Eine Haltung zur Niederlage

Der kürzlich verstorbene Peter Hacks im Briefwechsel mit André Müller

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf der Seite der politischen Verlierer zu stehen ist keine Schande. Eine Niederlage verrät etwas über gegenwärtige Kräfteverhältnisse und nichts über die Qualität von Gedanken. Je nach Charakter und Temperament gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit ihr umzugehen, man kann auch gerne kombinieren. Der Opportunist wechselt die Seite (oder zeigt, auf welcher Seite er immer schon stand) und wird noch eine Zeitlang als nützlicher Idiot vom Gewinner bezahlt. Auf den Opportunisten, auf den Verräter, den Schuldigen an der Niederlage kann man schimpfen; das hat Vorteile, es entlastet die Psyche und trifft meist die Richtigen. Der politische Nutzen bleibt begrenzt. Der Analytiker nun sucht nach Gründen für die Niederlage und findet Erkenntnisse, die beim nächsten Anlauf doch wenig helfen; denn zu unterschiedlich dürften die Bedingungen sein. Der Künstler schließlich kann sich über diese Perspektiven erheben, insofern er die Lage in Form fasst.

Im vorliegenden Band ist der Briefwechsel zweier kommunistischer Künstler in den Krisenjahren 1989/90 gesammelt. Unmöglich eigentlich schon die Stellung beider vor dieser - wenn man so will - Wende. André Müller, als Nonkonformist im Westen an den Rand des Literaturbetriebs verbannt, blieb bis heute draußen, obwohl seine pointierten Formulierungen, wiewohl für die flüchtige Gattung Brief, einen erheblichen Grad an Sprachbeherrschung zeigen. Immerhin kann er irgendwann mitteilen, er werde eine bescheidene Rente bekommen. Der Ende August im Alter von 75 Jahren verstorbene Peter Hacks, in den 50er Jahren in die DDR emigriert und nach Schwierigkeiten mit der SED bekennender Stalinist und Ulbrichtianer, war dennoch im literarischen Leben etabliert. Ihm stand, begrenzt und nicht bei den Hauptverlagen des hochliterarischen Marktes, eine rätselhafte Alterskarriere bevor, propagiert sogar von der "F. A. Z.", ohne dass er durch irgendeine anpasserische Bußfertigkeit sich dafür qualifiziert hätte. Sprach-Elitarismus wie die Wendung gegen jeden volkhaften Pöbel mögen diese Vereinnahmung gefördert haben.

Welche Haltungen nun aber zeigt vorliegende Korrespondenz? Opportunismus gar nicht, in keinem Satz, keinem Laut wird erwogen, das demokratisch-marktwirtschaftliche Modell könne das bessere sein. Gleichfalls fehlt die Analyse, man ist noch mitten im Geschehen, und sogar fragt man sich, natürlich vergeblich, ob das Nachgeben eines Gorbatschow eine List sein könnte. Doch das ist randständig, es dominieren Feindsuche und Trotz.

Und wer ist nicht alles Feind! Kehrt man die Frage um, wird die Antwort kürzer: mit Sicherheit nicht André Müller und Peter Hacks; allmählich gewinnt Hacks an Sicherheit, dass der von ihm seit Jahrzehnten wegen seiner Nachgiebigkeit gegenüber dem Westen abgelehnte Honecker doch zuletzt keine Ausverkaufspolitik betreibe; Müller glaubt Hacks nach bedeutender Skepsis, dass der junge, in die DDR emigrierte Schriftsteller Schernikau zuverlässig sei.

