Die heile Welt zu Großvaters Zeiten

Marlen Haushofer als Kinderbuchautorin

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihr Roman "Die Wand" gehört spätestens seit der Frauenbewegung der 70er Jahre zum Kanon der österreichischen Nachkriegsliteratur, und ihre Novelle "Stella" ist gar zur Schullektüre avanciert. Auch andere ihrer Erzählungen wie "Schreckliche Treue" oder "Die Tapetentür" sind einem größeren Publikum bekannt. Weithin unbekannt ist jedoch, dass Marlen Haushofer auch Kinderbücher verfasste. Zwei von ihnen, in den Jahren 1965 und 1970, dem Todesjahr der Autorin, erschienen und seitdem immer mal wieder neu aufgelegt, hat der G. und G. Kinderbuchverlag nun in einem Band vorgelegt: "Brav sein ist schwer" und "Schlimm sein ist auch kein Vergnügen". Die Geschichten erzählen aus der Sicht des zehn-, in der zweiten Geschichte elf-jährigen Fredi von den Sommerferien, die er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Buz, einem wahren Tunichtgut, und zwei Cousinen, Micky, die etwa so alt ist wie er selbst, und Lise, der jüngsten im Bunde, auf dem ländlichen Hof von Opa und Oma verbringt, umgeben von einem vermutlich auch in den österreichischen Alpen längst versunkenes Bauern-Idyll, das vielleicht noch mit den Kindheitserfahrungen der Großeltern heutiger 'Kids' zu tun hat, diesen selbst jedoch weit fremder sein dürfte als die Alltagswelten ihrer Altersgenossen irgendwo sonst in Europa. Auch ist zu bezweifeln, ob Jungen und Mädchen, deren liebste Lesereisen sie in die Zauberwelt Harry Potters führen, oder die die Räubertochter Ronja und die Mitgliedern der Roten Zora auf ihren Abenteuern begleitet haben, sich für die unaufgeregten, harmlosen Erlebnisse der vier Kinder erwärmen können, bei denen sich ein vermeintliches Gespenst als harmloser Waldarbeiter entpuppt und selbst eine richtige Gefahr, bei der der ganze Hof in Flammen aufzugehen droht, nicht die Folge eines bösen Streiches, sondern eines missglückten Versuches ist, einen vernaschten Mundraub wieder gut zu machen.

Auch mag man Kindern nicht unbedingt ein Buch in die Hand drücken, in dem - natürlich vom Vater ausgeteilte - "Kopfstücke" zwar nicht gerade an der Tagesordnung sind, aber als Erziehungsmaßnahmen doch wie selbstverständlich eingesetzt werden. Nur von der Großmutter wird gesagt, dass sie nicht viel von Ohrfeigen hält. Dass der gütige Großvater auch zuschlagen könnte, kann man sich aber nicht so recht vorstellen.

Immerhin bricht Haushofer die traditionellen Geschlechterrollen im Spiel von Fredi und Micky auf. Etwa, wenn das Mädchen kräftig beim von dem Jungen begonnen Bau eines 'Wasserkraftwerkes' mithilft. Zwar ist sie zunächst noch ganz traditionell nur die Gehilfin des Buben, doch ist es immerhin ein ausgesprochenes Jungenspiel, an dem sie sich beteiligt. Und nachdem das Kraftwerk von einem Hochwasser zerstört wird, ist sie es, die mit dem Wiederaufbau beginnt, so dass Fredi "nichts übrig [bleibt], als ihr zu helfen". Außerdem spielt sie mit ihm Fußball, ist dabei "nicht ungeschickt" und wäre gar "ein guter Tormann". Überhaupt ist sie "wilder als Peter oder Karli", Fredis Freunde in der Stadt. Und als er sich einmal über sie ärgert, würde er ihr zwar am liebsten eine runterhauen, tut es aber nicht. Denn "erstens schlägt ein richtiger Bub ein Mädchen nicht und zweitens war sie stärker als ich".

Angesichts der von Astrid Lindgren bereits um 1950 geschaffenen Pippi Langstrumpf sind solche Ausbrüche aus den traditionellen Geschlechterrollen allerdings nicht überzubewerten. Zumal die Geschlechterrollen unter den Erwachsenen des großelterlichen Hofes klar und patriarchalisch verteilt sind, etwa bei Tisch: Nur der Großvater bekommt "ein wenig Fleisch", die anderen müssen sich mit einer "Mehlspeise" begnügen.

Dabei sind die Geschichten von der ersten bis zur letzten Seite mit einem Hauch Zuckerguss überzogen. Das verwundert etwas. Denn weit lebendiger und wahrhaftiger hat Haushofer uns die Kinderseele und -welt in ihrem wunderbaren autobiographisch gefärbtem Kindheitsroman "Himmel, der nirgendwo endet" vor Augen gestellt. Aber der richtete sich an ein erwachsenes Publikum und vielleicht war Haushofer der Ansicht, Kinder seien nun mal Zuckermäuler und würden auch bei Büchern die süßliche Kost vorziehen.

Trotz aller Einwände, die man vierzig Jahre nach ihrem Erscheinen gegen die Kindergeschichten dieser wichtigen österreichischen Autorin vorbringen kann, ist dem Verlag dafür zu danken, dass er sie weiterhin zugänglich hält. Ein zeitgemäßes Kinderbuch ist es allerdings nicht.

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Marlen Haushofer: Brav sein ist schwer / Schlimm sein ist auch kein Vergnügen.
G & G Kinder- und Jugendbuch Verlag, Wien 2003.
276 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3707401626

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