Was ist eigentlich ein Daxophon?

Über den Komponisten Heiner Goebbels

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heiner Goebbels gehört unbestritten zu den innovativsten Komponisten und Musikern der Gegenwart. Seine experimentellen Stücke für das Musiktheater, seine Orchesterwerke und nicht zuletzt seine vielfach ausgezeichneten Hörspiele sind einem großen Publikum vertraut. Zu seinem diesjährigen 50. Geburtstag erscheint im Berliner Henschel Verlag ein ansehnlich und reich gestalteter Band mit Aufsätzen von und über Heiner Goebbels, herausgegeben vom Musikredakteur der F. A. Z. Wolfgang Sandner.

Der klug gewählte Titel der Essaysammlung, "Komposition als Inszenierung", nimmt die Bandbreite der künstlerischen Mittel Goebbels' vorweg. Der in Neustadt an der Weinstraße geborene Künstler schert sich nicht um Dogmen des musikalischen Schaffens, um Reinheit oder Einheitlichkeit des Werks, er verwendet Geräusche musikalisch, gebraucht den Sampler ausgiebig, lässt Text gleichberechtigt erklingen und verwendet das Aufnahmestudio als Kompositionsinstrument; Sandner spricht von einer fehlenden "Hierarchisierung der Klänge". Dies scheint das Rezept des Komponisten zu sein, etwa im Umgang mit literarischen Vorlagen, dem "illustrativ interpretierenden Quatsch" zu entgehen. Er will vielmehr, wie er es anhand der Vertonung von Texten Heiner Müllers ausführt, "strukturelle Angebote dieser Texte" zu musikalischen machen, ohne sie auf ihre Klangmittel zu reduzieren. Müllers Textbruchstücke, die so oft Bestandteil seiner Musik wurden, bleiben nicht die einzigen Ausgangspunkte, Goebbels' Wirken zu reflektieren. Wolfgang Sandner stellt Vergleiche mit Mauricio Kagel oder John Cage an, die Sprachbehandlung bringt er mit Ernst Jandl in Verbindung, der einst Cages "Silence" ins Deutsche übertrug, und die räumliche Inszenierung der Szenischen Konzerte führt er auf einen bildenden Künstler zurück, von dessen Gemälden Goebbels sich fasziniert zeigt. Die gleichberechtigte "Balance aller Elemente und Details" in den Bildern des Barockmalers Nicolas Poussin, die verhindert, den Blick auf eine zentrale Hauptsache zu richten, sei auf die Herangehensweise und Ausgestaltung des Komponisten und Regisseurs zu übertragen. Wie Poussin seinen malerischen Ausdruck nach dem musikalischen Vorbild der Antike abstimmte, den Stimmungsgehalt seiner Bilder in fünf "Tonarten" charakterisierte, ja wie er Vorlagen für seine Bilder schuf, indem er wächserne Skulpturen auf Bühnen positionierte, um etwa den exakten Lichteinfall zu bestimmen, so dermaßen individuell und akribisch, geradezu plastisch gehe Goebbels bei der Planung seiner Musikteaterstücke vor, bei denen Bühnenbildner, Schauspieler, Beleuchter und Musiker in den Schaffensprozess eingebunden werden, noch bevor das Stück in einer Partitur festgehalten wird.

Einen rein musikalischen Anspruch gibt es bei Goebbels nicht, ein politischer Zusammenhang tritt stets hinzu, auch wenn dieser sich nicht in eindimensionalen Parolen äußert. So rechnet Sandner etwa Goebbels' Sozialisation im Frankfurt der 70er Jahre zu den elementaren Voraussetzungen einer "angewandten" Musik. Beispielhaft für die nicht zu trennende Verbindung von Politik und Kunst ist allein Goebbels' Diplomarbeit zu nennen, mit der er sein Soziologiestudium abschloss: "Zur Frage der Fortschrittlichkeit musikalischen Materials. Über den gesellschaftlichen Zusammenhang kompositorischer Maßnahmen in der Vorklassik und bei Hanns Eisler". Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Eisler sollte den Mitbegründer des "Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters" später auch künstlerisch anregen. Immer wieder taucht Eisler als unzeitgemäße, bewunderte wie in einen historischen Kontext verbannte Leitfigur in Goebbels' Werk auf: Von den Anfängen einer Schallplatte wie "Hört Hört!", die Free Jazz-Hommage der "Vier Fäuste für Hanns Eisler" bis zum jüngst erschienenen, mit dem Ensemble Modern eingespielten "Eislermaterial". Dazwischen liegen zahllose Stationen einer musikalischen Biographie, die wandlungsreicher kaum auszudenken ist, ohne je unter den Verdacht angepasster Beliebigkeit zu geraten: erste Hörspiele, die No Wave- oder Art Rock-Gruppe "Cassiber", Bühnen- und Filmmusik (z. B. für Filme von Helke Sander oder Hans Neuenfels), ein wirkungsmächtiges Hörspiel wie "Schliemanns Radio", Installationen (etwa auf der Documenta VIII) und etliches mehr. Wolfgang Sandner zeichnet diese künstlerische und persönliche Entwicklung kenntnisreich nach, auch wenn sie sich nicht auf einen roten Faden reduzieren lassen wird. Andere Aufsätze gehen auf Details ein, einzelne Hörstücke wie "Verkommenes Ufer", das Helmut Heißenbüttel anlässlich der Verleihung des Karl-Sczuka-Preises an Goebbels vorstellt, oder auf Aspekte der Theaterarbeit. Der Komponist selbst hat zahlreiche Essays zur Verfügung gestellt, so dass subjektive Wahrnehmung und Blick von außen in diesem Band gelungen ineinandergreifen. Neben dem sehr sorgfältigen Werkverzeichnis mit Diskographie sei die unscheinbare "Materialausgabe" am Ende des Buches hervorgehoben. Diese versammelt die Musikkolumnen Goebbels', die er zwischen 1990 und 1995 in der Schweizer "Wochen-Zeitung" publizierte. Sie bieten einen unterhaltsamen und humorvollen Einstieg in Goebbels' Vorstellung von Musik, beinhalten Anspieltipps und Verrisse, bestätigen einmal mehr seine Neigung zu den Popsongs von "Prince", bringen Verschüttetes zutage wie Erik Mälzners Cassette "Kitsch As Kitsch Can" oder erklären einem schlicht, was eigentlich ein Daxophon ist. Ein schönes Geschenk, nicht nur zu Heiner Goebbels' Geburtstag.

P.S.: Das Daxophon ist in Goebbels' Worten "ein mit einem Bassbogen angestrichenes Holzbrettchen, dessen klingendes Ende mit einem handlichen Klötzchen in der Tonhöhe verändert wird. Das Ganze wird über einen Tonabnehmer verstärkt."

Titelbild

Heiner Goebbels. Komposition als Inszenierung.
Herausgegeben von Wolfgang Sandner.
Henschel Verlag, Berlin 2002.
240 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3894874317

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