Gute Aussichten im Genlabor

Michel Houellebecq über Swingerclubs, den Sex, den Tod und über die Freuden der künstlichen Fortpflanzung

Von Dirk FuhrigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Fuhrig

Am Ende seines Romans "Les particules élémentaires", der ihn in Frankreich von heute auf morgen zum umstrittenen Literatur-Star machte, entwirft Michel Houellebecq die Utopie eines Menschen, dessen "Quelle fast all unserer Leiden" abgeschafft ist, nämlich die genetische Individualität. Die Reproduktion wird auf technischem Wege sichergestellt, die neuen Wesen besitzen anstelle von Fortpflanzungsorganen über den gesamten Körper verteilte sensitive Zonen, die "auf dem Gebiet der Sinnesfreuden geradezu unglaubliche, nie dagewesene erotische Empfindungen" hervorrufen. Das jetzt auf Deutsch unter dem Titel "Elementarteilchen" veröffentlichten Buch - der essayistische Band "Die Welt als Supermarkt" (beide Bücher erscheinen bei DuMont) pointiert diese Aspekte - liest sich in seinen Passagen über die Gentechnologie bisweilen wie eine Variation der Thesen Peter Sloterdijks. Die deutsche Debatte darüber hat in den vergangenen Wochen auch in Frankreich ein Echo gefunden, "Le Monde" druckte Auszüge aus Sloterdijks Elmauer Rede. Dirk Fuhrig sprach mit dem 41 Jahre alten Michel Houellebecq, der gentechnisch aufgehobene Geschlechterunterschiede als "gute Aussichten" begrüßen würde:

Frage: In Deutschland sind Ihre Bücher erst seit kurzem erhältlich. Woher das Interesse hierzulande, während Sie doch in den "Elementarteilchen" nicht gerade freundlich mit den Deutschen umgehen?

Houellebecq: Aber ich spreche darin doch kaum über Deutsche.

Frage: Deutsche tauchen als Touristen in Frankreich auf, sie sind dick, schwerfällig, haben Geld und kaufen sich damit Sex. In dem Partnerclub am Cap d'Agde, in dem sich der Protagonist Bruno und seine Freundin vergnügen, treffen sie auf ein deutsches Ehepaar...

Houellebecq: ... ja, aber die beiden werden nicht als dick dargestellt, und sie kaufen sich auch keinen Sex. Sie sind in einem Swingerclub, und das ist alles sehr nett. Das ist eine der nettesten Szenen im ganzen Buch, eine der einzigen, in denen es zu echten menschlichen Begegnungen kommt. Ich selbst bin übrigens absolut für Swingerclubs.

Frage: Sie haben da Erfahrung?

Houellebecq: Aber ja. Das ist eine schöne Form der Lebensgestaltung.

Frage: Sie beschreiben dieses Leben in der Tat sehr liebevoll. Aber trotzdem hat das Buch viele Leute gerade deshalb schockiert.

Houellebecq: Ja, das mag sein. Aber so denke ich eben darüber. Ich habe das nicht geschrieben, um zu schockieren. Mir gefällt es ja selbst, mich macht das eher an. Es ist so etwas wie Zusatz-Sex und eine vernünftige Reaktion auf das abnehmende Verlangen innerhalb einer Beziehung - ohne Ehebruch und Betrug. Und ohne die Lügerei. Das hat viele positive Aspekte.

Frage: Dass solche Swingerclubs heute selbstverständlich sind, ist das eine Errungenschaft der Bewegung in den 60er und 70er Jahren?

Houellebecq: Die einzige Veränderung in den 60er Jahren war die Pille. Der Rest zählt nicht.

Frage: Man wirft Ihnen vor, dass Sie alles verdammen, was von 68 ausging.

Houellebecq: Ja, das stimmt, das tue ich. Aber diese Swingerclubs haben nichts mit 68 zu tun, die hätte es auf jeden Fall gegeben.

