Kräfte des Widerstands

Der Kampf gegen die Markendiktatur

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die viel beschworene Globalisierung verspricht Freiheit und Wohlstand für alle. Doch der Entgrenzung der Markträume folgt keineswegs die schöne neue Welt der großen Vielfalt. Denn die Kosten, die multinationale Konzerne wie Microsoft, Shell & Co. aufbringen müssen, um ihre Glück verheißenden Marken zu managen, müssen sie an anderer Stelle wieder einsparen. In Indonesien, China und Vietnam produzieren sie ihre Waren in ghettoähnlich abgeschirmten "Sweatshops" oder Wanderfabriken, frei von Steuern, Umweltauflagen und Sozialabgaben. Und oft genug unter menschenunwürdigen Bedingungen. Das bunte Logo auf dem Tommy-Hilfiger-Pulli verdeckt nur das hässliche Gesicht seiner Herkunft.

Mit "No Logo!" hat die Journalistin und Globalisierungsgegnerin Naomi Klein weltweit einen sensationellen Buchererfolg erzielt. Klein beschreibt die Anfänge der Anti-Globalisierungsbewegung und versteht sich ganz bewusst als deren Schrittmacher. Das Unheil der Globalisierung beginnt mit der Loslösung der Markenimages von den Produkten. Die Unternehmen neuen Stils stellen längst keine Waren mehr her, sondern widmen sich fast ausschließlich dem Markenmanagement. Die Supermarke Nike besitzt selbst keine einzige Fabrik. Befreit von der Last der Produktionsstätten, deren Elend in den Billiglohnländern fast niemand zu Gesicht bekommt, eröffnet sich ihnen die Möglichkeit zu grenzenloser Expansion mit astronomischen Gewinnspannen.

Marken besetzen den öffentlichen Raum stempeln ihn zum Privateigentum. Die Aufwertung der Logos ist so dramatisch, dass sie bald die Bühne der Kultur und der Medien erobern: Während Schüler im Unterricht über der nächsten Werbekampagne eines braunen Softdrinks brüten und Disney einen Sportsender gründet, versucht Swatch, die Online-Welt auf seine neue Markenzeit zu trimmen. Klein kennt die großen Zuwege und kleinen Schleichpfade der Marken genau: Sie infiltrieren die Musik, verwandeln Sportler wie Michael Jordan in Swoosh-Anhängsel und bedienen sich schamlos bei der Jugendkultur. Sie befallen Schulen und Universitäten genauso wie die Forschung. Dank brutaler Preiskriege, Clustering und Synergiestrategien breiten sich Mammutkonzerne und Franchise-Unternehmer schneller aus als Kopfläuse in einem Kindergarten. Arbeitsplätze schafft das nicht: Während ein Wal-Mart-Mitarbeiter in den USA mit 7,50 Dollar abgespeist wird, darben die Küchenhilfen einer großen Hamburgerbraterei in entwürdigenden "McJobs".

Nun ist die Macht der Marken nichts ohne die, die sich von ihnen unterwerfen lassen. Kleins Konzept lautet Demystifizierung und Aufklärung: "Wenn immer mehr Leute die dunklen Geheimnisse des globalen Markennetzes entdecken, wird ihre Empörung der Antrieb für die nächste große politische Bewegung, eine gewaltige Welle des Widerstands, die sich frontal gegen die multinationalen Konzerne richtet, und zwar besonders stark gegen solche, die stark mit einer Marke identifiziert werden." Der Glaube in die verändernde Kraft eines Bewusstseinswandels scheint Früchte zu tragen: Culture-Jamming, die kreative Umgestaltung von Anzeigen in "Gegenbotschaften", hat einen Stein ins Rollen gebracht. Spontan besetzt die "Reclaim-the-Streets"-Bewegung belebte Straßen oder wichtige Kreuzungen.

Seit 1995 stehen große Marken in den USA im Kreuzfeuer der Kritik. Widerspruch regt sich auch seitens der Schüler und Studenten. Zielgenau machen die aufgerüttelten Bürger die Achillesferse der Unternehmen aus: den Widerspruch zwischen dem Markenimage und den Herstellungsbedingungen der Produkte. Ausgerechnet die Strahlkraft einer Marke, sagt Klein, setze konzernkritischen Aktivismus hervorragend in Szene. Doch Optimismus scheint noch verfrüht, wie andere Beispiele belegen. "Adbusters", die vormals richtungweisende Hauszeitschrift der Szene, hat sich bereits zur "Werbung für Antiwerbung" zivilisiert.

