M wie Mutter

Nichts ist wie Zsuzsanna Gahse

Von Antje KrügerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Krüger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Texte von Zsuzsanna Gahse sind so, wie sich viele Leser die ideale Lektüre vorstellen. Mit dem letzten Satz reißt der Faden der Erzählung nicht ab, wird aufgerollt und in ein Bücherregal eingeordnet, sondern der Text scheint in Bewegung zu bleiben, fordert einen neuen Anfang, ein Weiterlesen, Weiterdenken. Ähnlich ergeht es der Frage nach der Eindeutigkeit. Die Texte bleiben offen, faszinieren dadurch, daß sie bei jeder neuen Lektüre zu anderen Fragen führen. "Jeder Satz ist eine Antwort auf einen anderen, vorangehenden", schreibt die Autorin, und so erscheint ihr Schreiben wie ein Dialog, der sich kontinuierlich weiterentwickelt, ohne an einem Punkt stehen zu bleiben und "Geschichte" zu werden.

Dieser Kunstgriff, eine Geschichte entstehen zu lassen, ohne sie bereits in die Ecke des Vergangenen einordnen zu müssen, gelingt Zsuzsanna Gahse in vielen Texten. In "Nichts ist wie oder Rosa kehrt nicht zurück" wird diese Ausdrucksfähigkeit noch gesteigert. So lenkt die Autorin den Blick zunächst in die Vergangenheit und nimmt den Faden der Erzählung mit den Ereignissen des Aufstandes in Ungarn in den 50er Jahren auf. Detailliert beschreibt Zsuzsanna Gahse einzelne Wahrnehmungen, in deren Zentrum die Beziehung des erzählenden Ichs zu der Figur Rosa steht. Beide verlassen Ungarn, flüchten über die "grüne" Grenze nach Österreich, finden sich im Auffanglager und in Wien wieder, wo der Koffer zum "Hauptwohnsitz" wird. Im weiteren Verlauf bleibt die Erfahrung des "Unterwegsseins" für beide Figuren dominant, sie bleiben auf der Suche nach eigenen Orten in Städten.

Diese Perspektive erscheint wenig ungewöhnlich: "Geschichte" wird thematisiert, die die Autorin selbst erlebt hat. Im Vergleich zu vorhergehenden Texten erstaunt der Zeitbegriff. So zeichnete sich die Erzählung "Kellnerroman" (1996) dadurch aus, daß sie sich konsequent auf die unmittelbare Gegenwart konzentrierte. Fokussiert wurde der Augenblick, das Jetzt, womit die Autorin auf ein Problem der Moderne reagierte.

Somit überrascht "Nichts ist wie oder Rosa kehrt nicht zurück" zunächst, da es hier offensichtlich um erzählte Geschichte geht. Der Roman ergänzt die Frage nach der Gegenwart mit der Frage nach der Vergangenheit, ohne jedoch historisch erzählen zu müssen. Zsuzsanna Gahse gelingt es hier, das Zeitproblem moderner Erzählungen um die Dimension der Bewegung zu erweitern. "Rosa kehrt nicht zurück" heißt es im Untertitel, und damit scheint auch der Zeitfluß gemeint zu sein, der im Hinblick auf die Protagonistin abgebildet wird: So wird der Text nicht von dem Blick der Vergangenheit her festgeschrieben, sondern eine Vielzahl von Variablen angeboten, die den Text konstituieren. Die Erzählung bietet keine lineare Abfolge von Ereignissen an, sondern bezieht sich auf einzelne Augenblicke, wobei der Fokus variiert oder in der Wiederholung neu "eingestellt" werden kann. Die Vergangenheit löst sich bei Zsuzsanna Gahse somit nicht in der Gegenwart auf, sondern die Zeitformen könnten als "synchronisiert" bezeichnet werden, wobei "Verzerrungen nicht ausbleiben", wie das erzählende Ich schreibt.

Dieser Blickwinkel eröffnet sich mit der eindrucksvollen Beschreibung von "Synchronfotografien" im Text, die der Vater Rosas sammelte: "Es gab drei Schubladen voller Synchronaufnahmen, quadratische Doppelfotos, die auf dickes Papier aufgezogen waren..." und "man hatte ein lebensechtes, mehr als lebensechtes dreidimensionales Bild vor sich." Die Fotografien erhalten hier einen hohen plastischen Charakter, den der Leser auch bei anderen Formen der Beschreibung erleben kann.

