Preiswürdiges Totenlied
Erich Wolfgang Skwaras Werk mit dem Hermann-Lenz-Preis 2002 ausgezeichnet
Von Saskia Schulte
Die Titel der Bücher Erich Wolfgang Skwaras sollten nicht auf den Buchrücken geprägt sein, sondern vorne und wie in Stein gemeißelt stehen. Denn seine Bücher sind Grabsteine, und ihn zu lesen heißt auch, einen Friedhof abzuschreiten. Seine Literatur ist ein Totenlied, das angestimmt ist, um die Vergänglichkeit der Zeit, der Menschen, der Liebe und den Untergang unserer Kultur zu besingen. Die Sprache dagegen, in der dies sich vollzieht, ist lebendig. Skwaras Bücher sind keine toten Bücher: Sie sind lyrisch und schön und melancholisch zugleich.
Der bisher letzte Roman "Zerbrechlichkeit oder Die Toten der Place Baudoyer" (2002) handelt vom Vergehen der Zeit: Erzählt wird von der Liebe, vom Verlust, vom Warten. Die Figuren scheitern. Sie scheitern daran, dass die Zeit für sie zu kurz ist, zu lang, oder daran, dass sie überhaupt vergeht.
Für Erich Wolfgang Skwara selbst ist die Zeit natürlich auch vergangen, doch ist er in literarischer Hinsicht nicht gescheitert: Sein Werk ist umfangreich und anspruchsvoll.
Man kennt ihn bei uns kaum: Erich Wolfgang Skwara lebt in San Diego und Paris und geboren wurde er 1948 in Salzburg. Er studierte Musikgeschichte und Romanistik in Paris. 1975 begann er in den USA zu lehren, ein zusätzliches Germanistikstudium schloss er ab mit einer Promotion über Hans Sahl. Professor of Humanities, Comparative Literature and German an der San Diego State University ist er seit 1986. Neben seiner Lehrtätigkeit ist er auch Übersetzer, Reiseleiter und Mitglied des Internationalen P.E.N.
Vor allem aber ist er Dichter und Schriftsteller: Schon 1971 erscheint sein erster Gedichtband "Am Feuer deines Lachens", drei weitere Gedichtbände folgen ("lotverschlossen" und "schlage mich aus" im Jahre 1973, "blindheit schwester" 1975). Der erste Roman "Pest in Siena" erscheint 1976, und wird 1983 bei Ullstein neu aufgelegt. (Im Jahre 2001 wurde der Roman samt eines Tagebuchs seiner Entstehung nochmals veröffentlicht!) 1979 erscheint der Roman "Schwarze Segelschiffe", 1981 "Totenengel und andere Prosa".
Der 1985 erschienene Roman "Bankrottidylle" handelt von einem Professor an einer Universität in den USA, der eine "cool million" auftreiben muss, um seine (geisteswissenschaftliche) Abteilung vor dem Untergang zu retten. Was vordergründig wie eine Satire anmutet, ist aber im bitteren Ernst ein Beobachten des Niedergangs der Kultur. Was sich nicht auszahlt, soll nicht mehr gelehrt werden. Wenn das Geld nicht stimmt, sind die Werte nichts mehr wert.
1987 erscheint ein weiterer Gedichtband mit dem Titel "Den Abschied proben". Seine von 1987 bis 1997 geschriebenen Gedichte sind versammelt in dem Band "Nach dem Norden" von 1998. Skwara zeigt sich hier als besonders feinnerviger Dichter, der Untertöne und ruhige, zarte Worte mit sprachlicher Kraft und Leidenschaftlichkeit zu verbinden und zu nuancieren weiß.
"Eis auf der Brücke", ein Roman um Liebe, Schuld und Nicht-Vergessen, erscheint 1991. Wie eine Parabel über die Sehnsucht ist der 1992 veröffentlichte Roman "Tristan Island" geschrieben. "Die heimlichen Könige" von 1995 erzählt vom Erinnern, von der Liebe und vom Sterben. Dass nicht die Zeit, sondern die Liebe die Erinnerungen eines Menschen diktiert, und dass der Tod nicht das Vergessen mit sich bringt, davon schreibt Skwara vor allem in diesem Roman. Und er bezwingt es mit magnetisierenden Worten.
In seiner Erzählung mit dem Handke-Titel "Versuch einer Heimkehr" (1998) wiederum lotet Skwara mit Worten Lebensabschnitte aus. Der Protagonist, der zu Beginn nur "der Sohn" ist, wird auch zum "Verschwender, Mörder, Versager, Verführer". Es wird ein Leben über Zuschreibungen erzählt, und doch bleibt Skwaras Sprache, und das scheint unvermeidlich, poetisch.
"Anruf aus Rom" (1999) nennt Skwara im Untertitel "Eine Zwischengeschichte". Dies nicht nur, weil es eine kürzere Geschichte ist (sie steht gedruckt auf 68 Seiten), die zwischen längeren steht, oder weil der Autor sie vielleicht für eine kleinere Geschichte zwischen größeren sieht. Es ist auch die Geschichte von Martin, der zwischen Leben und Tod steht, der seine Schlaftabletten bei sich trägt, dem die Aussicht auf den möglichen Tod eine Art zu Leben ermöglicht. Martin, der zwischen Frauen steht: der seine Geliebte Andrea vermisst, aber auch seine von ihm getrennte Frau Gabriele liebt, und Maria, die in Stein gehauen ein Grab in Rom schmückt, und dann Daniela, mit der er die Nacht verbringt - aus Sehnsucht (zu allen).
Skwara ist ein Autor, der nicht nur kulturell gebildet ist, seine Kenntnis geht über wissenschaftliches Verstehen weit hinaus. Skwara ist einer derer, die das Vergangene aufrechterhalten, für ihn ist Kultur etwas Lebendiges, ohne die der Mensch als Mensch scheitern muss. Der Zerfall von kulturellen Werten ist immer wieder Thema des Autors. Er verweigert sich somit der Ignoranz literarischer Moden. Und gerade in seiner Verweigerung, sich zur rechten Zeit einer Strömung anzuschließen, wird sein Werk zeitlos.
Doch er, der sich dem Zeitgeist nicht unterwirft, scheint seinen Bildern unterworfen zu sein, und er unterwirft - sanft - mit Sprache. Selten findet sich in der heutigen Literatur eine solche Poesie, die nicht auf der rein wortschöpferischen oder der visuellen Ebene Bilder schafft. Skwaras Bilder sind Bilder von Seelenlandschaften. Skwaras Literatur ist reife Literatur, weil sie Tiefen auslotet, die junge Literatur (noch) nicht ergründen kann. Er selbst schrieb 24-jährig in sein "Tagebuch zur Probe", er würde gerne eine "Prosa im Zenit" schaffen: "Ich traue mir solche Prosa zu, aber später erst, später." Mit "Zerbrechlichkeit oder die Toten der Place Beaudoyer" steht seine Literatur auf diesem Zenit, steht sie auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Wir schreiben das Jahr 2002. Erich Wolfgang Skwara wird Mitte Juni in München der Hermann-Lenz-Preis verliehen. Für eine solche Würdigung wurde es höchste Zeit.