Der Kaffee Latte-Roman

Maxim Billers Geschichte einer scheiternden Liebe darf vorerst nicht weiter verbreitet werden

Von Lennart LaberenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lennart Laberenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In München ist es fast immer mild. Die Sonne scheint zumeist und die Restaurants heißen Venezia und Tiramisu oder abends Schumann's und Bar Centrale. Selten nur kann von trüben, regnerischen Tagen berichtet werden. So ist das München in Maxim Billers neuem Roman "Esra" ein immerwährendes Idyll, in dem nur selten das gleißende Sommerlicht in ein fahles Grau überblendet. Das Klima des Romans ist sanft, mild und lau - beim Lesen kann das Gefühl auftreten, einen Kaffee Latte auf einem frühlingshaften Platz zu genießen. Die Gestalten, die um die beiden Protagonisten Adam und Esra herumhuschen, gewinnen in diesem Licht auch selten an Konturen, es sind eher Schemen und Umrisse, bei denen es Biller belässt.

Der Kern der untrennbar Liebes- und Leidensgeschichte sind Adam und Esra. Wiewohl nur letztere es zur Titelfigur brachte, handelt der Roman selbst eigentlich wesentlich von Adam. Der ist Schriftsteller - hat einen Roman über seine Tochter veröffentlicht -, stammt eigentlich aus Prag, ist Jude und mag es nicht, wenn nach den Übereinstimmungen zwischen ihm und seinen Romanfiguren gefragt wird. Maxim Biller dagegen ist Jude, geboren in Prag, wohnt in München, hat unter anderem den Roman "Die Tochter" publiziert und mag es bestimmt nicht, wenn er nach Übereinstimmungen zwischen sich und seinen Romanfiguren gefragt wird. Biller malt also das Leben des Adam, einem gehörig selbstabsorbierten gelegentlichen "Arsch". Der ist verliebt in Esra, Tochter der bekannten, türkischen und sehr komplizierten Lale. Adam und Esra funktionieren wie kommunizierende Röhren. Wendet sich der eine der Beziehung zu, zieht sich die andere zurück und umgekehrt. Diese fortwährende Bewegung klammert den Leser vom wunderbaren ersten Satz - "als Esras Mutter den Nobelpreis bekam, schien es so, als würden Esra und ich es vielleicht doch noch mal schaffen" - an den Text. Der Griff wird mitunter schmerzhaft, gelegentlich ermüdend und redundant, allerdings reicht der Umfang der 73 kurzen Kapitel nicht, um ins Langweilige abzurutschen.

"Warum liebe ich Esra eigentlich?" fragt sich Adam folgerichtig irgendwann, um noch folgerichtiger zu antworten: "Wahrscheinlich, weil ich sie nicht bekommen kann." Adam steht sinnbildlich für eine Großgruppe von Männern. Sie sind in einen Generationsbegriff eingezwängt, der Jugendwahn und Konsumier-Dekadenz mit sich schleppt. Verschiedentlich wahrgenommene Substrate materialistischer oder feministischer Theorie haben längst einem unverzierten Hedonismus Platz gemacht - dennoch: Frauen und Kinder gehören nicht notwendig dem traditionellen Begriff von Familie an. Der Hedonist Adam lebt vom Schreiben und das nicht zu schlecht, ihn drückt große Seelenpein, die ihm vermutlich eine melancholische Miene auf das Gesicht zaubert. Diese Art Männer sammeln sich in Berlin, Köln und München in rauen Mengen, immer wenn die Sonne scheint auf den schicken Plätzen der Republik. Mit siebenunddreißig schließlich, als er die Pose des Helden probiert und ein Kind, das nicht von ihm ist, mit Esra aufziehen will, fühlt er sich zum ersten Mal "erwachsen". "Ich hatte in der Sekunde begriffen, was es heißt, nicht immer nur für sich selbst dazusein." Solche Sekunden kommen, wie sie gehen - Esra hat am Ende nicht viel von all der unreflektierten Männlichkeit.

Diese Esra, so deuten die durch Adams Blick präsentierten Bilder an, ist überhaupt zu einem großen Maß fremdgesteuert: von der Mutter, dem Respekt- und Gehorsamszwang türkischer Familienstrukturen, von einer Wahrsagerin in Rosenheim, der herrischen Tochter und der nicht minder herrischen Katze; von der eigenen "orientalischen" Einbildungskraft und dem unerfüllten, ja unerfüllbaren Wunsch ein friedliches, wohlgeordnetes Leben zu erstellen. Dazu kommt der gewalttätig-deutsche Vater der Tochter und der blass-deutsche Vater des geschlechtslosen Babys, für das Adam so gerne den Vater spielen würde. Esra ist "die arme kleine Sklavinnenseele". Die ist sie für Adam, wenn sie ihm einen runterholt und dann prompt nach Hause geht - dennoch: "Sie stand da, mit der Katze im Arm, und als ich sah, wie sie selbstvergessen das Tier weiter kraulte, dachte ich, so zärtlich ist sie mit mir nie gewesen." Ihm hat sie eben immer ,nur' einen runtergeholt.

Der Roman lebt von solchen sprachlichen Bildern, er lebt von der Distanzlosigkeit, mit der Biller das Leben des Ich-Erzählers dem Leser offenbart. (Diese Distanzlosigkeit hat Biller nicht zuletzt eine einstweilige Verfügung und eine Unterlassungsklage einer bislang unbestimmten Frau und ihrer Tochter eingebracht. Die weitere Verbreitung des Buches wurde verboten.)

Die Geschichte wirkt dort bemüht, wo es das Kinderunterhemd "von Schlichting" ist, das Adam hochhebt, um Esras Brustwarze zwischen Daumen und Zeigefinger zu reiben, wo das Top, bei "Holy's" gekauft, von "Dries van Noten" ist. Adam versteckt sich in einer raschen Bewegung nicht in einem Laden, sondern bei "Stefanel".

Auch das identitätssuchende Gequassel zwischen Prag, Dilik, München und dem Judentum - einer weiteren Form von wahlweise gut dargestellter Selbstabsorbiertheit oder müder Bedienung handelsüblicher Klischees - verlässt die Stufe eines chimärenhaften Subtextes nur selten - fügt sich aber in einer Art milden Latenz genauso wohlbalanciert, wie der Rest der Komposition. Allerdings drängen die Komposition der Themen und ihre gewisse radikale Diesseitigkeit zu einer Frage nach den Lebensumständen und den unreflektierten Privilegien, die im Westeuropa auch in Zeiten des Krieges genossen werden. Und so stehen wir am Ende des Kaffee Latte und schauen etwas beunruhigt in den Geschichten des eigenen Lebens, in dem Maxim Biller mit hintergründiger Ironie gekramt zu haben schien.

Titelbild

Maxim Biller: Esra. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
213 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3462032135

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch