Wurstsalat und Kletterpflanze

Birgit Vanderbekes Erzählung "Geld oder Leben"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schriftstellern bekommt es nie gut, wenn sie sich allzu sehr am Geschmack des Publikums orientieren. Birgit Vanderbeke, die 1990 für ihr Debütwerk "Das Muschelessen" nicht nur mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, sondern auch hohe literarische Erwartungen weckte, entwickelt sich immer stärker in Richtung Populärprosa. In ihrem letzten Band "Abgehängt" widmete sie sich schon auf leicht konsumierbare Weise dem beliebten Thema "Mutter-Tochter-Konflikt".

Nun startet sie auf gerade einmal 140 Seiten einen Gang durch die deutsche Nachkriegsgeschichte und blättert ein Familienalbum auf, das alle wichtigen Eckpunkte enthält: die Kindheit in der ehemaligen DDR, die Flucht in den Westen, den Zerfall der Familie, die Studentenzeit in den 70er Jahren, die "grüne ideologische Welle", den Mauerfall, das Kabelfernsehen und den Zusammenbruch des Neuen Marktes. Bei allem Respekt vor dem Versuch der inhaltlichen Straffung, stellt sich schnell Unbehagen ein, denn die 47-jährige Autorin bedient sich in Schlagzeilenmanier lediglich der Klischees aus den unterschiedlichen Epochen. Hier werden mit pseudo-intellektuellem Anspruch abgestandene Stereotypen aufgewärmt, wird portionierte Geschichte aus der Mikrowelle verabreicht.

Die Ich-Erzählerin verkörpert (wieder einmal) den Typus anständige, selbstständige, dickköpfige, unkorrumpierbare Frau. Sie mag den Vater nicht, weil er im Westen Karriere machte, sie verachtet den Bruder, weil er an der Börse spekuliert, sie kehrt symbolisch der kapitalistischen Gesellschaft den Rücken zu, weil von ihr eine Art Konsumterror ausgeht. Vanderbekes Sympathie für die Protagonistin und deren Verweigerungshaltung ist unübersehbar. Hier wird fein säuberlich in "Gut und Böse" kategorisiert, für Zwischentöne und Nuancen bleibt kein Platz.

Vor die Entscheidung "Geld oder Leben" gestellt, haben sich Vater und Bruder für die Verlockungen des Geldes entschieden und dadurch - so die latente Botschaft - den Zerfall der Familie billigend in Kauf genommen. Die Protagonistin lebt derweil (wir fühlen uns an Heldinnen aus dem sozialistischen Realismus erinnert) mit Partner und Kind in einer kargen Dachgeschosswohnung und hat sich dort eine Art Insel des "reinen Lebens" eingerichtet - abseits vom großen Geld und vom Karrierestreben.

Die implizite Methodik der Ratgeber-Literatur für aussteigewillige gestresste Mittvierziger wirkt schon reichlich frustierend, doch Birgit Vanderbekes Drang zur sprachlichen Simplifizierung, zu einem talkshowkonformen Duktus, setzt diesem Band noch die Krone auf: "Und du, fragte er, woran glaubst Du. Ich sagte sehr schnell, an Wurstsalat und meine blaue Kletterpflanze, und an den Hibiscus auch, und er sagte, das ist immerhin schon ein Anfang, aber mir war es trotzdem peinlich, daß ich es gesagt hatte, und ich nehme an, ich wurde rot, jedenfalls fühlte sich mein Gesicht heiß an, aber es war dunkel, und weil wir nebeneinander gingen, konnte er nichts davon sehen, und als wir noch ein paar Schritte gegangen waren, fand ich es erleichternd, daß ich es gesagt hatte."

Als eingestreute satirische Passage wäre dies amüsant zu lesen, aber schon seit dem Band "Abgehängt" (2001) wissen wir, dass dies Birgit Vanderbekes neuer Stil ist. Sich daran zu gewöhnen, fällt verdammt schwer.

Titelbild

Birgit Vanderbeke: Geld oder Leben. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
140 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3100870212

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