Paul Kingsnorths erklärte Absicht ist die Fortsetzung von "No Logo!". Es geht ihm um einen praktischen Widerstand gegen die ungebremste Globalisierung und ihre zum Teil verheerenden Folgen in den Ländern der so genannten Dritten Welt. Kingsnorth hat die Geburtswehen der internationalen Protestbewegungen selbst miterlebt: In Prag, wo er mit 20.000 Gleichgesinnten versuchte, das Jahrestreffen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu blockieren. Dabei blieb es nicht. Kingsnorth bereiste vier Kontinente, um mit eigenen Augen zu sehen, wie sich Menschen und Gruppen gegen den Globalisierungssog zur Wehr setzen.

Wie nah er dabei auch militanten Globalisierungskritikern kam, beweist sein fesselnder Erfahrungsbericht aus Genua, wo er auf Mitglieder des "Schwarzen Blocks" stößt, einer Gruppe, die es vornehmlich auf die Symbole des Kapitalismus abgesehen hat: "Wir laufen hastig die Straße hinauf. Ein paar von unseren Mitstreitern haben schon das Schaufenster einer Bank eingeworfen und schmeißen mit rauem Triumphgebrüll die Computer auf die Straße. Wir hören ein vertrautes Zischen, und zehn Meter von uns entfernt knallen mehrere Tränengaskanister vor uns auf den Asphalt. Das Geräusch von zersplitterndem Glas wird durch das Getrappel schwerer Stiefel ergänzt. Das Schwarz der Bereitschaftspolizei mischt sich im gelben Tränengasnebel mit dem Schwarz der Anarchisten. Eisenstangen wetteifern mit ebenfalls bösartig aussehenden Polizeiknüppeln."

Gleich ob in Mexiko oder Südafrika - Kingsnorth begegnet Menschen, die am eigenen Leibe erfahren haben, was es heißt, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung das gleiche Einkommen hat wie die ärmsten 57 Prozent. Die wahren Nutznießer dieser Entwicklung sind die Privatkonzerne: General Motors ist wirtschaftlich stärker als Thailand, Mitsubishi reicher als Südafrika, Wal-Mart vermögender als Venezuela. Der Werbespot von Eskimos, die grinsend Bildschirmschoner aus dem World Wide Web herunterladen, spricht den wahren Verhältnissen Hohn.

Konsum, beklagt Kingsnorth, werde als dominanter und in unserer Kultur fest verwurzelter Wert gar nicht mehr hinterfragt. Dabei sei es der Konsum, der die Kulturvielfalt platt walze. Weltweite Märkte erfordern weltweit anerkannte Geschmäcker. Wenn irgendwann Hamburger und Coca Cola in aller Munde und noch in der letzten Regenwaldhütte zu haben sind, war das kulturelle Flächenbombardement erfolgreich. Aber was tun? In Seattle bieten Culture-Jammer den Käufern einen Kreditkarten-Zerschneidungsservice an. Anderswo schieben Protestler stundenlang leere Einkaufswagen durch die Gänge der Wal-Mart-Supermärkte. In Schweden singen Weihnachtsmänner von den Freuden des Konsumverzichts. Das angestimmte Lied ist mittlerweile bekannt, hat sich aber dennoch nicht zum Gassenhauer etablieren können. Wir futtern weiter Hamburger und fahren unser Auto vor die Shell-Zapfsäule. Der fromme Wunsch vom "mündigen Konsumenten" ist längst noch nicht Wirklichkeit.

Klein und Kingsnorth wissen sehr wohl um die geringen Erfolgsaussichten des kritischen Aktivismus. Die Konzerne haben längst auf den Gegenwind, der ihnen aus Richtung der empörten und wütenden Konsumenten entgegenweht, reagiert. In Nike- und Diesel-Spots treten schwarz gekleidete Aktivisten auf. Auch das ist Globalisierung. "Offensichtlich", meint Kingsnorth, "gibt es in einer Konsumgesellschaft alles zu kaufen: sogar den Widerstand gegen die Konsumgesellschaft." In New York trifft er auf Reverend Billy, den geistigen Führer der "Church for Stop Shopping". Mögen die Gebete erhört werden.

Titelbild

Naomi Klein: No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht.
Riemann Verlag, München 2002.
543 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3570500284

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Paul Kingsnorth: Global Attack. Der neue Widerstand gegen die Diktatur der Konzerne.
Übersetzt aus dem Englischen von Helmut Dierlamm, Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz.
Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2003.
432 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3785721188

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch