Popeye des Wischwassers

Wolfgang Hars über Werbeslogans und Reklamehelden

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nirgends konzentriert sich die Macht der Werbung so stark wie in ihren eingängigen Schlachtrufen, den Slogans. Botschaften wie "Nicht immer, aber immer öfter", bewerben nicht mehr nur das Bier der Marke Clausthaler, sondern sind längst zu geflügelten Worten geworden.

Mittlerweile sind wir alle ein bisschen Bluna. Denn der von den Werbespezialisten bezweckte Erinnerungswert einer Marke rumort im Kopf des Konsumenten als verinnerlichter Wiederholungszwang weiter. Dass man bei Esso nicht nur den Kraftstoff, sondern gleichzeitig auch "den Tiger" in den Tank packt, die klügere Zahnbürste nachgibt, bei Toyota "nichts unmöglich" ist, ist uns ebenso eingetrichtert worden, wie die Tatsache, dass Red Bull "Flüüügel" verleiht und Volksbanken "den Weg frei" machen.

Was aber steckt hinter diesen Losungen? Wolfgang Hars hat in seinem "Lexikon der Werbesprüche" 500 der bekanntesten Slogans zusammengetragen und beleuchtet ihre Entstehungsgeschichte. Das ist umso lehrreicher, als sich in einigen Fällen in den Slogans und den ihnen zugesellten Anzeigen, Plakaten und TV-Spots soziale und gesellschaftliche Befindlichkeiten kristallisieren.

Unter dem Leitspruch "Außen Toppits, innen Geschmack" zum Beispiel wurde 1990 eine schreckliche Tiefkühlkrankheit namens Gefrierbrand auskuriert. Der braven Ehefrau stehen buchstäblich die Haare zu Berge, als sie nach dem Anruf ihres Gatten - der Chef kommt überraschend zum Essen - Steaks aus der Gefriertruhe zieht, die deutliche Spuren des Brandzeichens aufwiesen. Dank Toppits-Gefrierbeutel finden sich doch noch unversehrte Fleischstücke. Die Karriere des biederen Angestellten ist gerettet.

Vergleichbares ist bei dem 1975 ersonnenen Werbereim "Mars macht mobil bei Arbeit, Sport und Spiel" zu beobachten. Hier hat die Freizeit eben begonnen, der Erwerbsarbeit den alten Rang streitig zu machen. Wo das endet, weiß heute jedes Schulkind: beim Frühstückchen in der Lila Pause. Oder was tun Sie morgens halb Zehn in Deutschland?

Das Buch dokumentiert, welche Agenturen hinter den einzelnen Botschaften stehen, welche Slogans durch andere abgelöst wurden, welche Alternativen sich die Werbetreibenden ausdachten und welche Kernbotschaften sie vermitteln wollen. Hars gelingt das mit einer wohltuend ironischen Distanz zu den vollmundigen Werbeversprechen. "Aus einer zahnzerbröselnden Süßigkeit war per Kunstgriff eine wohlschmeckende Medizin geworden", kommentiert er den Slogan "Gesunde Vitamine naschen" (Nimm 2).

Immer wieder wird man in Hars' Lexikon auch Zeuge der Selbstkannibalisierung der Reklame. Denn auch unter den Kreativen wird so unverfroren abgekupfert, dass es einem ganz metallern ums Herz werden kann. Und manchmal macht die freundliche Übernahme sogar Sinn. So geschehen im Falle von Rolls-Royce ("Bei 60 km/h ist das lauteste Geräusch in diesem Rolls-Royce das Ticken der Uhr").

Die vornehme aristokratische Distinguiertheit des Rolls-Royce wurde gekonnt ausgebremst, und zwar ausgerechnet durch einen Werbespruch für den Kleinstwagen Fiat Panda: "Das lauteste Geräusch bei 100 km/h war das Schnarchen von Omas Kanarienvogel." Genauso ungeniert bediente sich Fiat bei der Werbung für die fettreduzierte Margarine Lätta. Der Autohersteller schaltete eine Anzeige, in der er dem Lätta-Slogan lediglich das Wörtchen "auch" hinzufügte: "Haben Sie sich auch entschieden, niemals dick zu werden?" Mit den Außenmaßen eines geräumigen Schuhkartons, so die Botschaft, soll sich der Panda hervorragend als Diätprodukt eignen.

Wer solche Geschichten erzählen will, ist bei der Recherche auf die Hilfe der Unternehmen angewiesen. Während manche Firmen bereitwillig ihre Archive öffneten, ließ sich laut Hars ein Hersteller wie Effem nicht dazu bewegen, die Herkunft des bekannten "Katzen würden Whiskas kaufen" aufzuklären. Vermuteter Grund des Versteckspiels: Effem beherrscht, auf verschiedene Marken verteilt, fast den ganzen Tierfuttermarkt und möchte die innerbetriebliche Scheinkonkurrenz zwischen den Labels nicht ins grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt wissen.