Der Rest ist also Feind. Für alle relevanten politischen Kräfte im Westen gilt das sowieso, die haben es aber auch nie geleugnet. Die Gorbatschowisten in der DKP, die mit moralisierenden Klagen über stalinistische Verbrechen den Parteiapparat mit seinen Mitteln in die Hand zu bekommen versuchten und im Moment der offensichtlichen Niederlage der DDR austraten, weil es dann mangels Geld auch keinen Apparat mehr gab: Sie ziehen ebenfalls Erbitterung auf sich. Zudem die Zentristen der DKP, die nicht konsequent gegen die "Erneuerer" streiten; und im Osten der Parteiapparat der SED, der sich nicht gegen die Auflösung wehrt; die Kulturfunktionäre, die keine Zensur durchsetzen; die Künstler sowieso, reaktionäre Romantiker wie der "schon irrsinnig geborene Müller" (hier: Heiner) und Utopisten allesamt, dem Sozialismus feindlich gesinnt und Repräsentanten einer antistaatlichen Fronde. Die PDS wird schon in ihren Anfängen als reformistisches Gebilde entlarvt, was so falsch ja nicht war, sich freilich politisch und soziologisch erklären ließe. Falsch ist dabei der Ton der Klage.

Als politisches Ideal nämlich fungiert Stalin, besonders von Seiten Hacks'. Hacks lässt sich aus dem Westen gesammelte Stalin-Werke besorgen und will dann auch noch die Militärreden von 1941, wo er eine Strategie des Rückzugs zu finden hofft, während es doch damals nur darum ging, das Ausmaß der Katastrophe in den ersten Kriegsmonaten zu bemänteln. Das hatte als Propaganda 1941 vielleicht einigen Effekt, wiewohl man zweifelt; in Privatbriefen 1989 war es nutzloses Wunschdenken.

Hacks und Müller teilen einen der Fehler stalinscher Politik: die Personalisierung von Schuld. Wer nicht so will wie der Generalsekretär oder sie, muss dumm oder böse sein (womit, betrachtenswerter Widerspruch, Hacks und Müller 1989 zu dogmatischen Abweichlern von der Linie wurden, eine interessante Lage also). Angesichts der stalinistischen "Säuberungen" der dreißiger Jahre aber galt der vernünftige Einwand, wie es denn habe kommen können, dass Lenin fast sein ganzes Politbüro mit Agenten des Kapitalismus bestückt habe; ebenso wäre zu fragen, warum die nach Hacks und Müller so glücklich stalinisierten Parteien dann doch nur Reformisten und dumme Zuarbeiter des Westens hervorbrachten.

Man kann begründen, wie gutwilligste und durchdachte linke Praxis zur schlechten Haltung führen kann, wie im Westen eine Partei in antikommunistischer Umgebung um Akzeptanz ringt und richtig erkennt, dass das Neue immer schon Praxis sein muss und der Apparat konsequent im Reformismus steckenbleibt, der aber gar nicht neu ist; wie Parteien im Osten die Wirtschaft im Maßstab der weltweiten Konkurrenz organisieren müssen und ihre Funktionäre diesen Maßstab dann auch zur Richtlinie ihres Handelns machen; wie Künstler im Osten angesichts obrigkeitsstaatlicher Reglementierung eine linkssozialistische Opposition mit abstrakt-demokratischen Forderungen bilden, die dann im Moment des Zusammenbruchs, nicht darüber hinaus, für den Westen nutzbar ist. Daran gemessen ist der Briefwechsel von Müller und Hacks nur einer voller verschenkter Möglichkeiten von Erkenntnis und also zu vernachlässigen.

Aber man kann auch auf der Ebene der Ästhetik argumentieren, und dann wird es schwierig. Wenn Hacks und Müller nicht Nothilfe bei Stalin und dessen kulturpolitischen Erfüllungsgehilfen Shdanow suchen, dann bei großen Autoren der Vergangenheit, selbstverständlich bei Hacks Goethe, beide bei Shakespeare, und Hacks bei der oberflächlich betrachtet grotesken Zusammenstellung Stalin - Voltaire. Der Rückbezug des erklärten Stalinisten auf den Verfechter der Toleranz hat aber seinen Sinn, indem die Personalisierung von angeblicher Schuld in der stalinistischen Verfolgung der emphatischen Bekräftigung des Individuums beim Aufklärungsphilosophen entspricht; des Philosophen, der, wie Hacks anmerkt, Königen diente und die ideologischen Grundlagen der monarchischen Ordnung zerstörte, was auch einen zentralen Widerspruch der Dramaturgie Hacks' berührt.

