Die etwas andere Altersweisheit

Bernd Rabehl wartet mit einer nationalrevolutionären Umprofilierung Rudi Dutschkes auf

Von Johannes SpringerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Springer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Vorlesungsverzeichnis des Sommersemesters 2003 des Otto-Suhr-Institutes der Freien Universität Berlin findet man eine Veranstaltung betitelt mit "Der neue Populismus in Europa" unter der Seminarleitung von Prof. Dr. Bernd Rabehl. Mangelnde Selbstreflexivität konnte man den 68ern wohl noch nie zu Last legen, doch solch ein Ausbund an sowjetischen Selbstkritiktraditionen erscheint dann doch bemerkenswert. Oder sollte es Rabehl am Ende gar nicht um seine eigene Rolle gehen im Kontext der Neuen Rechten um Renegaten wie Horst Mahler?

1999 referierte Rabehl im Rahmen der Bogenhausener Gespräche bei der Burschenschaft Danubia den Vortrag "Nationalrevolutionäre Ansätze 1968 und die heutige Lage der Deutschen", der auf einem vor Überfremdungsängsten und Volksbeschwörungen strotzendem Essay aufbaute, der zuvor in "Junge Freiheit" unter der Schlagzeile "Ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden" publiziert worden war. Damit knüpfte Rabehl, der in seiner Vita rege Mitwirkung beim SDS und in der theoretischen Ausrichtung der APO vorzuweisen hat, an eine Veröffentlichung an der ehemaligen Genossen Mahler, Maschke und Oberlercher in derselben Publikation an. In dieser "kanonischen Erklärung zur Bewegung von 1968" wird die Umdeutung ihrer politischen Wurzeln, der 68er Bewegung, zu einem nationalrevolutionären Befreiungsmythos expliziert, indem man dieser als fundamentale Intention die Abwehr sowjetischen und amerikanischen Einflusses unterstellte. Dieser habe die Zerstörung der Völker und Familien durch die Kommerzialisierung des Lebens bewirkt. Zugunsten des deutschen Volkes versuchen sie also heute in Anknüpfung an die 68er, denen sie nun die Habermassche Beschimpfung als "linker Faschismus" positiv und affirmativ auslegen, die Amerikanisierung zurückzudrängen. Um eine bruchlose Kontinuität zu heutigen rechtsradikalen Anschauungen zu bauen, greifen sie auch schon mal zu ausgefalleneren Analogien, in denen etwa die RAF zur SS der zweiten Jahrhunderthälfte wird. Das Problem dieser Versuche, eine nahtlose nationalrevolutionäre Tradition seit den 60er Jahren zu der heutigen Rechten zu konstruieren, ist ganz einfach, dass nur allzu häufig tatsächlich Antiimperialismus, Antiamerikanismus, und Antizionismus(bzw. Antisemitismus) unter der Chiffre linker Emanzipationspolitik verkauft wurde. So sind die unglaublichen antisemitischen Ausfälle der RAF und auch die bis heute fortdauernde stete einseitige Solidarisierung der Linken mit den palästinensischen Anstrengungen sowie die damit einhergehende Dämonisierung Israels ebenso in diesem Kontext zu sehen wie kulturpessimistische Anwandlungen, die in amerikanischen Einflüssen das Einsickern fremder, "undeutscher Werte" sehen. Eine zentrale, problematische Tendenz, die den 68ern inne war, liegt mit Sicherheit in dieser sehr eindimensionalen Ablehnung Amerikas, das nach Solidarisierung mit den antikolonialen Bewegungen in Afrika und Lateinamerika auch als "Feind" Deutschlands interpretiert wurde, von dem es sich zu emanzipieren galt. So jedenfalls hören sich zum Beispiel Schriften der RAF an, in denen vom "Versuch der Besetzungsmacht, die Identität des unterworfenen Volks zu vernichten, das Bewusstsein seiner historischen Existenz auszulöschen" und von einer Kolonisierung Westdeutschlands durch die US-Besatzer gesprochen wird, die einen Vergleich mit einem unter amerikanischem Einfluss stehenden Dritteweltland logisch machen. Gepaart mit antikapitalistischer Polemik hat man schon ein feines Bouquet geschnürt, das jedem Kreisvorstand der NPD die Augen übergehen läßt.

Doch lässt sich in der gesamten Bewegung der 68er und auch in der RAF der Grundimpuls anderswo finden, nämlich nicht in der Amerikakritik, sondern in der Negation des deutschen Faschismus. Und dieses kardinale Motiv, das von einer Kontinuität des deutschen Faschismus in der BRD ausging und die für den Holocaust verantwortliche Generation immer noch in Schlüsselstellen des Landes wähnte - und u. a. deshalb ja auch diesen Staat so vehement bekämpfte -, wird in allen Versuchen ein nationalistisches Credo in die 68er und Nachfolgegruppen hineinzulesen, unterschlagen. So auch bei Bernd Rabehls Buch "Rudi Dutschke. Revolutionär im geteilten Deutschland". Dutschke soll hier zum Beweis für die These aller 68er-Renegaten gemacht werden, das "Rote Jahrzehnt" sei in Wahrheit ein braunes gewesen, wobei aller möglichen Kritik der Unbotmäßigkeit solcher Zuschreibungen bereits in seinem Dutschkeessay begegnet wird: "Ich selbst befürchte eher, mich von dieser Zeitspanne meines Lebens nicht getrennt zu haben und heute primär als der Bewahrer oder sogar "Wächter" dieses politischen Aufbruchs aufzutreten, um ihn vor den vielen kleinen Lügen und Revisionen zu schützen" Mit dieser Chuzpe agierend, vereinnahmt er Dutschke als den antikolonialistisch für die Befreiung von der Okkupation der beiden deutschen Staatenkämpfenden, den er als der enge Vertraute am besten verstehen konnte, sehr viel besser zumindest als Gretchen Dutschke, die als Amerikanerin "keinerlei Zugang zur Deutschen Frage" gehabt hätte.

