Wie ein Sonnenuntergang im Meer

Angela Carter erzählt in "Meerkater und Drachenkönig" die schöne Geschichte eines hässlichen Herrschers

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wenige wissen, dass auf dem Meeresboden Katzen leben. Auf dem Meeresboden ist alles genau so wie auf dem Land - nur dass natürlich alles dort ganz anders ist." Manche Dinge aber unterscheiden sich trocken wie nass nicht die Bohne. So beispielsweise die Oberflächlichkeit, mit der andere Menschen und Wesen beurteilt werden. Dass der schöne Schein trügen kann, ist allerdings ebenfalls bekannt. Und dass allzuviel Eitelkeit einsam macht, hat die Kinder inzwischen Marcus Pfisters wunderbar illustriertes Bilderbuch "Der Regenbogenfisch" gelehrt. Angela Carter nun wählt den umgekehrten Weg. In ihrem Kinderbuch "Meerkater und Drachenkönig" geht es um das Leiden, das das Gefühl der eigenen Hässlichkeit verursachen kann.

Drachenkönig ist der Herrscher des Ozeans. Er ist uralt, weise und freundlich wie ein Drachenkönig es nur sein kann. Aber so alt wie er ist, so hässlich ist er auch. Seine Augen waren "immer traurig, weil er sich seiner Hässlichkeit schämte. Seine Hässlichkeit war für ihn eine solche Qual, dass er sich in seinem Reich nur im Verborgenen bewegte." So haust er ganz allein - selbst Dienern will er seinen Anblick ersparen - in seinem Walskelett-Palast inmitten von Gold und Silber aus gesunkenen Schiffen und malt schmeichelhafte Porträts von sich selbst, "denn er empfand eine tiefe Sehnsucht, sich selbst schön zu sehen." Eines Tages hört er die geschwätzigen Seeanemonen von einem kleinen Meerkater erzählen. Diesem habe seine Mutter einen kostbaren Anzug genäht und bestickt, "noch heller als ein Sonnenstrahl im Wasser". Drachenkönig wird eifersüchtig und fasst einen Plan, der eines weisen Königs eigentlich nicht würdig ist. Doch die unvoreingenommene Freundlichkeit des kleinen Meerkaters und das gute Herz seiner Meerkatermutter führen schließlich zu einem Happy End, bei dem auch Drachenkönig einen funkelnden Anzug erhält, so rot wie "ein Sonnenuntergang im Meer". Schön ist er freilich immer noch nicht, aber mit der neuen Hülle schöner anzusehen. Und das "ist besser als gar nichts", meint der weise König pragmatisch.

Die glückliche Lösung - der Drachenkönig findet zu Selbstbewusstsein und -akzeptanz allein durch eine schillernde Hülle - mag pädagogisch etwas zweifelhaft sein (oder sollte die Botschaft lauten, ein jede/r kann mit dem richtigen Outfit etwas aus sich machen?). Doch gleichen dies die vorurteilslose Begegnung des Meerkaters und seiner Mutter mit dem Drachenkönig aus. Kein abfälliges Wort kommt dem kleinen Meerkater beim Anblick des hässlichen Herrschers über die Lippen. Vielmehr tröstet er ihn, als dieser Angst vor der Begegnung mit Meerkaters Mutter hat. "Sie wird hoch geehrt sein, dich kennen zu lernen, du bist schließlich Drachenkönig. Und sie wird deine Farbe bewundern, denn sie findet braun so praktisch." Ist also nicht alles eher relativ?

Die Sprache des einzigen Kinderbuches der 1992 verstorbenen Autorin und Essayistin Angela Carter ist einfach, klar und voll schlichter Poesie. Wesentlich zum Charme des Buches tragen die Illustrationen von Eva Tatcheva bei. Sie schafft es, den plumpen, mit Knoten, Warzen und Beulen überzogenen Drachenkönig in seiner ganzen Hässlichkeit darzustellen und ihn dennoch liebenswert und freundlich wirken zu lassen. Allein die Tatsache, dass es sich nur um Schwarz-Weiß-Zeichnungen handelt, erstaunt zunächst etwas. Hier hätte sich zweifellos auch eine aufwändigere Ausstattung als großformatiges, buntes Bilderbuch angeboten. Andererseits lassen die Zeichnungen so genügend Raum für die anschaulichen Vergleiche von Angela Carter. Denn als der Anzug fertig war, leuchtete er "wie Blumen im Sonnenlicht" oder "wie Kirschsaft im Glas". Und solches Strahlen ist wohl nirgends so wundervoll wie in der Phantasie.

Titelbild

Angela Carter: Meerkater und Drachenkönig. Illustriert von Eva Tatcheva.
Übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Akerhielm.
Berlin Verlag, Berlin 2003.
96 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3827050030

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