Gedichte atmen Blütenduft

Michael Donhausers Textband "Sarganserland"

Von Klaus EngelsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Engels

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Michael Donhauser hatte in seinem Essay "Zum Gedicht, dem europäischen" - in der Zeitschrift "Das Gedicht" (1997) - die Frage nach einer europäischen Lyrik mit der These beantwortet, es könne keine solche Lyrik geben, da Poesie regional sei. Denn sie beziehe "ihre Kraft aus dem terroir, der Erde, Lage und ihrer Beschaffenheit, den geologischen und energetischen Vorgaben". Ein einheitliches europäisches "terroir" gebe es aber nicht, so Donhauser. In seinem nunmehr sechsten Gedichtband ist die Verbundenheit mit dem terroir gewährleistet: Das Buch widmet sich der schweizer Region Sarganserland, in deren Nähe, im liechtensteinischen Vaduz, der Autor geboren wurde und wo er heute lebt.

Mit den rund sechzig titellosen Gedichten des Bandes folgt Donhauser seiner postulierten Lyrikauffassung: Die Texte sind vorwiegend Wahrnehmungs- und Empfindungsberichte vor dem Hintergrund der Natur der Heimatregion. Wie die vorausgegangenen Bände ist auch "Sarganserland" beherrscht vom Repertoire der heimischen Flora. In üppiger Fülle ist von duftenden Früchten, laubbehängten Bäumen, von Anis, Holunder, Hagebuttenzweigen und Quittenblüten die Rede. So atmen die Texte blütenduftenden Frühling oder häufiger den von reifen Früchten schweren Herbst. Auch andere Motive, wie melancholische Liebesthematik, werden in den Kontext der Naturwahrnehmung eingebettet und sind nicht selten von Naturmetaphern begleitet: "Guter feuchter Lehm, das / fingerleise oder Wiegen mit / Knospen, Gezweige, wo bist / sagte ich, Liebende, du, wir / waren Felder, Wintersaat". Die ländliche Idylle bleibt allerdings nicht ungetrübt. Immer wieder werden den Naturschilderungen Gegenstände der industriellen Zivilisation, die sich scheinbar gar nicht zur poetischen Sprache eignen, in scharfem Kontrast gegenübergestellt: Angefangen beim Straßenrandgras der Schotterränder, über Schienenstränge, Wohnlager und Kieswerke, bis hin zu den sehr prosaischen Landwirtschaftsstraßen und Milchtankwagen.

"Wege waren / waren Wege / Talschaften / und Felder //

Wiesen lagen / weitgebreitet / hügelan / naher Schlaf //

Hecken säumten / Regenstraßen / war es lang / warst es du //

Trockenbuchten / unter Bäumen / Staub zu Staub / Nässespur //

Milchtankwagen / schwere Ähren / Honig floß / Wein und Blut"

In seinen ersten Gedichtbänden war Michael Donhauser mit umfangreichen Prosagedichten hervorgetreten. Bereits in seinem 1994 erschienenen Buch "Das neue Leben. 78 Dreizeiler", ist aber eine deutliche Reduktion in seiner Sprache festzustellen. "Sarganserland" zeichnet sich nun, abgesehen von der letzten der sechs Abteilungen des Buches, durch strophisch gegliederte, äußerst kurzzeilige Texte aus. Die poetische Wirkung der durchgehend ungereimten Gedichte liegt vor allem im Sprachrhythmus, der von Zeilensprüngen dominiert wird und in der gehäuften Verwendung von Attributen der Natur. Die unvermittelt auftretenden Versatzstücke der Zivilisation wirken wie Fremdkörper; in der Tradition der zivilisationskritischen Haltung der Naturlyrik dienen sie dem Kontrastreichtum der Situationen sowie der Spannung der Texte. Donhausers reduzierte, fragmentarische Sprache ist allerdings nicht leicht zu dechiffrieren. So vermitteln die Gedichte selten mehr als ein Stimmungsbild: Eindrücke von Liebe, Natur und den Einschnitten durch die Zivilisation. Mit diesen Motivkomplexen bleibt der Autor seinen bevorzugten Themenfeldern treu; Donhauser-Kennern wird in "Sarganserland" außer der Form nichts Neues begegnen. Wer aber Donhausers Kosmos aus Pflanzen, Früchten und schwellender Natur schätzt, oder wer eine Variante des Naturgedichts der Gegenwartslyrik kennenlernen möchte, dem sei das Buch empfohlen.

Titelbild

Michael Donhauser: Sarganserland. Gedichte.
Urs Engeler Editor, Basel 1998.
86 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3905591073

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