Was auch immer geschieht

Zum Tod des Lyrikers Rainer Malkowski

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Dies ist ein Morgen / zu schön / um nicht an den Tod zu denken", so beginnt ein Gedicht aus Malkowskis spätem Debütband "Was für ein Morgen" (1975). Zehn Jahre lang hatte der am 26. 12. 1939 in Berlin geborene Karriere als Werbetexter in Frankfurt und Düsseldorf gemacht, bis er als Geschäftsführer einer großen Agentur ausstieg und seit 1972 mit seiner Frau in Brannenburg am Inn als freier Schriftsteller lebte. Auf zwei Förderpreise folgten 1979 der Leonce-und-Lena-Preis und das Villa-Massimo-Stipendium. Malkowski war Mitglied der Mainzer Akademie und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Acht Gedichtbücher umfasst sein Œuvre, für das er 1999 mit dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet wurde. "Unsere Lieblingsgedichte sind wahrscheinliche jene", schrieb er einmal, "bei denen wir am deutlichsten fühlen, daß sie uns sehend machen". Entsprechend ist Wahrnehmung, das emphatische Sehen, auch das wichtigste Demonstrations- und Reflexionsfeld von Weltbegegnung und Weltaneignung in Malkowskis Poesie.

Seine lyrische Sprache hatte von Anfang an einen unverwechselbaren lakonischen Ton. Im Gestus der Zurückhaltung sind seinen Gedichte von zarter und strenger Schönheit und einer - nicht selten ironisch gefärbten - skeptischen Gelassenheit. Zwischen "Neuer Subjektivität" der 70er Jahre und traditionalistischen Tendenzen der 80er behauptete Malkowski so eine eigenständige Position. Flucht in melancholische Idylle lautete ein von manchen Kritikern erhobener Einwand gegen seine ersten Bände. Doch in seinem "Sprechen aus der poetischen Selbstverständlichkeit heraus", so Karl Krolow, zielte Malkowskis komplizierte und komprimierte Subjektivität nicht auf Selbstbespiegelung in der Entfremdung, sondern wusste sich dem Fragen verpflichtet. Auch die Prosatexte von "Im Dunkeln wird man schneller betrunken" (2000) - meist nur wenige Zeilen lang, nie füllen sie eine ganze Seite - sind auf Zusammenhänge aus, auf Evidenz, auf das Staunen.

Als Selbstverständigungsversuche blieben seine Gedichte ihren Gegenständen treu über die Jahre - in der Vereinzelung, in der sonderbaren Tröstung der Natur wie in Momenten sinnlichen Glücks: im Genre der immer wieder neu eroberten Beobachtungen aus dem Alltag, in Form von Erinnerungen, in Porträts und Darstellungen exemplarischen Lebens, Liebesgedichten und nicht zuletzt im Lesen und Schreiben. Die von Malkowskis beschworene "unverstörte Anschauung" realisiert sich im Text in der Zeichenhaftigkeit der Erscheinungen, im unprätentiösen Gewicht des Details. In "Das Meer steht auf" (1989) etwa bezeugt diese Zeile des Titelgedichts die ungebrochene Kraft der Natur und demonstriert zugleich das Prinzip der Verwandlung, des Zusammenhangs (das Meer steht auf im Wind, in den Blättern alter Bäume). Dass der Autor sich auf das "nicht austauschbare Fühlen und Sehen" berief, implizierte eine kulturkritische Klage und fungierte zugleich als ein dem Existenziellen, dem Diesseits verpflichtetes Programm. Die Gedichte sammeln also nicht nur Eindrücke, wie der Titel "Ein Tag für Impressionisten" (1994) suggerieren könnte, sondern zielen auf "Wahrnehmung als Ereignis" und Erkenntnis durch Vergegenwärtigung. Dabei liefern Künstler wie Corinth und Beckmann, Bilder alter Meister immer wieder poetologische Modelle: mit ihrer Hingabe, ihrer Distanz und, wie im Falle von Brancusi und Giacometti, ihrer Reduktion. Auch wenn Malkowsi sich dem Augenblick widmet, sind seine Gedichte nicht Momentaufnahmen, sondern lassen sich eher als dynamisch komponierte Stilleben oder als Raum schaffende Gebilde begreifen, deren großes Sujet die Zeit ist.

In all seinen Gedichtbüchern bedachte Malkowsi das Lebensende und den Tod im Leben, signalisiert schon in Titeln wie "Zu Gast" (1983) oder "Was auch immer geschieht" (1986), der in der Illusionslosigkeit des Verlustes den Anspruch des Weitermachens evoziert und Malkowskis Dichtung auch als eine Kunst des Nichtgesagten demonstriert: "Wie die Welt im Verlust / sich ereignet, / versteht jeder / allein". Malkowski ist, war eine selten kontinuierliche Stimme der deutschen Lyrik, eine der verlässlichsten, die nun fehlt. Am 1. 9. ist Rainer Malkowki nach längerer Krankheit gestorben. Im Frühjahr erschien sein letztes Buch, in dem er Hartmann von Aues "Armen Heinrich" in alltagsnaher, knapper Rede in die Gegenwart transponierte. Poetologisch stellte er keine Programme auf. Er machte Gedichte. Woran er arbeitete, verrät vielleicht eine Sentenz der letzten Jahre: "Das Einfache ist der unverstellte Zugang zum Komplexen."

Titelbild

Rainer Malkowski: Hunger und Durst. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1997.
85 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3518409069

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Titelbild

Rainer Malkowski: Der arme Heinrich. Nachdichtung von Rainer Malkowski.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
152 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3446202870

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