sich Heymann und Augspurg 1923 ein zweites Mal als unzeitgemäß hellsichtig, als sie noch vor Hitlers gescheiterten Putschversuch mit dem Marsch auf die Feldherrenhalle dessen Ausweisung beantragten. Mit dazu beigetragen haben mag der Terror der Nationalsozialisten, dem sie - wie alle, die als links, jüdisch oder feministisch galten - seit Anfang des Jahrzehntes ausgesetzt waren. Bekanntlich wurde dem Antrag auf Ausweisung Hitlers nicht statt gegeben. Stattdessen mussten Augspurg und Heymann selbst die Jahre ab 1933 im Exil verbringen, wo sie 1943 innerhalb weniger Monate verstarben.

Titelbild

Anna Dünnebier / Ursula Scheu: Die Rebellion ist eine Frau. Anita Augspurg und Lida G. Heymann - Pionierinnen der Frauenbewegung.
Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen 2002.
320 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3720522946

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