Im Schutz der Dunkelheit

Péter Nádas als Fotograf (s)eines Lebens

Von Oliver JahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Jahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der französische Philosoph Roland Barthes nannte es einmal das Noema der Fotografie, das unheimliche Gefühl des "Es-ist-so-gewesen", das uns beim Betrachten einer alten Fotografie in aller Eindringlichkeit überfiele. Etwas von dieser metaphysisch-ernsthaften Gewißheit mögen auch die Schwarzweißfotografien des ungarischen Schriftstellers Péter Nádas vermitteln, die jetzt in hervorragender Druckqualität unter dem Titel "Etwas Licht" erstmals versammelt worden sind.

Unprätentiöse, nahezu private Aufnahmen aus 40 Jahren (1958-98), die auf jede dramatische Inszenierung verzichten, setzen sich, punktiert durch kurze autobiografische, fast erzählerisch zugespitzte Texte, zur Lebensgeschichte des gelernten Fotografen zusammen. Ländliche Interieurs, Dorfbewohner bei der Feldarbeit, in der Kneipe, wechseln mit seltsam menschenleeren Stadtszenerien; Hinterhöfe, Treppenaufgänge und Balkongeländer, Häuserwände, ein Bronzefuß. Dann wieder kommen wohltuend unverkrampfte Porträtfotografien, die den Gesichtszügen mit behutsam tastender Bewegung nachzufahren scheinen, ohne den Makel zu verwischen, ohne das je Eigene im Grellen auszulöschen. Wo einmal fast verschämt das Auge seiner Spiegelreflexkamera nach den schmerzhaften Streckübungen behinderter Kinder greift, streicht es an anderer Stelle ein paar Waisenkindern die Scheu vom Gesicht, wie eine störende Haarsträhne vielleicht, die den Blick verstellt.

Besonders habe ihn immer, so formuliert Nádas seine fotografische Poetik, das Licht selbst fasziniert, "der Lichtstrahl, das Lichtbündel, das den Gegenstand charaktersiert. Das brechende Licht, das Zusammentreffen von Hell und Dunkel, die gleißenden Kanten." Fast möchte man ihn einen Metaphysiker der Dingwelt nennen, folgt man seinem Interesse für den bloßen Gegenstand, für Formen und Strukturen "zwischen schwarz und schwarz". Wie das Licht den Gegenstand hervorbringt, ihm Relief gibt und Konturen, da läßt sich beobachten an einfallenden Türstürzen, Mauerresten, an Zimmern in dämmerigem Schlummer, vielleicht an einem Fahrradsattel, der sich müde an einen efeuumflorten Grabstein lehnt. Gerade in diesen Bildern erinnert Nádas an die fotografische Ästhetik, die der französische Philosoph Jean Baudrillard kürzlich in eigenen Aufnahmen entwickelt hat.

Zuviel von diesem Licht, so lehrt Nádas, erzeugt Unruhe, bringt zum Verschwinden, was es sichtbar machen will. Nicht nur in den Jahren der kommunistischen Diktatur, unter der Ungarn zu leiden hatte, kann das Dunkel, das Nádas in seine Bilder spülen läßt, auch schützend sein vor den gleißenden Lampen der Verhörer.

Text und Bild ziehen ihre geheimen Linien zwischen der Biografie des Fotografen und der großformatigen Geschichte. So wurde Nádas 1942 an eben dem Tag geboren, als man die jüdischen Einwohner eines besetzten polnischen Fleckens in einer Mine erschoß. So lebte er in Berlin im Grunewald in der Nähe ausgerechnet jener Bahnstation, von der man die Juden in die Lager wegtransportierte.

Ebenso durchlöchert wie manche seiner Hinterhoffassaden war in Zeiten ideologischer Fremdherrschaft auch die Sprache, an der man mühsam Freund und Feind zu entschlüsseln hatte. Nicht zuletzt dieser melancholischen, menschennahen Spurensuche wegen, die Nádas seinem großen Roman, seinem "Buch der Erinnerung" an die Seite zu stellen scheint, sollten wir ihn wagen, den Blick in jenes Dunkel, das bei vorsichtigem Lichteinfall seine Geborgenheit gerade nicht verrät.

Titelbild

Péter Nádas: Etwas Licht.
Steidl Verlag, Göttingen 1999.
286 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3882436476

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch