Ausgewogene Risikovermeidung
Werner Enke legt mit „Es wird böse enden“ gesammelte Weisheiten im Sprechblasenformat vor
Von Ulrich Rüdenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWerner Enke hatte es in den 60er Jahren als moderner Oblomov und Slacker avant la lettre zu einiger Berühmtheit gebracht. Davon zehrt er noch heute. In seinen bekanntesten Filmen „Zur Sache, Schätzchen“ und „Nicht fummeln, Liebling“ kultivierte er das Rumhängen als Lebensform; der Aktionismus der Studentenrevolte musste am Stoizismus Enkes abprallen. München Mitte der 60er Jahre – es passte alles: Die Nouvelle Vague war in Schwabing angekommen und für gut befunden worden. Der gegenüber dem amerikanischen und französischen Film schmerzlich verspürte Mangel an Coolness in der Szene um Enke, Lemke und Co. wurde durch den Charme des Dilettantischen wettgemacht. Nein, Werner Enke war nicht Belmondo, kein Polizistenmörder, sondern ein gescheiterter Student, ein sympathischer Loser und arbeitsscheuer Melancholiker. Enke setzte dieser Daseinsweise Denkmäler. Seine Film-Figur atmete den Geist der Anarchie, nur dass weniger eine studentenbewegte und ideologische Haltung dahintersteckte als vielmehr eine grundlegende Schlaffheit. Das Leben im Kino, in der Kneipe, im Bett zu verbringen, mit oder ohne Uschi Glas, sich Aufregungen zu entziehen, kurze Energieschübe zum Verarschen der Polizei zu nutzen – das ist trotzdem „nich‘ nichts“. Besser als Kaufhäuser in Brand zu stecken. „Ausgewogene Risikovermeidung“ nennt das der inzwischen 62-Jährige, der sich seit dieser glorreichen schöpferischen Phase nur mehr sporadisch ans künstliche Licht der Öffentlichkeit begeben hat. Nun ist er wieder da, besser: sein erstes Buch ist gerade erschienen, kein Roman, kein Comic, eher eine Art Strich- und Sprechmännchen-Tagebuch. Ein hinskizziertes Script für einen May Spils/ Werner Enke-Film, wenn das Paar denn noch einmal einen drehen würde. Und nicht zuletzt lässt sich „Es wird böse enden“ als Enkes „Minima Moralia“ fassen.
Wer sich an „Zur Sache, Schätzchen“ erinnert, dürfte auch die private Daumenkino-Vorführung für Uschi Glas nicht vergessen haben. Die kleinen gezeichneten Filmchen hatte Enke als etwa Neunjähriger fabriziert. Ästhetisch ist er sich treu geblieben. Aber die Mini-Monologe und Dialoge, die er dem „schlaffen Haro“, dessen bedauernswerter Freundin Susi oder dem „Rundumgeschäftsmann Dr. h. c. Willi Permaneder“ nun auf die Strichleiber geschrieben hat, bilden komprimiert eine lebenslange philosophische Beschäftigung mit den wesentlichen Fragen ab. Und bringen diese aphorismenhaft auf Sprechblasenlänge, mal schal, mal genial. Sitzt der schlaffe Haro sinnierend auf einer Parkbank und vermutet zu Recht: „Ich habe keine sehr hohe kommerzielle Energie.“ Und nach einem Kinobesuch denkt er sich fast schon in eine zuversichtliche Stimmung dem eigenen Dasein gegenüber hinein: „Der Film war so langweilig, dass einem danach das eigene Leben wieder Schritt für Schritt spannend und hochdramatisch vorkommt.“ Einmal steht Haro mit Freund Frank an den Pissoirs in der Lieblingskneipe. Sagt Frank: „Dass du überhaupt nichts mehr gemacht hast in den letzten fünf Jahren, das glaubt dir doch kein Mensch!“ Und darauf Enkes Alter ego: „Den Beweis werde ich schon noch liefern.“ Wenn das Nichtstun so ein hinreißendes Buch hervorbringt, dann möchte man unbedingt weitere Beweise sehen.
Hinweis der Redaktion am 1.9.2022: Die inzwischen vergriffene erste Auflage von 2003 (siehe unten!) wurde vom Autor Werner Enke 2022 im Eigenverlag in einer zweiten Auflage veröffentlicht. Siehe https://www.eswirdboeseenden.info/ !