Definieren und Differenzieren

Hochschullehrer geben Studierenden Tipps für die wissenschaftliche Schreibarbeit

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Am Anfang ist ein leeres Blatt Papier, ein Schreibblock mit Linien. Ich schreibe mit der Hand, mit einem Kugelschreiber - ein ganz gewöhnlicher muß es sein, nicht zu dünn, kein moderner Filzstift, ein leichter Widerstand des hellgrauen Papiers ist wichtig (wenn der Stift zu leicht gleitet, irritiert es mich)."

Ekkehart Krippendorffs kluge und lesenswerte Meditation über das Schreiben mit Papier und Kugelschreiber, 1999 in Wolf-Dieter Narrs und Joachim Starys Reader "Lust und Last des wissenschaftlichen Schreibens" erschienen, spielt diskret auf den Schöpfungsakt an ("Im Anfang war das Wort"). Auch Gott war Autor - im Sinne von Urheber -, und berühmt ist das Bild seines eingeborenen Sohnes, der im Angesicht der Ehebrecherin und wie beiläufig mit dem Finger in den Sand schreibt, derer nicht achtend, die zur sofortigen Steinigung der Frau schreiten wollen. Nur eines Wortes würdigt er sie: "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" (Johannes 8,6).

Jesus selbst hat nichts Schriftliches hinterlassen, vielleicht deshalb, weil er die mündliche Rede bevorzugte, weil er bei anderen die Kunde seiner Taten gut aufgehoben wusste oder weil Sand ein flüchtiges Medium ist, womöglich aber auch, weil er eine Schreibblockade hatte oder wie Paulus der Auffassung war, dass der Buchstabe töte.

Ein Teil der Schreibschulen auf dem Büchermarkt will "tote Literatur" verhindern helfen, möchte erreichen, dass wieder gut und lebendig geschrieben wird, hat das ehrgeizige Ziel, die deutsche Gegenwartsliteratur aus ihrer Erzählbaisse herauszuführen. Ein anderer Teil hat sich die Sprachpflege zur Aufgabe gestellt, will "Gutes Deutsch" vermitteln und predigt "Stil nach allen Regeln der Kunst" (Willy Sanders). Ein wieder anderer Teil möchte Studierende beim Bewältigen und Strukturieren ihrer Seminararbeiten bzw. umfangreicheren wissenschaftlichen Schreibprojekten (Diplom-, Magister- und Zulassungsarbeiten, Dissertationen) unterstützen.

Otto Kruse thematisiert in seinem Buch, einem Steady-seller des Genres, den schöpferischen Ursprung als "Angst vor dem leeren Blatt". Die besonderen Schwierigkeiten des wissenschaftlichen Schreibens sieht er in den unausgesprochenen Regeln der wissenschaftlichen Rede und Darstellung, im Belegen und Begründen, im Definieren und Differenzieren, im Präzisieren und Paraphrasieren, im Strukturieren und Systematisieren. Der Verfasser plädiert für regelmäßige, möglichst tägliche Übungen und damit für einen Trainingsplan, der sich zeitlich im Alltag umsetzen lassen soll, der weder unter- noch überfordert und mit dem Studium vereinbar ist. Er gibt Leseempfehlungen ebenso wie Schreibanregungen, und vieles davon ist Psychologie und berücksichtigt den Gefühlshaushalt derer, die zwischen "Euphorie und Verzweiflung" nach einer soliden Basis für ihr jeweiliges Vorhaben suchen.

Die Probleme beginnen spätestens bei der ersten wissenschaftlichen Hausarbeit. Die wichtigsten Schritte hierbei sind: die Themenstellung präzisieren, einen Überblick gewinnen, Begriffe klären, Texte erschließen, Exzerpieren und Paraphrasieren, Kernaussagen sammeln und strukturieren, ein Referat und eine Rohfassung erarbeiten, Zitate platzieren und belegen und eine Bibliographie anlegen, zu eigenen Schlussfolgerungen finden und den eigenen Text nochmals im Feinschliff überarbeiten. Sehr nützlich sind die - bisweilen grau unterlegten - Beispiele und Textmuster, die beispielsweise vorführen, wie ein Originaltext auf seine Kernaussage reduziert und anschließend umgewandelt wird, wie ein Thesenpapier auszusehen hat oder wie ein Thema in Einzelaspekte aufgefächert und dadurch zugänglicher gemacht wird: "Erst die detaillierte Beobachtung führt zur Vielfalt der Aspekte, [...] erst die Vielfalt der Aspekte führt zur detaillierten Beobachtung. Darin steckt der Kern wissenschaftlichen Vorgehens."

Titelbild

Wolf Dieter Narr / Joachim Stary: Lust und Last des wissenschaftlichen Schreibens. Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer geben Studierenden Tips.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
284 Seiten, 11,70 EUR.
ISBN-10: 3518290371

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Otto Kruse: Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durch Studium, 8. Durchges. Aufl.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
269 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3593366592

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Willy Sanders: Gutes Deutsch. Stil nach allen Regeln der Kunst.
Verlag C.H.Beck, München 2002.
190 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3406476317

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