Mullah der Marken

Florian Langenscheidts Marken-Bibel "Deutsche Standards"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dröhnende Orgelpfeifen, volles Ornat, Weihrauch und Myrrhe satt. Keine Frage, Florian Langenscheidt ist religiös. Um den Objekten seiner Anbetung zu begegnen, muss er sich dennoch in keine Kirche mühen. Er pilgert einfach zum nächstbesten Supermarkt. Denn hier findet er jene Markenartikel in den Regalen vor, denen er auch in seiner Marken-Bibel "Deutsche Standards" so ausgiebig huldigt: Produkte wie Nivea, Haribo, Duden, Dr. Oetker, Miele, Uhu und Persil. Da weiß man, was man hat - oder noch dringend braucht.

In Langenscheidts Enzyklopädie deutscher Marken ist alles versammelt, was hierzulande Rang und Namen hat. Die Artikel, in denen der Herausgeber die Marken nicht nur bejubelt, sondern auch hochjubelt, sprechen eine deutliche Sprache, nämlich die der Werbung. Nur vordergründig tarnen sie sich als Sachtexte. Illustriert werden die Lobgesänge auf die "Marken des Jahrhunderts" jeweils mit einer ganzseitigen Abbildung, die das Produkt wie eine Reliquie und umschlossen von einer hellen Aureole zeigt. Heiligenschein dank Grafikdesign.

Langenscheidt möchte zeigen, dass Markenprodukte wie die hier versammelten im Bewusstsein des Konsumenten tief verankert sind. Sie sind ein Produkt gewordenes Qualitätsversprechen. Sie entlasten von Kaufentscheidungen. Sie schenken Orientierung und Halt. Marken suggerieren Sicherheit, indem sie sich mit dem Schein des Altvertrauten umgeben, Kindheitserinnerungen beschwören und uns über ein halbes Menschenleben hinweg zuraunen. Nicht selten treten sogar die Namen an die Stelle der Produktbezeichnungen und werden zu Synonymen ganzer Gattungen.

In Wirklichkeit aber zeigt das Buch etwas anderes. Es predigt eine naive Markengläubigkeit, indem es die quasi-religiöse Selbstinszenierung der Marke noch einmal wiederholt und die Produkte heilig spricht. Es betet die Versprechungen der Marken lediglich nach, anstatt sich in Distanz zu ihnen zu begeben und ein kritisches Markenbewusstsein zu fördern. Der Hohepriester der Marken betätigt sich als Götzenbildner, der seine Schäfchen vor dem verheißungsvoll blitzenden Konsum-Altar in die Knie zwingt.

Bevor uns doch noch die religiöse Ehrfurcht ergreift, blättern wir durch, und zwar im Schnelldurchlauf. Handelt es sich bei den ausgewählten Produkten wirklich um typische Markenbeispiele? "Aspirin - die Kopfschmerztablette", "Brandt - der Zwieback" und "Leibniz - der Keks", das mag noch angehen. Aber halt, "Kinder-Überraschung - das Überraschungsei", das klingt für ungläubige Ohren schon ziemlich tautologisch. Genauso wie "Audi - der Quattro" oder "Mercedes Benz - die S-Klasse" vermuten lässt, dass hier einigen Marken Einlass gewährt werden soll, die sonst vor verschlossenen Buchdeckeln gestanden hätten. Der Gebrauch des bestimmten Artikels, nur Mummenschanz?

In der Tat: Mit "BMW - die Sportlimousine", "Golf - der Volkswagen", "Maybach - die Limousine" und "Porsche - der Sportwagen" wird dem automobilen Bewegungsdrang über Gebühr freier Lauf gelassen. Dafür fehlen in den "Deutschen Standards" so lebenswichtige Dinge wie Butter, Windeln, Toilettenpapier, Radio und Telefon. Immerhin: auch Institutionen wie die Bahn, die Deutsche Post oder "Sylt - die Insel" werden als Marken identifiziert und vorgestellt.

Dann wieder wird Langenscheidts Auswahl zu speziell ("Rollei - die zweiäugige Spiegelreflexkamera"), an Statussymbolen orientiert ("Loewe - der Fernseher") oder schlicht antiquiert ("Leuchtturm - das Briefmarkenalbum"). Und ist es gerechtfertigt, gleich vier Mal hintereinander das Unternehmen Bosch aufzunehmen - auch bei den Kühlschränken? Derartige Fragen stellt man sich genauso häufig wie die nach Seilschaften und Parteilichkeiten, die Produkte von DUDEN und Langenscheidt oder das federführende Werbebüro Springer & Jacoby als "die Agentur" auftauchten lassen.

Anstatt mit stolz geschwellter Brust umherzulaufen und die Erlösung in der Marke zu suchen, wäre hier die Einsicht am Platz, dass Marken nicht heilig, sondern scheinheilig sind. Prüft man sie einmal auf Herz und Nieren, ist es mit dem Vertrauen schnell vorbei. "Nivea - die Hautcreme" zum Beispiel hat in unabhängigen Tests schon regelmäßig die Note "mangelhaft" kassiert. Um die soziale, ökologische und politische Reputation von Bayer und DaimlerChrysler steht es nicht viel anders - nachzulesen im "Schwarzbuch Markenfirmen". Doch davon will der Zeremonienmeister der Marken nichts wissen.

Titelbild

Florian Langenscheidt (Hg.): Deutsche Standards. Marken des Jahrhunderts. Die Königsklasse deutscher Produkte und Dienstleistungen in Wort und Bild - von Aspirin bis Zeiss.
Betriebswirtschaftlicher Verlag Gabler, Wiesbaden 2003.
640 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3409124438
ISBN-13: 9783834904362

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