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Elias Canettis "Aufzeichnungen 1973 - 1984" werfen Fragen auf

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein ganzes Schriftstellerleben lang begleiteten Elias Canetti seine Aufzeichnungen - eine Zusammenstellung von Reflexionen, Aphorismen, Entwurfsskizzen und ähnlichem. Die bisher erschienenen Aufzeichnungsbände "Die Provinz des Menschen", "Das Geheimherz der Uhr" und "Nachträge aus Hampstead" werden nun durch einen Band vervollständigt, der Aufzeichnungen aus den siebziger und achtziger Jahren vereinigt, also aus den Jahren, in denen Canetti seine dreiteilige Autobiographie schrieb.

In den "Aufzeichnungen 1973 - 1984" finden sich in kurzer, prägnanter Form Bemerkungen zu seinen Essays und Theaterstücken, seinem Roman "Die Blendung" und seinem philosophischen Hauptwerk "Masse und Macht". Canettis lebenslange Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Masse, dem Individuellen und dem Typischen wird hier abermals deutlich. Reflexionen über sein eigenes Leben, seine "Buchorgien", sein jahrelanges Fasziniertsein von Karl Kraus und den Themen Alter und Tod werden begleitet von zum Teil gewagten Gedankensplittern zu Literatur, Religion, Geschichte, Mythologie und Philosophie. Äußerungen über Brecht, Musil, Kafka, Flaubert, die Bibel, Wagner etcetera lassen Canettis eigene Literaturauffassung erkennen. Seine Aufzeichnungen enthalten kurze Anekdoten und zahlreiche Zitate, zum Beispiel von Pindar und Emerson. Immer wieder finden sich auch Bemerkungen, die Canettis Glauben an Bildung und Humanität ausdrücken: "Es ist nutzlos, es ist sinnlos, es ist auch verächtlich, die Menschheit als verloren aufzugeben. Es gibt eine einzige Möglichkeit, bis zum letzten Atemzug auf einen Ausweg zu hoffen, den wir noch nicht kennen. Es ist gleichgültig, wie man diese Hoffnung nennt, wenn sie nur besteht."

Die lose aneinandergefügten, kurzen Aufzeichnungen zeigen den kritischen, unbequemen Denker Canetti. Viele seiner konzentrierten Gedankensplitter finden sich in ausgestalteter Form in seinen Werken wieder. Die Notizen wiederum dienten Canetti als Experimentierfeld, in dem er Geschichten und Reflexionen festhalten konnte. Die Ordnung seiner Bemerkungen ist deshalb auch nicht immer leicht zu durchschauen. Die scheinbar zusammenhanglose Aufeinanderfolge der Aufzeichnungen kann oft nur von Canettiexperten durchschaut werden, hier wäre wohl eine kurze Kommentierung oder eine Vorbemerkung sinnvoll gewesen. Zugleich setzen die Aufzeichnungen ein großes kulturwissenschaftliches und philosophisches Vorwissen voraus.

Doch Canetti läßt dem Leser Platz für eigene Reflexionen: "So sind die Aufzeichnungen zu einer Form geworden. Es ist kein Ende ihrer Fassungskraft. Alles, was darin fehlt ist wichtig. Der Leser bringt sich selbst als Ergänzung." Der unvollständige Charakter des Buches bietet Freiräume an, in denen Canettis Gedanken weitergesponnen werden können.

Titelbild

Elias Canetti: Aufzeichnungen 1973-1984. (Werke).
Carl Hanser Verlag, München 1999.
120 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3446197737

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