Sprachschatten und Wörtertäler

Gedichte Friedericke Mayröckers aus dem "Arbeitstirol"

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da scheint ein ungeheurer Atem in den Gedichten von Friederike Mayröcker zu wehen. Eine kaum stillbare Energie, die sie antreibt, mittels der energieverzehrenden literarischen Arbeit Valenzen in der Sprache zu tilgen, Beschreibungsdefizite, weiße Flecken auf der Landkarte der poetischen Deskription. Die soeben erschienene umfassende Sammlung von Gedichten aus den Jahren 1996 bis 2001 belegt das unermüdliche Sondieren dieser Autorin, die immer wieder neu in die Cluster von Sprache und Dingen sticht, fädelt, webt, und aufbricht, untergräbt.

Die Poetik Mayröckers ist Dichtung als immerwährender Nestbau, als Weiter-und-weiter-Erfassen und Deklarieren (auch De-klarieren). Ihre Zeilen das, was die Sekunden in der Zeit sind. Momenteträger, Augenblicksanzeiger, Stellen, die Zwischenstadien festhalten und wiedergeben als lyrisch umkleidete Resonanzen. Delphisch ist die Lyrik, orphisch, gespinsthaft. Das heißt vor allem störrisch genug, es nicht zu einem Ende kommen zu lassen. So "poltern die Zöglinge" der Zeilen unbestimmt oder etablieren Flimmerhaare, "groß beschattet vom Gedicht / das ohne Ende blühe : blüht".

Das Gedicht ist also Brennpunkt und dessen Überschattung. "die Blicke", die es generieren, sind und wirken "verrenkt und verschränkt". Mayröcker serviert nicht das vorgeschnittene Brot leichter Rezipierbarkeit. Ihre Heraufrufungen sind keine Still-, sind eher Quirl- und Böenleben, äußerst vielseitig in den Hineindrehungen, dem Dimensionenzuzug.

Die Stimme ihrer Gedichte lässt sich nur zu gern fallen, verfallen. "in diesen deinen Schwimmanzügen, habe den Körper / wieseln lassen, nein winseln lassen, den Reisekörper / ich meine rinnen lassen". Das eine ergibt ein Anderes, etwas Gekipptes; eine fremde Verwandtschaft durchfährt, gestaltet die Zeilen. Fremdschaften finden sich in den Texten, Fremdschafte, -schäfte. Als Begegnungsbelege, Assoziationsnotizen oder Hinweis auf den Kontext eines Worts, eines Gedanken, einer Verfassung, einer Situation.

Sich selbst akut belauschend - dies ist die Grundkonstellation. Friederike Mayröcker bildet lyrische Gehöfte ihrer Beobachtungen. Dorthinein holt sie eigene Bilder, genau so, wie sie Bilder anderer herbeiholt. Viele Kunstwerke wie Künstler werden aufgerufen, den Texten einverwandelt. "de Chirico Matisse Picasso" hier, ein "Mozartlied" da. Und an anderer Stelle "bißchen dieser Pollock-Ausschlag auf dem / Kippfenster / Schnee / oder nasser Michaux / in seinen Adrenalin Räuschen / Meskalin ganz in / weiß."

Mayröckers Gedichte sind gleichermaßen Hommage, Retouren und Weiterwirk-, Weiterdenkungsorte. Manches bleibt dabei Intarsie, manches "schlägt tatsächlich Flügel". Aber dennoch begegnet man immer der Autorin, ihrer benennenden Durchfühlung der Ingredienzien des Alltags. Die ihre "Lebenstage" buchstabiert: "der[en] Rhythmus / desolat aber mit Andacht gesetzt: 1 Hinunterpastell: 1 unentrinnbares / Glück oder Unglück." Um den Kies (der Sprache) knirschen zu hören und selbst eigenwillig zu knirschen. Und trotzdem in der Sprache magisch zu sein. Und zu beweisen, dass auch ein beibehaltenes Umfeld reichhaltig, wörterhaltig ist.

Jedem vertrauten Moment kann eine klimatische Veränderung beigebracht werden, eine Klimax bis tief in sein Gegenteil hinein. Friederike Mayröcker zerstört zu einem Aufbau. Sie praktiziert das Verfahren der Verknüllung und Wiederauffaltung von (sprachlichen und lebenswirklichen) Momenten. Dabei führt sie die Absicht der Ausdeutung ein ums andere Mal in Sackgassen. Eine Lebensbeschäftigung etwa wäre es, (end)gültig bestimmen zu wollen, was "HERZHUNDE wie weiße / Schleppen" sind.

Das solchermaßen Lesbar-Unauflösbare ist aber nicht Audruck einer intensivpoetischen Verstiegenheit. Es gleicht eher dem Charakter jener uns einrüstenden Melange aus Zwangsverschalung und Sehnsucht.

Mayröckers "Arbeitstirol" ist ein Happening von Sensitivem, ,Sensationen', semantischem Zauber. Gehalten und gebrochen durch eine bockspringende, verschroben agierende poetische Methode. Hin zu einer "büschelig Sprache", die neben dem spröden Usuellen steht, aufgeplatzt, schäumend und wirrig.

"mein Arbeitstirol", das klingt nach einem mutierten Arbeitstitel - über dem man einen Arbeitspirol seine Kreise ziehen sehen mag. Und man ist geneigt, das unter diesem Wort subsumierte Schreiben sich als offene, hügelige bis hochgebirgsspitzige Landschaft vorzustellen. Deren Ausdehnung und Gerätschaften auf bestimmte Art festgelegt sind, deren Paradigma des Urlaubsschönen andererseits aber durch die (mayröckersche) Poesie, ihre Wörtertäler und Sprachschatten, je neu gelesen, geordnet wird. Von keinem Punkt aus vollständig einsehbar, und überhaupt in ihren semantisch-morphologischen Schüttungen und osmotischen Bindungen kaum (,intentionsrichtig') auszukartografieren. "mein Arbeitstirol" zeigt eine weiterhin-weithin große Lust und Fähigkeit (Flächigkeit), Sprache zu ent- und zu be-ufern, -talen und -bergen.

Titelbild

Friederike Mayröcker: Mein Arbeitstirol. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
216 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3518413937

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