Nicht zur Debatte steht, dass Dutschke sich ein wiedervereinigtes Deutschland gewünscht hätte und er somit durchaus auch nationale, kulturnationale Töne anstimmte, die befremdlich sind. Jedoch fand bei ihm niemals eine Konstruktion von kollektiven Identitäten statt, die das deutsche Volk oder die deutsche Nation als Träger nationalemanzipatorischen Gedankenguts sah. Stattdessen findet man bei ihm stets eine Betonung der Kapazität des einzelnen, die Wendung zu einem sozialistischen, gerechteren Gesellschaftssystem zu leisten. Von einem ethnisierten deutschen Volkskörper, der unterdrückt und unterjocht wird, ist keine Rede. Gerade Dutschke hatte erkannt, dass es eine Aufhebung des Kapitalismus nur international geben kann. Zudem hätte Dutschke auch nicht dazu angesetzt, von amerikanischen Deutschlandspezialisten zu sprechen, die die nationale Tradition aufzulösen, die Eliten entmachten und austauschen sowie die Kultur und die psychologische Disposition der Menschen verändern wollen. Diese antisemitische Argumentation, die hier Rabehl entwickelt ¾ denn mit den "amerikanischen Deutschlandspezialisten" sind natürlich die jüdischen Vertreter der kritischen Theorie gemeint ¾ ist mit der Position Dutschkes nicht vereinbar. Denn anknüpfen an eine deutsche Identität, die vor der Besetzung durch die Alliierten geschah, wollte der von den deutschen Verbrechen angewiderte Dutschke gewiss nicht. Dies war aber die unmittelbare Tradition der Deutschen, die nur durch die Befreiung durch die Alliierten verändert wurde. Gretchen Dutschke versuchte sehr detailliert ihren Mann zu verteidigen. Auch führt ein in Rabehls Buch völlig unterbleibendes wissenschaftliches Arbeiten zu einer zumindest partiellen Zurückweisung seiner Thesen: "Die deutsche Frage war mir nie fremd, ich verließ die DDR nicht, um in ein Exil zu gehen. Zwar in fremde Verhältnisse, aber nicht in ein fremdes Land [...]. Bei mir ist nirgendwo [...] die reaktionäre Kategorie 'Überfremdung' zu finden." Der "revolutionäre Nationalismus" sei kein Dauerzustand und müsse in "militanten und sozialen Humanismus transformiert werden [...] Wir machen unsere Arbeit heute unter weltgeschichtlichen Bedingungen, in einem ganz realen Sinne. Heute ist die Bundesrepublik absolut nicht mehr als Nationalstaat zu begreifen, wir stecken in einem System von internationalen Zusammenhängen. Wir stecken in der NATO [...] Wir brauchen einen internationalen Weltmarkt, der nicht die eine Hälfte der Welt ständig mehr verelendet, um so die Konflikte weiterzuproduzieren .[...]. Der Nationalstaat als Hemmnis ist nicht überwunden. Er steckt im Bewußtsein der Menschen drin. Und unser Problem besteht gerade, dieses ideologische Hemmnis zu beseitigen, um die internationale weltweite Vermittlung sichtbar zu machen. Der Prozeß unserer Arbeit baut immer mehr die Chancen ab, daß NPD-mächtige Führer Massen erfassen können." Ein durchaus ambivalenter Fall bleibt Dutschke trotz dieser entlastenden Zitate, was ihn aber trotzdem nicht in eine Linie mit neorassistisch argumentierenden Figuren wie Bernd Rabehl oder Horst Mahler stellt, die ihn maßlos entfremden.

Natürlich ist diese Entfremdungspraxis immer unterlegt mit dem Gestus dessen, der nur die unerträglich fesselnden Denk- und Redeverbote durchbrechen will und den Tabubruch riskiert, um der Wahrheit endlich Gehör zu verschaffen. Dass solche enthüllenden Wahrheiten, die eine revolutionär-neue Sicht auf ein Thema versprechen, auch manchmal mit Vorsicht zu genießen sind, beweist Bernd Rabehls Interpretation Rudi Dutschkes, die wohl noch für Diskussionsstoff sorgen wird.

Titelbild

Bernd Rabehl: Rudi Dutschke. Revolutionär im geteilten Deutschland.
Edition Antaios, Dresden 2002.
130 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3935063067

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch