Polemiker von Gnaden
Der Briefwechsel Karl Kraus - Herwarth Walden
Von Rolf-Bernhard Essig
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls läse man den hektischen, kurz angebundenen, gehetzten und kürzeldurchsetzten E-Mail-Austausch zweier Redakteure, so wirkt immer wieder dieser neunzig Jahre alte Briefwechsel: "briefe karte erhalten vielen dank kann jetzt nicht antworten fackel hier donnerstag gruesse". Das Wort "Telegrammstil", das mit jedem Tag, seit die Versendungsart abgeschafft wurde, an Verständlichkeit verliert (während die Verbreitung des Stils zunimmt), wird hier auf vielen Seiten evident: "war erkaeltet bettlaegerig erscheint montag dank fuer karte herzliche gruesse" oder "verteidigung jedenfalls heinemann widerklage protokoll herzlichst". Der Sprachfetischist, der mit Sprache geschlagene und mit Sprache zuschlagende Karl Kraus gönnte dem Telegrafenamt von seiner Wortkunst nichts. Zu dringlich bedurfte er ihrer für seine Einmann-Zeitschrift, "Die Fackel". Sein Briefpartner Herwarth Walden, der laxer mit Worten umzugehen sich zugestand, mied zwar aus Kostengründen meist Telegramme (außer bei Geldmangel: "erbitte dringend telegraphisch 50 mark brief folgt vielen dank."), nicht aber ihre gedrängte Knappheit: "Mein lieber Freund. Vielen Dank. Ich sandte Ihnen schon vor Ihrem Telegramm das 'Kleine Journal' mit Engelzitaten. Haben Sie es nicht erhalten? Ich habe unerhört zu tun, daher nur die wenigen und eiligen Worte. In Eile wie immer Ihr Herwarth Walden".
Schon diese Gedrängtheit der beiden Korrespondenten, um nicht "Getriebenheit" zu sagen, fasziniert an der Ausgabe, die George C. Avery verantwortet, deren Titel an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: "Feinde in Scharen. Ein wahres Vergnügen dazusein." Karl Kraus / Herwarth Walden. Briefwechsel 1909-1912. In unvorstellbarer Härte und Häme schlugen im literarischen Leben der Zeit die Kombattanten aufeinander ein. Fast niemand kann sich heute mehr vorstellen, mit welchem Eifer die Literaten untereinander Krieg führten. Persönliche Beleidigungen waren die Regel, nicht die Ausnahme, ihre Schärfe führte in unseren Zeiten sofort vor das Gericht. Zwei Polemiker von Gnaden wie Herwarth Walden und - freilich ganz anderen Kalibers - Karl Kraus fanden sich denn auch oft genug vor dem Kadi wieder, was ihren heiligen Zorn freilich nur noch mehr befeuerte. In den drei Jahren, die ihre Korrespondenz währte, nimmt das Juristische entsprechend viel Raum ein. Viel mehr natürlich die publizistischen Pläne und Feldzüge, denn Walden wollte einerseits vom Ruf des Österreichers profitieren, andererseits ihn, der in Berlin nicht so weit bekannt und gefürchtet wie in Wien war, auch in der Hauptstadt des Reiches durchsetzen. In den 644 Postkarten, Telegrammen, Briefen um die Werbemöglichkeiten für die "Fackel" in Berlin, geht es um die Etablierung einer der wichtigsten Zeitschriften der Klassischen Moderne, den "Sturm", die Karl Kraus durch finanzielle, ideelle und literarische Unterstützung möglich machte. Doch neben Problemen mit dem Zeitschriftenabsatz und -druck, neben Literatur- und Kunstpolitik ging es natürlich ebenso oft in ausführlichen Schreiben um ästhetische Fragen, in denen Walden wesentlich häufiger die heute akzeptierte Moderne verteidigte, wohingegen Kraus aus im besten Sinne konservativen Überzeugungen keinen Hehl machte. Uneinigkeiten darüber führten letztlich zum Bruch nach einer kurzen, intensiven Verbindung, die den Zeitgenossen für eine kleine Weile viel zu denken und viel zu fürchten gab.
Die ausgiebig kommentierte Ausgabe des Briefwechsels wirft den Leser mitten hinein in eine extrem spannende, von Krisen und Unsicherheiten, von Aufbruchstimmung und Untergangsangst bestimmte Zeit, die unentwegt provoziert, Parallelen mit unserer Zeit zu ziehen. Auf diese Weise bietet das exzellente Werk, dessen ausführliches Register und umfangreicher Bildteil weitere Vertiefung ermöglichen, nicht nur für Forscher reiches Material. Es fasziniert unmittelbar jeden, der sich für Kunst und Literatur interessiert.
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