Von Enten, Pilzen, Kneipen und einer Begegnung mit Heiner Müller

Ein Band mit Erzählungen und Miniaturen von Katja Lange-Müller

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor zwei Jahren erhielt die in Berlin lebende Autorin Katja Lange-Müller für ihren jüngsten Roman "Die Letzten" nicht nur Lob und Komplimente, sondern auch den SWR-Literaturpreis. Auf den Roman über die Angestellten in einer Drucksetzerei (die Autorin ist selbst gelernte Drucksetzerin) folgen nun gesammelte Texte, einige davon wurden bereits in Zeitschriften und Magazinen publiziert. Mit der von Lange-Müller gewohnten Komprimierung, dem "Prinzip Brühwürfel", wie sie es nennt, präsentiert das Buch auf fast 250 Seiten Berichte, Reflexionen, Geschichten in der Geschichte, die von einer Zufallsbekanntschaft in einer Kneipe oder an einem anderen öffentlichen Ort weitergegeben werden, Miniaturen und Skizzen.

Kurze Stücke, Kurzgeschichten, Miniaturen - wie immer auch diese Skizzen und Geschichten strukturell eingeordnet werden, sie zeugen vom Talent der Autorin Katja Lange-Müller, präzise Mensch, Flora und Fauna zu beobachten und das, was an skurrilen, witzigen und schrägen Begegnungen und Pointen dabei entsteht, in einer dichten Sprache darzustellen. "Im Alltag geerdet", so benennt sie selbst den Entstehungskontext in einem Interview. In diesen Alltag taucht die Erzählfigur auch in fast jedem Text ein. Der Ton ist dabei unverwechselbar lange-müllerisch, lakonisch, ironisch, mit treffenden Sprachbildern und einer gekonnten Larmoyanz. Viele der auftretenden Figuren aus Flora und Fauna zeugen von der Leidenschaft der Autorin für "Biotopische Zustände". Geschichten über Besuche in Zoos und Aquarien, ein alter Hund an einem Strand in Nicaragua, das Verhalten von Enten zur Paarungszeit, die Vorteile von Hundeliebhaberei, Reflexionen über Kleidermotten, Hallimasch und Erdferkel, die Pilzsuche von Großstädtern an sonnigen Herbstsonntagen.

Dem zur Seite gesellen sich Schilderungen von Begegnungen und Erlebnissen in Berlin, die mit einer Skizze über das persönliche Verhältnis zu dieser Stadt und der Beschreibung einiger interessanter Orte wie der Kneipe "Feuchte Welle" eingeleitet werden. In diesem Teil des Bandes geraten Tiere und Pflanzen etwas in den Hintergrund, stattdessen geht es um Frühlingspullover, Auftritte in Markthallen, eine peinliche Begegnung mit Karel Gott, Baden am Plötzensee, eine Vernissage im Bordell, die Verbindung zwischen einem tosenden Krach morgens um Sieben und einem dicken Gurkenglas und schließlich um Wohnungsbrände, eigene und fremde.

Weiter geht die Zeitreise von Berlin nach Boston. Und wieder erfahren die Leser absurd Anmutendes aus dem Alltag in einer fremden Stadt. Leben im Entwurf ohne eine Social Security Number, aber mit zwei Flaschen Whisky, nächtliche Feueralarm-Übungen im Hotel, die der Feuerneurotikerin anfangs zu schaffen machen, aber dann siegt die Neugier auf die in Nachthemd und Bademantel in der Lobby herumstehenden Gäste.

Die Autorin konzentriert sich bewusst auf die "Peripherien des Lebens", weil dort "Bewegungen [...] am deutlichsten sichtbar werden, existentielle und Grenzerfahrungen von "Randständigen" eher und konkreter gemacht werden als von "Zentristen".

Beides findet sich aber nicht nur an den Peripherien, sondern auch in den Begegnungen zwischen Mensch und Flora und Fauna, alles Spezialgebiete der Autorin, von denen sie auf wunderbar unterhaltsame, spannende und gelungene Weise erzählen kann. Erwähnt sei jedoch, dass ein Satz fast wortgenau in gleich zwei Geschichten auftaucht. Ein Hinweis darauf, wie Geschichten entstehen.

Titelbild

Katja Lange-Müller: Die Enten, die Frauen und die Wahrheit. Erzählungen.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
244 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3462032151

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