Ein wenig bucklig von so viel Geschichte

Gabriela Jaskullas Romandebüt "Ostseeliebe"

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Julia Völcker bewirbt sich nach Abschluss ihres Studiums um eine Forschungsstelle auf einer Ostseeinsel. Innerhalb eines Jahres soll sie den Nachlass des Dichters Hansjörg Ladestein, der hier gelebt und gearbeitet hatte, sichten und katalogisieren. Geleitet wird das Ladestein-Haus von Anne Bult, die ihre neue Kollegin in die Arbeit und in das Inselleben einführt. Die Bewohner der Insel sind wortkarg, trotzdem bekommt Julia erste Kontakte. Im Verlauf ihres Aufenthaltes lernt sie die Feinheiten dieses sozialen Biotops kennen. Zudem entdeckt sie im Nachlass Ladesteins die Spur zu einer Tänzerin, vom Dichter hochverehrt und geliebt. Sie macht sich gemeinsam mit der auf dem Festland verbliebenen Freundin Jeanette auf die Spur dieser mysteriösen Unbekannten. Parallel zu dieser geheimnisvoll erscheinenden Liason gibt es eine weitere Liebesgeschichte: Julia lernt den Tierarzt Hanno Minarek und seine Schwester Hilda kennen.

Beide Liebesgeschichten - der Dichter und die Tänzerin, Julia und der Tierarzt -, bleiben jedoch Beiwerk, denn im Zentrum des Romandebüts der in Hannover lebenden Autorin und Redakteurin steht der Ort. Erzählt wird die Inselgeschichte, die Legenden über die Entstehung dieses Inselstreifens, man erfährt sehr viel über Flora und Fauna, die geografische Lage und nicht zuletzt über die Bewohner (es sind ungefähr nur 1000). Die Autorin fängt die Atmosphäre dieses Mikrokosmos ein, Julias Perspektive bleibt eine der Distanz, der stillen Beobachtung. Die ruhige, bedächtige Erzählweise passt sich den beschriebenen Rhytmen von Tages- und Jahreszeiten an, den Rhythmen der Elemente, denen die Insel samt ihrer Bewohner immerfort ausgesetzt ist. Allerdings lässt sich die Autorin dazu verleiten, die Leidenschaftlichkeit der Liebesgeschichte zwischen Julia und Hanno etwas zu sehr in die Nähe von klischeehaften Bildern zu rücken, wenn er, "während sie auf ihm ritt", eine Bachkantate singt und ihr später antwortet: "Ja, ich habe dich gesehen. Schon lange. Ich habe dich schon immer gesehen. Und ich will dich immer sehen. Immer! Dich!"

Die neben solchen kleinen Szenen ständig präsentierte Wortlosigkeit dieser Beziehung findet sich auch auf der Erzählebene. Das Innenleben der Figuren bleibt in der Schilderung karg, der Roman entbehrt einer ausgereiften Psychologie, einer mehrdimensionalen Figurencharakteristik. Plastisch wird nur die Insel mit ihren Alltagserlebnissen (z. B. Versorgungsproblemen im Winter, der Auseinandersetzung der Handwerker darüber, ein Auto fahren zu dürfen, da die Insel autofrei ist), den allgegenwärtigen Vögeln und Fischen und den Konflikten, die sich zwischen den Bewohnern entwickeln und verschärfen, als drei Spekulanten eine Versammlung einberufen und die Insel modernisieren wollen, um sie als Event-Insel zu vermarkten. Ein Fake, wie sich herausstellt.

Es begegnen sich in dem Roman auch zwei Kulturen: Großstadt und Insel, Ost und West, einige Jahre nach der Wiedervereinigung. Diese Begebenheiten werden anschaulich erzählt, wogegen die Handlung um Julia und Hanno und die Suche nach dem Dichter und seiner Verehrten deutlich an Raum verliert. Auch die eingefügten Briefe von Jeanette an ihre Inselfreundin wirken mit ihrer schrillen Lustigkeit etwas deplaziert, da sie einen zu harten Kontrast zum ansonsten eher bedächtigen und sehr angenehmen Erzählton bilden. Dieser jedoch ist eine gute Wahl, um den sich allmählich anfüllenden Blick auf die Insel in die Erzählebene zu übertragen. Ihn zu wechseln bedingt fast jedes Mal einen irritierenden Bruch, der sich nicht bewährt. Der versuchte Stilwechsel wird zum misslungenen Kunstgriff.

Titelbild

Gabriela Jaskulla: Ostseeliebe.
Goldmann Verlag, München 2003.
348 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3442751039

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