Dass der Autor bei der Erörterung der Werbe-Lockrufe manchmal danebengreift, ist leider ebenso eine Tatsache. Beispiel Adcovard. Hars weiß zwar, dass der mit dem Slogan "Advocard ist Anwalts Liebling" überschriebene Fernsehspot mit Manfred Krug besetzt wurde, weil dieser auch im Fernsehen einen Rechtsanwalt mimt. Aber er vergisst den Hinweis auf den Titel der Serie ("Liebling Kreuzberg"), der den Slogan erst verständlich werden lässt.

Oder der Fall Beck's. In Hars' Lexikon hat sich der Slogan "Becks's Bier löscht Männerdurst" aus dem Jahr 1948 noch nicht zum "Beck's löscht Kennerdurst" emanzipieren können. Ziemlich inaktuell ertappen wir Hars außerdem bei dem "einmal ... zweimal Pausensnack" Raider, der schon seit geraumer Zeit einen Namenswechsel hinter sich hat. Sie erinnern sich vielleicht: "Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix." Dafür wird der Schokoriegel Duplo mit völliger Nichtbeachtung gestraft. Es dürfte doch sicher manchen interessieren, wer hier mit der "wohl längsten Praline der Welt" textlich eine Handbreit unterhalb der Gürtellinie operiert.

Markenpolitisch nicht ganz so interessant, dafür aber noch unterhaltsamer lesen sich die Geschichten der Reklamehelden in "Lurchi, Klementine & Co.". Die ADO-Gardinen-Frau, die Calgonit-Nachbarin, Frau Antje aus Holland, der Melitta-Mann und der Weiße Riese - sie sind die Stars der schönen Warenwelt. Sie werden innig geliebt oder abgrundtief gehasst, manche unterhalten sogar eigene Fan-Clubs.

Wussten Sie zum Beispiel, dass Dr. Best, erklärter Feind aller Nachtschattengewächse, ein waschechter Professor der Zahnmedizin ist? Wussten Sie, dass Klementine, die erste Waschfrau, die den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen "sauber" und "rein" erkannte und die garstigen "Schmutzreste" erfand (eine evolutionäre Vorform der heutigen "Fleckenzwerge"), noch immer monatlich zwei Gratispäckchen Ariel zugeschickt bekommt - Pulver und flüssig? Oder, dass der Bärenmarke-Bär nur über grüne Albwiesen tapsen und den Milchmann spielen darf, weil er das Berner Wappentier ist?

Sonst wäre doch vermutlich Hornvieh geeigneter gewesen, die Vorzüge der Kondensmilch anzupreisen! So wie die "lila Kuh" Schwalbe, deren bevorstehende Schlachtung hierzulande eine Art kollektiven Rinderwahn auslöste: "Bild" berichtete, empörte Tierschützer tobten, die Öffentlichkeit richtete eine Flut von Protestbriefen in Richtung ihrer Heimat Simmenthal.

Darauf einen kräftigen Schluck Valensina! Die Fruchtsaft-Spots, von einer deutschen Punkband als "die übelste Päderastenserie unter der Sonne" verunglimpft, machten den Firmeninhaber Rolf H. Dittmeyer populär. Als "Onkel Dittmeyer" lauerte er in sonnendurchfluteten Orangenhainen wehrlosen Kindern auf, um ihnen seinen O-Saft aufzudrängen. Solche Fortschreibungen sind ein weiteres Indiz für das Eigenleben, das Werbung in unseren Köpfen führt. Vielleicht sogar tief in unserer Psyche, wie es in den sechziger Jahren das zum "Lenor-Gewissen" personifizierte Schuldgefühl vor Augen führte.

Es ist nicht ganz einfach, dem Autor auch in diesem Buch Unstimmigkeiten nachzuweisen. Beim Marlboro-Mann etwa vermisst man den Hinweis, dass der durch diese Rolle berühmt gewordene Schauspieler - selbst ein starker Raucher - schon lange nicht mehr qualmend durch die Prärie reitet, sondern sich in einem Sanatorium von einer Krebsoperation erholen musste. Auch der Erdal-Frosch ist keineswegs ein unbeschriebenes Blatt: Zu ihrem Totemtier kam die Firma Erdal dem Vernehmen nach, weil sie ihren Sitz in der Nähe eines Feuchtgebiets hatte.

Aber wer wird sich denn mit solchen Haarspaltereien die Finger schmutzig machen? Da sei Meister Proper vor, jene Kreuzung zwischen einem Wischwasser-Popeye und einem Alt-Schwulen. Und wenn es doch passieren sollte: Tilly, bade unser aller Hände in Geschirrspülmittel! - In Geschirrspülmittel? - Nein, in Palmolive ...

Titelbild

Wolfgang Hars: Lurchi, Clementine und Co. Unsere Reklamehelden und ihre Geschichten.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
304 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3596150744

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Wolfgang Hars: Nichts ist unmöglich. Lexikon der Werbesprüche.
Piper Verlag, München 2002.
462 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-10: 3492237924

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch