Frauen, Kinder, Bier - Teil 2

Elke Naters' zweiter Roman "Lügen"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit einem Alptraum beginnt Elke Naters' zweites Buch, mit einer märchenhaften Passage endet es: "Dann könnte ich einen Freund haben und zwei Freundinnen, und wir hätten eine Menge Spaß und viel zu lachen, bis an unser Lebensende. Das wäre mal schön." Das Buch heißt "Lügen", und da stellt sich die Frage, worauf sich dieser Titel bezieht. Sind Träume und Märchen Lügen? Ist alle Prosa, jeder Roman und jede Erzählung eine Lüge, weil sie uns Geschichten vorgaukeln, die uns nur ablenken? Oder ist damit, viel konkreter und auf diesen Roman bezogen, gemeint, dass die Menschen sich und ihre Mitmenschen fortwährend belügen und sich damit immer tiefer in ein Knäuel aus Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Missverständnissen verstricken?

Alberta ist 27, sie studiert und will endlich ihre Arbeit zu Ende bringen. Sie lebt alleine, wurde mal verlassen, seitdem ist sie nicht mehr so ausgeglichen. Be ist ihre beste Freundin und das schon seit der Schulzeit, obwohl sie damals manchmal ziemliche Streitereien und lange Schweigephasen hatten. Doch Augusta, die sich immer für Be eingesetzt hat und all ihre Tricks und Eigenarten akzeptiert, mag Be so sehr, weil sie treu ist, weil sie die richtigen Bücher gelesen hat und weil sie mit ihr so prima ausgehen kann, um Bier oder Frozen Margaritas zu trinken. Be lebt zusammen mit ihren zwei Kindern und mit Karl, der zwar nicht der Vater ist, aber trotzdem alles für die Kinder, seine Freundin und den Haushalt tut. Aber für Be, die schon immer ihre Grenzen erweitert hat, ist diese bürgerliche Lebensform nicht ausreichend. Sie verläßt Karl und zieht zu einer Frau, mit der sie eine Beziehung beginnt. Augusta kann damit erst einmal gar nichts anfangen. Sie erlebt ein beinahe surreales Wochenende auf dem Land, mit den zwei Frauen und ein paar anderen Leuten. Dort lernt sie auch Peter kennen, der ihr sympathisch ist, weil er Bier bringt und die Flucht aus dem Landhaus ermöglicht. Sie denkt viel an Sex, zu dem es nicht kommt, betrinkt sich mit Peter und macht sich Vorwürfe, weil sie sich schlecht benommen hat. Den Kontakt zu Be bricht sie ab. Erst als sich Bes Freundin meldet, renkt sich alles wieder ein und mündet in die oben zitierte Schlußszene.

Auch "Lügen" ist, nach dem Debüt "Königinnen" (1998), ein Buch mit dünner Handlung, aber Tiefgang und Raffinesse. Überhaupt weisen beide Bücher sehr viele Parallelen auf. In "Königinnen" geht es ebenfalls um zwei Frauen (Gloria und Marie), die sich über Männer, Bier, Kneipen, Mode etc. definieren, aber immer auf der Suche sind. Auf der Suche nach dem richtigen Mann, dem richtigen Leben, das bald beginnen sollte. "Königinnen" ist als Doppelmonolog der zwei Hauptpersonen angelegt, abgefasst in 42 Kürzestkapiteln. "Lügen" dagegen ist der Monolog Augustas, die in fünfzehn Kapiteln ihre und Bes Geschichte erzählt. Zu ihrer eigenen Geschichte gehören auch ihre Ängste und Neurosen, um die sie weiß, denen sie sich aber nicht stellt.

Die 36-jährige Autorin läßt Augusta in einer unbefangenenen, fast naiven Art berichten, in einer Sprache, die meist an der Oberfläche bleibt und dem Leser dadurch den Boden unter den Füßen wegzieht, weil er diese Naivität der Hauptfigur zuordnet. Doch hinter der Sprache, den Ablenkungen von Konsum, Glitzer und Phrasen taucht die Fratze der Unsicherheit, der Isolation und der Kommunikationsunfähigkeit auf. Dass in diesem Buch über Leute um die 30 am Ende des Jahrtausends nicht über politische und gesellschaftliche, sondern nur über private Belange gesprochen und nachgedacht wird, muss nicht kommentiert werden.

Auf einen Aspekt in "Lügen" möchte ich noch eingehen. Be hat sich ihre langen dunklen Haare geschnitten und blond gefärbt. Nun setzt sie eine dunkle, lange Perücke auf. Augusta versteht das nicht, worauf Be mit Postfeminismus, Cindy Sherman, gender und dem "Körper als Waffe" reagiert. Die Unsicherheit über die geschlechtliche Zugehörigkeit bzw. die geschlechtliche und sexuelle Identität ist ein wichtiges Thema in der Erzählliteratur der 90er Jahre, man denke an Thomas Meinecke ("Tomboy", vgl. literaturkritik.de 1999-02-31.html) oder an Tanja Dückers Debut "Spielzone" (Berlin 1999), wo Körper- und Kleidungscodes und vielfältige sexuelle Variationen dargestellt werden. Selbst Arnold Stadler läßt seinen Ich-Erzähler in seinem jüngsten Roman "Ein hinreissender Schrotthändler" (Köln 1999) über das Zauberwort "bi" sinnieren. Dieses "bi" führt wieder zurück zu "Lügen" - hier ist es der Name einer Frau. Dem zweiten Buch von Elke Naters´ fehlt bloß die Frische und Bissigkeit des Erstlings: "Lügen" ist manchmal geschwätzig und umständlich, wo der "Königinnen" direkter und treffender war.

Titelbild

Elke Naters: Lügen. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
191 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3462028413

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