Frage: Sie glauben also, dass es die sexuelle Befreiung....

Houellebecq: ... das war nicht wirklich eine Befreiung. Und in den Partnerclubs herrscht keine Atmosphäre sexueller Libertinage. Das sind sehr strukturierte, ziemlich moralische Orte.

Frage: Sie verwenden den Begriff "socialdémocrate" - ein sehr deutsches, weniger ein französisches Konzept -, um das Leben im Club an der Côte d'Azur zu charakterisieren.

Houellebecq: Das ist eine Art Metapher. Eine normale Diskothek entspricht einem liberalen System, eine Swinger-Diskothek ist eher sozialdemokratisch. Ich meine damit: größtes Vergnügen für die größte Zahl von Leuten, ohne jemandem allzu große Schmerzen zuzufügen. Das ist doch ein harmonisches System. Ein Großteil der Scheidungen und der kaputten Familien rührt vom Ehebruch her - der im Gegensatz zu früheren Epochen nicht mehr akzeptiert wird; das heißt, er führt im allgemeinen zur Zerstörung der Familie. Die Swingerclubs sind ein gutes Mittel, um diese Dinge zu vermeiden.

Frage: In den "Elementarteilchen" wird mit technischen Mitteln versucht, eine neue Gesellschaft zu erzeugen. Die Reproduktion geschieht im Labor. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern fallen weg, beziehungsweise: Es gibt zwar noch Männer und Frauen, sie besitzen jedoch kein sexuelles Begehren mehr.

Houellebecq: Es geht vor allem um die Frage des Todes und der Fortpflanzung.

Frage: Geht es Ihnen um die Aufhebung der Geschlechtlichkeit?

Houellebecq: Ja, man könnte sich vorstellen, dass so etwas wie Hermaphroditen entstehen. Das stört mich nicht.

Frage: Für die Nach-68er-Generation, wenn man so will für die Techno-Generation mit ihrem Vergnügungsdrang, spielt die Androgynität ebenfalls eine Rolle. Phänomene wie die Love Parade, können Sie damit etwas anfangen?

Houellebecq: Eigentlich nicht. Man kann die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht einfach auf diese Weise beseitigen. Mich interessiert viel eher die Genetik. Natürlich haben viele Menschen zum einen oder anderen Zeitpunkt das Bedürfnis, das andere Geschlecht anzunehmen. Der Hermaphrodit ist ein alter Traum der Menschheit, angefangen bei Plato - und vielleicht wird die Technik diesen Traum erfüllbar machen. Meiner Ansicht nach sind das gute Aussichten.

Frage: Die "Elementarteilchen" haben in Frankreich einen Streit über die Genmanipulation entzündet. In Deutschland hat eine ähnliche Diskussion aufgrund der Thesen von Peter Sloterdijk begonnen. Haben Sie die Debatte verfolgt?

Houellebecq: Kaum.

Frage: Sie beziehen sich ebenfalls auf Nietzsche. Wie steht es mit dem Übermenschen?

Houellebecq: Ich kenne Nietzsche sehr gut, aber schätze ihn nicht. Ich fühle mich eher dem "letzten Menschen" verbunden als dem Übermenschen. Das ist eine Idee, die mich überhaupt nicht interessiert. Nietzsche verstand sich elitär. Der Übermensch war ihm wichtig, weil er den Untermenschen brauchte. Er lehnte das Konzept der Gleichheit von Grund auf ab.

Frage: Wie stehen Sie zum Konzept der Gleichheit?

