Geschichts-Bilder

Gerhard Richters Zyklus zum 18. Oktober 1977

Von Barbara WelzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Welzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Todesdatum von Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die am 18. Oktober 1977 in ihren Zellen im Hochsicherheitsgefängnis in Stammheim tot aufgefunden wurden, macht Richter den dramatischen Höhepunkt des "Deutschen Herbstes" zum Thema eines Gemäldes. Während für die Zeitgenossen die in den Gemälden evozierten Fotos zum kollektiven Gedächtnis gehören, verweisen Richters Gemälde für die nicht in der Zeitgenossenschaft stehenden Rezipienten nur allgemein auf das Ausgangsmedium; die Fotos beziehungsweise kollektiven Bilder müssen im Verfahren der Rekonstruktion erst gewonnen werden. Und die Bedeutung der Bilder muß erst durch die Nacherzählung der Ereignisse bewußt gemacht werden - die Geschichte des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland, die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Zu erinnern ist die Polarisierung der bundesdeutschen Öffentlichkeit und die politische Selbstdefinition eines nichterpressbaren Staates. Und schließlich ist die ungemeine Irritation in Erinnerung zu rufen angesichts einer öffentlich propagierten Einschätzung, die die Terroristen im doppelten Sinn des Wort tot sehen wollte: in den lauter werdenden Forderungen nach Wiedereinführung der Todesstrafe, in der massenmedialen Verbreitung der Polizeifotos von den Toten und in der kriminologisch und juristisch nicht vollständig geklärten Todesursache als Suizid. Wohl niemand hätte sich 1977 und wohl auch noch 1989 bei der ersten öffentlichen Ausstellung des Zyklus in Deutschland vorstellen können, daß die Ereignisse jemals ihre traumatische Präsenz würden einbüßen können.

Es entspricht seiner Bedeutung, wenn die zahlreichen Publikationen zum Zyklus um zwei Stunden ergänzt werden, die das Werk im Kontext einer wohlfeilen Buchreihe erneut vorstellen und einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln wollen. Die beiden Bände könnten kaum unterschiedlicher ausfallen. Martin Henatsch (in der Reihe "Kunststück" des Fischer Verlages) ist es um eine Werkmonographie im klassischen Sinne zu tun. Er stellt den Zyklus vor, ordnet ihn in das Œuvre Richters ein und leistet eine Charakterisierung des Werkes. Das Bändchen eignet sich daher als Einführung. Eine solche Einführung sucht man bei Kai-Uw Hemken (Reihe "Kunst-Monographien" bei Insel) vergebens. Ihm geht es vielmehr - in Fortsetzung anderer Forschungen zur Gedächtniskunst in der Gegenwart - um eine Einordnung der Position Richters in das, was der Autor künstlerische oder ästhetische Mnemographie nennt. Der Leser erfährt zwar so gut wie nichts über die konkrete Gestalt des Zyklus, aber erhält profunde Informationen über die unterschiedlichen Positionen der deutschen Gegenwartskunst, Geschichte und Erinnerung zu thematisieren. Hemken schreibt seine Analyse des Zyklus uneingeschränkt in die bundesrepuplikanische Debatte um historische Erinnerung ein. Die Ereignisse um den 18. Oktober 1977 setzt er bei seinen Lesern als bekannt voraus. Zugleich wendet er sich weitgehend dem inhaltlichen Thema des Zyklus zu, während er die übrigen Aspekte des Werkes kaum beachtet. Henatsch hingegen leistet sowohl einen historischen Abriß wie eine Analyse der ästhetischen Qualitäten des Zyklus. Doch auch er erliegt der Versuchung, die malerischen Qualitäten als inhaltliche Allegorie zu deuten, wenn er das Grau als Ausdruck der Trauer und das Verwischen als Resignation gegenüber historisch eindeutiger Rekonstruktion liest. Gerade der inzwischen erfolgte Umzug des Zyklus nach New York kann vielleicht noch einmal den Blick dafür schärfen, daß die Spannung zwischen Bildthema und Abbildlichkeit einerseits und der autonomen Malerei andererseits im Zyklus selbst gerade nicht aufgelöst werden. Es ist die unvereinbare Gegensätzlichkeit zwischen Form und Inhalt, die die Leistung dieses Zyklus ausmacht. Mit der Betonung der 15 Bilder als Werke autonomer Malerei wird die bedingungslose Aufnahme der thematisierten Ereignisse und Personen in den "Olymp" des Kunstdiskurses betrieben. Es findet eine Umsetzung von Bildern statt, die aus ihrer massenmedialen Verbreitung in den aufgeheizten Auseinandersetzungen der Zeitgenossen herausgenommen und in ihrer Erscheinung und Faktur in Werke der Malerei, in ihrer neuen Kontextualisierung in Kunstwerke transformiert wurden. Richters Zyklus schleust eine problematische Geschichte in einen sanktionierten Diskurs ein, der noch dazu Länder und Generationen übergreifend ausgelegt ist. Nicht zuletzt aber stellt sich die Frage nach einem Monopol vermeintlich objektiver Bilddokumente als "Historienbilder" für das kollektive Gedächtnis. Verständigen sich Kulturen nicht auch mittels Symbolisierungen und im Dialog über Kunstwerke?

Titelbild

Kai-Uwe Hemken: Gerhard Richter. 18. Oktober 1977.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
103 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 345833937X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Martin Henatsch: Gerhard Richter: 18, Oktober 1977.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
103 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3596136261

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch