Zurück aus Trulala
Wladimir Kaminer liest neue Geschichten
Von Nadine Boulannouar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWladimir Kaminer ist zur Zeit anscheinend omnipräsent: Seine Lesungen und Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet, die berühmt berüchtigte "Russendisko" im Berliner "Café Burger", die nun bereits andernorts Nachahmer gefunden hat, sowie zahlreiche Interviews im Radio und im Fernsehen lenken die Aufmerksamkeit auf den seit 1990 in Deutschland lebenden Russen. Er gilt als Synonym für den typischen Bewohner des angesagten Ostberliner Stadtteils Prenzlauer Berg, und er beschreibt mit seinen autobiografischen Geschichten auf trockene, unprätentiöse Art und Weise sein dortiges Alltagsleben. Nach den vier erfolgreichen Hörbuch-Veröffentlichungen "Russendisko", "Militärmusik", "Schönhauser Allee" und "Reise nach Trulala", legt Kaminer nun erstmals einen Live-Mitschnitt vor. Bei diesem las er 2003 in der Braunschweiger Buchhandlung Graff und erfreute seine Gäste mit der Ankündigung, diesmal auf einen Fundus noch unveröffentlichter Geschichten zurückgreifen zu wollen.
Das Programm besteht aus neun Episoden, die durch vier Musiktitel ergänzt werden - Stücke, die auf einer von Kaminer und seinem Freund Yuriy Gurzhy zusammengestellten CD mit Musik aus der "Russendisko" erschienen sind. Eingeleitet wird die Lesung mit der Geschichte "Deutsch unter Hypnose", in der der Autor die absurden Erlebnisse und Erfahrungen seines Freundes Sergej beim Erlernen der deutschen Sprache schildert. So tauchen zum Beispiel nach der Bestellung des Dr. Hoffmann Kassetten-Sets, das die Fremdsprache laut Anbieter innerhalb von 30 Stunden problemlos auf die "Festplatte des Unterbewusstseins" übertragen soll, ungeahnte Probleme auf, die es zu bewältigen gilt. Das "Einspeichern" der Fremdsprache funktioniert nämlich nicht reibungslos, wie in der Werbung versprochen, und der Computerspezialist Sergej beherrscht im Endeffekt doch nur jenen deutschen Satz, mit dem er auch schon zuvor seine Kollegen genervt hatte: "Tschüs, bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: Popkonzert!" Ein ähnliches Thema behandelt die Geschichte "Deutsch lernen leicht gemacht", in der der enorme Erfolg der Band "Rammstein" bei völlig gegensätzlichen Bevölkerungsschichten - etwa Skinheads, Punks und Bodybuildern - innerhalb Russlands erklärt wird. Kaminer erläutert diesbezüglich mit seinem unüberhörbaren russischen Akzent: "Seitdem Rammstein permanent im russischen Radio und Fernsehen zu hören und zu sehen ist, können plötzlich alle Russen ein wenig deutsch. [...] Die Texte sind klar und emotional und leicht nachzusingen." Außerdem, so der Autor, reiche schon ein Wortschatz von 500 Wörtern völlig aus, um sie übersetzen zu können. Schließlich verstehe jeder Deutsche sofort, was mit "Wollt ihr das Blut vom Degen lecken, wollt ihr den Dolch ins Laken stecken?" gemeint sei.
Die zwischengeschalteten Musikstücke unterstützen den unaufdringlichen Humor und die Unbeschwertheit von Kaminers Texten; Lieder der Bands "Spitfire" oder "RotFront" erzeugen den sogenannten "Pogo-Effekt", einen Mix aus Polka, Punk, Rock und Ska, der die Hauptelemente der Russendisko-Musik in sich vereinigt.
Wie auch in seinem neuesten Erzählband "Reise nach Trulala" berichtet Kaminer neben seinen Berliner Alltagsbeobachtungen auch von Reisen ins Ausland. Gewohnt souverän amüsiert er sein Publikum mit diversen Anekdoten aus nah und fern, um, wie er in der Frage-Runde beteuert, ebenso wie "Rammstein" in Russland, auch hierzulande die verschiedensten Bevölkerungsschichten anzusprechen. Dies scheint ihm ohne Weiteres zu gelingen.
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