Houellebecq: Ungleichheit besitzt für mich keine positive Bedeutung. Nietzsche kümmert sich ständig um das Interesse des überlegenen Menschen. Er ist ein Megalomane, was mir eher sympathisch ist, aber gleichzeitig ein Opfer seiner unglaublichen Selbstüberschätzung. Der Gedanke, einen neuen Menschen zu erschaffen, ist ja nicht neu, sondern eines der klassischen Ziele der Philosophie. Ohne die Möglichkeiten der Genetik ist das natürlich alles nur leeres Gerede gewesen. Jetzt sind wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit an einem Punkt, wo es möglich erscheint. Die Möglichkeiten, den Menschen durch Erziehung zu verändern, sind ganz schön, aber sie sind begrenzt. Kulturelle Prägungen, die politischen Verhältnisse; auch die Religion, die ja ebenfalls einen neuen Menschen schaffen will, besitzt nur eingeschränkte Mittel. Das geht bis zu einem gewissen Grad - mehr im übrigen als durch den Kommunismus -, aber es geht nicht hundertprozentig.

Frage: Und die Genetik erscheint Ihnen als geeignetes Mittel?

Houellebecq: Keine Ahnung. Aber es ist eine Möglichkeit, die es vorher nicht gab. Das sind zunächst einmal gute Aussichten.

Frage: Und die ethischen Probleme? Die Uniformisierung der Menschen, nähmen Sie das in Kauf?

Houellebecq: Da sehe ich keine Probleme. Nehmen Sie die Hautfarbe. Das ist doch Geschmackssache. Jeder hat eine andere Vorliebe, daher glaube ich nicht, dass wir uns in Richtung Uniformisierung bewegen.

Frage: Einige werden ihre eigenen Geschmacksvorstellungen durchsetzen wollen.

Houellebecq: Derzeit bestimmt das doch auch niemand. Beziehungsweise alle bestimmen, indem sie Kinder in die Welt setzen. Warum sollte sich das ändern? - Aber das ist im übrigen ein Problem: Die Weltbevölkerung nimmt zu, und in dem Punkt haben die Umweltschützer durchaus recht: Natürliche Ressourcen wie das Wasser lassen sich nicht erneuern.

Frage: Wer sollte Ihrer Meinung nach entscheiden? Die Wissenschaft?

Houellebecq: Nein. Das ist eine Frage der Politik. Derzeit unternehmen die Regierungen auf der Welt wenig, um ihre demographischen Probleme in den Griff zu bekommen. In dieser Hinsicht ist nichts geregelt.

Frage: Haben Sie denn Vertrauen in die multinationalen Institutionen? In Ihrem Buch spielt die UNESCO eine Rolle für die Umsetzung der genetischen Experimente.

Houellebecq: In den "Elementarteilchen" stellt die UNESCO lediglich Kredite zur Verfügung. Das ist das, was sie jetzt ja auch tut. Wahrscheinlich unternimmt die UNESCO auch vieles, was vollkommen nutzlos ist. Aber darüber weiß ich zu wenig. Jedenfalls gibt es keinen Anlass für allzu viel Vertrauen in dieser Hinsicht.

Frage: Sie wurden bezeichnet als jemand, dessen Ziel es sei, die Moderne abzuschaffen, eine neue Religion einzusetzen und, wie Robespierre, eine Herrschaft der Tugend zu etablieren. Sind Sie ein Robespierre?

Houellebecq: Robespierre war doch eher sympathisch. Aber sonst fällt mir dazu wenig ein. Das kann man so sehen.

Frage: Man wirft Ihnen vor, Sie wollten mit der Moderne und mit dem Humanismus brechen.

Houellebecq: Das sind zwei Begriffe, mit denen ich nichts Genaues anfangen kann. Der Liberalismus hingegen ist ein recht klar umrissenes System.

Frage: Das Sie aber nicht überzeugt.

Houellebecq: Nicht allzu sehr.

Frage: Was fehlt den Menschen am Ende des Jahrtausends?

Houellebecq: Viel, sehr viel.

Frage: Zum Beispiel?

Houellebecq: Zum Beispiel, dass wir noch kein System gefunden haben, um die demographischen Entwicklungen zu steuern. Dann gibt es keine wirklich überzeugende Wirtschaftsordnung. Es gibt keine Religion, was sehr unangenehm ist.