"Nichts ist wie" - der erste Teil des Titels scheint gleichermaßen die zweite Prämisse des Schreibens Zsuzsanna Gahses zu bestimmen. Bereits in dem Text "Hundertundein Stilleben" von 1991 weist die Autorin darauf hin, daß das "Wie", der Vergleich, für das Erzählen längst "zu Grabe getragen wurde". Konsequent verzichtet Zsuzsanna Gahse auch in "Nichts ist wie oder Rosa kehrt nicht zurück" auf Vergleiche, Symbole und Ähnlichkeiten. "Wichtig ist aber auch, nicht auf andere zu schließen, nicht zu vergleichen, nichts ist wie, Ähnlichkeiten lenken vom Hinschauen ab." Das "Hinschauen", die Beobachtung, wird für das erzählende Ich zum Brennpunkt der Wahrnehmung, da "alles so aussieht, wie es ist". In den Vordergrund tritt so das ausgeprägte Sprachbewußtsein, wobei die Sprache des erzählenden Ichs im Text immer wieder selbstreflexiv befragt wird. Ursprungsformen der Wörter, aber auch deren Transformationen werden aufgesucht und in den Kontext mit dem "Unterwegssein" Rosas und des erzählenden Ichs gestellt: "Aber die Veilchen verlieren auf deutsch den ganzen Duft. Fresien hingegen habe ich hier kennengelernt, und die riechen schon im hiesigen Wort."

Schreibend bildet das Ich nicht nur die Suche Rosas nach dem eigenen Ort in der Gegenwart und Vergangenheit ab, sondern gleichermaßen die eigene Geschichte als Annäherung an Rosa sowie an die geteilte wie ungeteilte Vergangenheit. So enthüllt das erzählende In manchen Sätzen wird eine Mutter-Tochter Beziehung enthüllt, die jedoch zweifelhaft bleibt: "Ich versuchte mir vorzustellen, daß Rosa meine Mutter war. Nachdem ich angefangen habe, darüber zu zweifeln, habe ich weitergezweifelt, obwohl die ersten Störungen, wenn ich es richtig weiß, sehr einfach aussahen. Sie hingegen damit zusammen, daß ich, wenn ich von Rosa sprach, Mutter sagen mußte, die Bezeichnung für sie auf deutsch hieß Mutter, und das war mir fremd." So wird Rosa nicht eindeutig als Mutter bezeichnet, dagegen finden sich Assoziationen und Reflexionen zu dem Begriff "Mutter" oder eine einfache Verkürzung zu einem sachlichen "M".

"Nichts ist wie oder Rosa kehrt nicht zurück" ist kein eindeutiger Roman. Ungewißheiten konstituieren den Text, ohne zu dekonstruieren oder in Ungenauigkeiten zu verfallen. Dagegen eröffnen sich Sprach- und Erfahrungsräume, die der Leser auf unterschiedlichen Ebenen erleben und betreten kann. Dabei gelingt es Zsuzsanna Gahse, präzise Wahrnehmung zu beschreiben, Sprache und Ereignisse abzubilden, ohne etwas festzuschreiben oder an einem Punkt stehen zu bleiben. Keines ihrer Bücher bleibt statisch auf einem erreichten Punkt stehen, sondern jeder neue Satz, jeder neue Text scheint an etwas Vorhergehendes anzuknüpfen, es weiter zu entwickeln. Gerade diese Dynamik des Schreibens von Zsuzsanna Gahse zeichnet "Nichts ist wie oder Rosa kehrt nicht zurück" aus. Bewegung und das "Unterwegssein" in verschiedenen Ländern und in der Sprache werden zum Thema, ohne das es um eindeutige Lösungen geht; die Texte von Zsuzsanna Gahse erweisen sich als "instabil". Wie der Leser die Sprachräume durchschreitet und mit ihnen umgeht, bleibt offen.

Titelbild

Zsuzsanna Gahse: Nichts ist wie.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999.
130 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3434504699

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