Die Hölle und ihr Vorhof
Die Erinnerungen der iranischen Frauen- und Menschenrechtlerin Behjat Moaali
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls 1979 im Iran Schah Resa Palawie gestürzt wurde, glaubten viele europäische Linke, sie seien Zeitzeugen einer historischen Wende zum Besseren. Doch nicht nur westliche Revolutionsromantiker, die vom Leben unterm Pfauenthron oft genug herzlich wenig wussten, sahen das Licht der Freiheit am persischen Horizont aufsteigen. Vielen iranischen Intellektuellen - und durchaus nicht nur exilierten - ging es ebenso. Anders als den europäischen Genossen, kam ihnen ihr Irrtum allerdings teuer zu stehen, mussten sie doch bald feststellen, dass sie - bei aller Grausamkeit des persischen Geheimdienstes SAVAK - bisher nur im Vorhof der Hölle gelebt hatten. Zu den iranischen Intellektuellen, die so fatal irrten, gehörte auch Behjat Moaali, eine Teheraner Rechtsanwältin, die sich in der juristischen Abteilung der Demokratischen Frauenbewegung engagierte und mit den Volksmudschaheddin sympathisierte, einer einst mächtige Organisation, die zunächst den Schah und dann Khomeini unter Anwendung terroristischer Mittel bekämpfte, inzwischen aber weitgehend zerschlagen, beziehungsweise ins Exil gedrängt ist. Auch Moaali hat den Iran längst verlassen und lebt seit mehr als zehn Jahren in Deutschland, wo sie im Januar 2000 als erste Ausländerin die doppelte Staatsbürgerschaft erhielt. Heute arbeitet sie als Koordinatorin und Dolmetscherin im Kieler Zentrum für Flucht- und Gewaltopfer "Refugio".
Kürzlich hat sie ihre "subjektive Sicht auf eigene Erlebnisse und Ereignisse der Zeitgeschichte" während der weltlichen Diktatur des Schahs und der religiösen Tyrannei Khomeinis niedergeschrieben. Im Zentrum ihres Buches steht der - letztlich vergebliche - Kampf der Autorin um das Leben einer jungen Frau namens Tara.
Moaali wächst in einer intellektuellen Familie der oberen Mittelschicht auf, für die Religion keine große Rolle spielt. Tara hingegen in einem durch islamische Traditionen geprägten Dorf. Während die Autorin einen zwar mit Hindernissen versehenen Bildungsweg durchläuft, bleibt Tara Analphabetin und wird bereits im Kindesalter an einen sehr viel älteren Mann verheiratet, der nach wenigen Jahren Ehe stirbt. Tara möchte nun endlich "frei sein und niemandem gehorchen müssen". Das heißt für sie vor allem, auf den Acker gehen und selbst ihr Brot verdienen. Doch die islamische Tradition, vertreten durch die Frauen des Dorfes und insbesondere durch die "Heiratsvermittlerin", gestattet nicht, dass Frauen unverheiratet bleiben. Ist der erste, in aller Regel sehr viel ältere Mann gestorben, so müssen sie sich nach kurzer Trauerzeit erneut verheiraten. Nach langem, vergeblichem Kampf beugt sich Tara schließlich dem Terror der 'Heiratsvermittlerin', die ihr zuletzt mit Steinigung gedroht hat, und willigt ein, als Zweitfrau eine - nach islamischem Recht mögliche - Zweitehe mit einem bereits verheirateten Mann einzugehen.
Moaali, die inzwischen eine Jura-Studium absolviert hat und als Rechtsanwältin tätig ist, stößt irgendwann auf einen Zeitungsartikel: "Eine junge Frau aus einem abgelegenen Dorf, die selbst Mutter dreier Kinder ist, tötet die kleinen Kinder der Frau ihres Zweitehemannes, offensichtlich nachdem sie selbst versucht hat sich da Leben zu nehmen." Die junge Frau ist Tara, und Moaali übernimmt ihre Pflichtverteidigung. Es gelingt ihr ein Todesurteil abzuwenden und eine lebenslängliche Freiheitsstrafe durchzusetzen. Nach der Machtergreifung der Mullahs wird der Fall jedoch erneut aufgerollt. Denn während sich das iranische Rechtssystem unter der Herrschaft des Schahs am französischen Recht orientierte wird nun nach der Scharia 'Recht' gesprochen. "So schreckliche Dinge auch unter Mohammed Resa Palawie passiert waren, das Gesetzbuch zumindest war ein gerechteres gewesen", konstatiert die Autorin. Und noch etwas wird immer augenfälliger: "Unter Khomeini war die Lage der Frauen im Iran nicht besser geworden, im Gegenteil, die Mullahs beschnitten immer mehr ihrer Rechte." Die zunehmende Unterdrückung der Frauen schlägt sich natürlich nicht zuletzt in der neuen Rechtsprechung nieder, die etwa bei wiederholtem Verstoß gegen den 1982 eingeführten Schleierzwang die Todesstrafe vorsieht. Und was Tötungsdelikte betrifft, so gehen Großväter und Väter straffrei aus, wenn sie ihre Kinder oder ihre Enkel töten. Frauen erwartet beim gleichen Delikt hingegen die Todesstrafe. Moaali weiß, dass das neue Strafrecht auch für ihre Mandantin den Tod bedeuten kann. Wiederum unternimmt sie alles, um Tara vor dem Galgen zu retten. Doch diesmal vergeblich. Das letzte Wort haben nach der Scharia die Verwandten eines Getöteten. Nur wenn die Mutter der ermordeten Kinder Tara verzeihen würde, wäre ihr Leben gerettet. Sie weigert sich jedoch und Tara wird gehenkt.
Gelegentlich changiert das Buch zwischen romanesker Literarisierung einerseits und trockener Geschichtsreprotage andererseits. Insbesondere auf den ersten Seiten verlieren sich die persönlichen Erinnerungen wiederholt in der Schilderung weit zurückliegender historischer Ereignisse. Auch ist die zeitgeschichtliche Einordnung für die Lesenden nicht immer ganz einfach. So heißt es an einer Stelle, dass der Iran "bis heute" Rosinen in die Sowjetunion liefert. Gleichzeitig wird aber auf das Jahr 1997 zurückgeblickt, in dem die Sowjetunion schon lange nicht mehr existierte. Solche Mängel sollten in einem Buch, das eine Lektorin als Mitautorin nennt, nicht auftreten. Auch wäre es ihre Aufgabe gewesen zu verhindern, dass die Häuser von Alavian einen großen Platz umrunden. Die Schwächen, an denen das Buch insbesondere zu Beginn leidet, sind um so bedauerlicher, als es an Kraft und Intensität gewinnt, sobald Moaali die des Mordes beschuldigte Tara erstmals im Gefängnis besucht hat.