Der etatistische Kommunist Hacks revitalisierte in einer linksgewendeten Ständeklausel das Königsdrama und brachte sogar noch in einigen seiner Nachwendestücke den Fürsten, als das handlungsmächtige Individuum, als Vorschein des befreiten Menschen auf die Bühne. Anders als Heiner Müller, der das utopisch-endzeitliche Moment von Gewalt und Terror propagiert, kennt Hacks für dieses Individuum nur das Ausharren angesichts des bevorstehenden Zerfalls. Alle Einrichtungen sind gebrechlich, und erlauben sie wie schon beim König René in "Margarete in Aix" (1966) auch nur eine Zeitspanne von Frieden bis zu ihrem Verfall, so sind sie schon zu loben. Hacks' Klassizität, die politisch so nah an blinden Terror gerät, ist schon früh eine des resignierten Duldens - Heiner Müllers romantische Hoffnung auf Erlösung, die in der Literatur die extremsten Mittel durchprobiert, gerät in der Wendesituation 1989 in die Nähe blinder reformistischer Erwartungen.

Das Aushalten angesichts des Niedergangs, eine durchaus snobistische Haltung Hacks' wie André Müllers, prägt die besten Passagen der Korrespondenz. Die wichtigere Frage, die an Hacks "nagt", sei die nach den wohlschmeckenderen französischen Gitanes; eine Haltung des Genießens, doch eines Genießens als bewusstem Fluchtpunkt, das so seine politische Funktion erhält. Auch Überdruss kommt vor: "Die Welt-Dinge sind langweilig, weil undurchsichtig, und undurchsichtig sind sie, weil sie noch nicht ausgekämpft sind", schreibt Hacks, freilich um sich dennoch gleich den "Welt-Dingen" zu widmen, die den überwiegenden Teil des Briefwechsels füllen: die Schwierigkeit etwa, noch künstlerisch tätig zu bleiben, ohne den Siegern nach dem Mund zu reden; auch Angst. Befürchtungen André Müllers, es könne bei der Konterrevolution in der DDR zu einem weißen Terror kommen, wirken ja nur aus heutiger Sicht übertrieben.

Kann man all das lesen, soll man es lesen? Die Frage ist schwierig zu beantworten, nervt doch die Präsentation sentenziöser Sprachkunst. Das ist Folge der Gattungsverschiebung vom Brief ins Buch. Was über Monate verteilt einzeln aus dem Briefkasten erfreute, wirkt in der Massierung zuweilen etwas gespreizt, wozu auch die Kommentierung beiträgt. Die Selbsthistorisierung ("Hacks irrt") erweckt den Eindruck von Eitelkeit, gerade weil es erkennbar um Gegenwärtiges geht.

Das ist nur erträglich, wenn man das Genre Kommentar als Zitat einer Klassikerausgabe liest und damit als Selbstironie. Das Äußere des Buchs unterstreicht diesen Aspekt. Nicht allein Geburts- und Wohnort der beiden Autoren, auch noch ihr "Landsitz" wird verraten, als handle es sich um alten oder zukünftigen Adel. Farbe und Musterung des Äußeren verweisen aufs Poesiealbum: rot, ins Rosafarbene hinüberspielend, aber im Ornament, sieht man nur genau hin, Hammer und Sichel. Die Spielereien mit der Haltung sind Ernst.

Man lege also das Büchlein auf den Nachtschrank; lese und genieße den einzelnen Brief; erkenne und widerlege die Zeichen der Ironie, die die Autoren, nie aber ihre Sachen betreffen; und zweifle bei dieser Gelegenheit mit einem flüchtigen Blick auf die Welt, ob die Jahre 1989/90 wirklich eine Verbesserung brachten.

Titelbild

Peter Hacks / André Müller: Nur dass wir ein bißchen klärer sind. Der Briefwechsel 1989 und 1990.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2002.
128 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3359014375

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