Die Wiederkehr des Gleichen

Hans Bänziger über "Augenblick und Wiederholung"

Von Alexandra HildebrandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Hildebrandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kaum ein anderes Thema zieht die Zeit, die man nutzen, verschwenden oder totschlagen kann, in der Informationsgesellschaft (deren Habitus die Uhr ist) andauernde Aufmerksamkeit auf sich. Sie ist der Rahmen, in dem sich unser Leben abspielt. Eine Vielzahl an Neuerscheinungen über den bevorstehenden Jahrtausendwechsel, über eine Beschleunigung, deren Fliehkräfte das Wissen(swerte) auseinandergedehnt haben, über Arbeitsproduktivität und Zeitempfinden, etliche Therapie- und Managementmethoden für den nervösen Menschen sind ein untrügliches Zeichen dafür, daß sich der globalisierte Mensch in der Zeittrommel befindet.

In seinem Buch "Augenblick und Wiederholung" widmet sich Hans Bänziger einigen literarischen Aspekten des Zeitproblems. Das Nachdenken über das (Dauer-)Thema Zeit führte auf zwei Fragen: Wann und warum zählt Spontanität für einige Menschen mehr als Wiederholungszwang? In welchem Verhältnis stehen Augenblicksfreuden und -ängste zum Sinn für Wiederholungen? Das Buch hat den Charakter einer etwas willkürlichen Materialsammlung. Die Literaturangaben sind nicht gerade auf einem aktuellen Stand. Es fehlen so wichtige Bücher wie "Augenblick und Zeitpunkt. Studien zur Zeitstruktur und Zeitmetaphorik in Kunst und Wissenschaften" (1984), herausgegeben von Christian W. Thomsen und Hans Holländer, "Zeit ohne Kronos" (1986) von Massimo Cacciari, "Die Zeit und die Uhren" (1991) von Wolfgang Kaempfer oder "Der Zeitbaum" (1993) von Friedrich Cramer. Das Standardwerk von Julius T. Fraser: "Time - The Familiar Stranger" (1987, deutsch 1988 unter dem Titel: "Die Zeit. Vertraut und fremd") ist nicht einmal erwähnt.

Es bietet zunächst ein paar Zitate, Verweise und Interpretationen in lockerem assoziativen Verbund für Augenblicksempfindungen. Daß im ersten Kapitel Detail auf Detail sprunghaft aneinandergefügt wird ohne eigentliche historische oder systematische Verbindung (Erich Segals "Love Story", Homers "Ilias" und "Odyssee", Catull, Vergil, Ovid, Friedrich von Logau, Ulrich Plenzdorf), sei nur am Rande erwähnt. Viele Aussagen bleiben zu sehr im Allgemeinen (etwa der Abschnitt über die von den Frühromantikern postulierte "progressive Universalpoesie" oder der Hinweis auf Emil Staigers Zeitbegriff). Die Ratlosigkeit wächst, wenn mit erhobenem Zeigefinger darauf hingewiesen wird, daß den Schriftstellern des zwanzigsten Jahrhunderts andere Gefühle am Herzen liegen als das "allumfassende Gefühl" in Schillers Ode "An die Freude" ("Seid umschlungen Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt"). Merkwürdig hausbacken wirkt auch manche "unzeitgemäße Betrachtung": "Den Menschen des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts fehlen in den meisten Fällen persönliche Erinnerungen an eine Wiege. Wer wurde je von einer Amme oder von seiner Mutter darin geschaukelt und hörte dazu Begleitlieder am Spinnrocken!"

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit literarischen Darstellungsversuchen von alltäglichen Wiederholungen und Gewohnheiten. Die Leser(innen) sehen sich erneut mit einem intertextuellen Netzwerk ohne Zentrum und ohne Peripherie konfrontiert. Leicht können sie sich im grenzenlosen Strom der Diskurse verlieren, z.B. wenn Texte von Brecht, Kafka, Süskind, Beckett, Handke, Novalis, Hofmannsthal, Eich und Mörike, Thomas Mann und Max Frisch - die Reihenfolge entspricht der (Un-)Ordnung des Buches - in einen Zusammenhang rückgebunden und auf die Zeitproblematik reduziert werden. Nach Bänziger sind Wiederholungstendenzen nicht immer klar abzugrenzen von einem literarisch bedeutsamen Motiv, das die literarischen Bewegungen vom Sturm und Drang, der Romantik über den Realismus bis zum Symbolismus durchzieht. Es ist das Motiv der Langeweile, in der die Leere oder Gleichgültigkeit gegenüber der äußeren Welt als Zeitleere (Zeitstillstand, Monotonie) manifest wird. An dieser Stelle hätte man sich einen Hinweis auf Alfred Bellebaums zeitgeschichtliche und kultursoziologische Untersuchung "Langeweile, Überdruss und Lebenssinn" (1990) gewünscht. Dafür findet man zahlreiche Belege aus Becketts Stücken und aus dem Oeuvre Thomas Bernhards. Auf "Gontscharow und die Langeweile" wird zwar kurz eingegangen, doch fehlt ein Verweis auf Walther Rehms gleichnamige Untersuchung (1947).

Schließlich wird der Problemkomplex Zeit und Zeitlosigkeit im dritten Kapitel in den Zusammenhang des Antagonismus Institution (Schule, Feiertag, Ehe) und Dichtung gestellt. Auch diesen Abschnitt wirkt ziemlich beliebig. Aus "benachbarten" Texten "schneidet" Bänziger, der bei Karl Philipp Moritz, Heinrich Heine, Isaac B. Singer, Franz Kafka, Jeremias Gotthelf und Gottfried Keller stets fündig wird, zentrale Signifikate heraus und meint, auf diese Weise dem Thema gerecht zu werden. So stellt er der "Ablehnung der Bagatellisierung wöchentlicher Feiertage von Novalis bis Rilke" kommentarlos etliche "zweit- und drittrangige Dichtungen und Medienereignisse" der Gegenwart gegenüber.

Das befremdliche Schlußkapitel, in dem man eigentlich eine Zusammenfassung erwartet, bietet statt dessen einige Anmerkungen über das Bettmotiv: "Helden und Tiere sterben nicht im Bett. Es sind die gewöhnlichen Menschen, die nicht nur die Hälfte ihres Lebens darin verbringen, sondern da auch geboren werden, sich ausruhen, sich lieben und sterben." Nach wenigen Abschnitten wird diese Aussage, die dem Titel dieses Buches vollends gerecht zu werden scheint, gleich zweimal "wiederholt". Was von diesem materialreichen (und auch druckfehlerreichen) Buch bleibt, ist der Eindruck, daß hier ein Schweifender mit eklektischer Neugier am Werke war, der sich aus Angst vor Wiederholung von allem, was ihm begegnete, ablenken ließ.

Titelbild

Hans Bänziger: Augenblick und Wiederholung. Literarische Aspekte eines Zeitproblems.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1998.
189 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3826014839

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