Ich wollt ich wär ein Stein!

Zum Werk von Jörg Fauser

Von Stephan ReschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Resch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nein, schön ist sie nicht, die Fahrt mit der U-Bahn in die Frankfurter Nordweststadt. Jenseits der innenstädtischen Renommierfassaden eröffnet sich das Frankfurt "wo zwischen den Bürgerhäusern und der Wohlanständigkeit schon das billige Neon flackert" - sozialer Wohnungsbau, Gebrauchtwagenhändler, Imbissbuden. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, ein Hauch von Vorstadttristesse, na schön, aber wo gibt es das nicht? Wer jedoch Jörg Fausers Geschichten kennt, der wird etwas genauer hinsehen. Hier ist das Milieu, das der Schriftsteller mit so viel Hingabe beschrieben hat und das ihn, trotz aller Faszination so einengte, dass er ihm letztendlich entfliehen musste. Vielleicht war es eine dieser Spelunken, aus denen Fausers Alter Ego und Antiheld Harry Gelb einst taumelte, auf das Pflaster fiel, sich schüttelte, aufstand und sich unbeirrbar weiter durchs Leben schlug. Der Alltag, den Fauser in seinen Romanen und Erzählungen beschreibt, ist die ungeschönte Realität kleinbürgerlicher Milieus und seine einzelgängerischen Protagonisten gewinnen ihre Größe nicht dadurch, dass sie Außergewöhnliches leisten, sondern dadurch, dass sie trotz aller eingesteckter Niederlagen nicht aufhören, sich doch irgendwie zu behaupten.

"Römerstadt" haucht eine weibliche, für ihre Aufgabe entschieden zu verführerische Stimme aus dem Lautsprecher der U-Bahn. Ich steige aus. Ich habe einen Termin mit Maria Fauser, der Mutter des 1987 verstorbenen Schriftstellers. Gerade als ich die Klingel des bescheidenen Reihenhauses betätigen will, denke ich an dieses Photo in Weissners Jörg-Fauser-Edition, in dem er, Pfeife schmauchend, an jenem Platz steht, nur vier Wochen vor seinem tödlichen Verkehrsunfall. Das ist nun mehr als 16 Jahre her, aber alles sieht noch aus wie damals.

Maria Fauser ist gelernte Schauspielerin und arbeitete viele Jahre beim Hessischen Rundfunk, wo sie jeden Morgen den "Ratgeber" moderierte. Auch heute noch, mit 87 Jahren, merkt man, dass sie gerne redet, besonders natürlich über ihren Sohn Jörg. Wir trinken Tee, essen Lebkuchen, und ich bewundere die Bilder ihres verstorbenen Mannes Arthur Fauser. Ich möchte von ihr wissen, in wie weit sich diese hartgesottenen Figuren der Romanwelt mit der Person Jörg Fauser decken. "Ja" antwortet sie, ohne zu zögern, "er war schon ein Einzelgänger. Als Kind war er auch oft sehr melancholisch. Einmal hat er gesagt: ich wollt', ich wär ein Stein, und als ich ihn gefragt habe, warum denn, da hat er gesagt, damit ich nicht fühlen muss." Etwa dreißig Jahre später verkündet Johnny Tristano, Hauptfigur des feuchtfröhlichen Konversationsromans "Alles wird gut": "Was ist schlecht an Gefühlen? Das einer sie hat. Was kann man dagegen tun? In die Kloschüssel reihern." Diese Schwierigkeit, mit Gefühlen umzugehen, die Fauser das Urteil der Kritik einbrachte, seine Romanwelt sei eine anachronistische, klischeehafte Männerwelt, könnte man einfach als literarische Vorliebe abtun, man könnte sie aber auch als Ausdruck eines großen gefühlsbezogenen Eskapismus ansehen.

Teil davon mag seine sechs Jahre andauernde Drogenabhängigkeit gewesen sein. Fauser schluckte, spritzte und schniefte alles, was ihm in die Finger kam, vor allem Opiate und Speedpräparate. Er war einer der ganz frühen deutschen Drogenfreaks. Als er 1964 anfing Heroin und Morphium zu spritzen, war LSD in Deutschland noch praktisch unbekannt und die Kinder vom Bahnhof Zoo gerade erst geboren. Warum er mit Drogen angefangen hat? "Aus Neugier", sagt seine Mutter, "und aus der Hoffnung, so schreiben zu können, so einen erweiterten Horizont zu bekommen wie die französischen Drogenschriftsteller." Vielleicht aber auch, weil in Watte gepackte Menschen genauso wenig fühlen müssen wie Steine, denn Heroin packt den Benutzer erst in Watte und dann in einen Tran. Ob innere oder äußere Probleme - solange der Stoff wirkt, sitzt man im "Café Nirwana", wie Fauser zu sagen pflegte. Während seines Ersatzdiensts in einem Lungenkrankenhaus nutzte er die dortigen Morphiumbestände für einen gelegentlichen Fix, als das nicht mehr genug war, setzte er sich nach Istanbul ab, wo 1966, kurz vor dem Einfall der internationalen Hippiehorden, Opium noch relativ günstig und gefahrlos zu erhalten war. In Tophane, dem Junkieviertel Istanbuls, kauft sich Fauser seinen Seelenfrieden in Form von Rohopium was sich freilich in einem Brief an die Eltern vorerst nur in chiffrierter Gestalt ausdrückt: "Der Orient ist wunderbar wohltätig; aber er ist auch ein hauchdünner Firnis, der sich auf Glieder und Geist legt: Entschlüsse fasst man, aber führt sie nicht aus; man sitzt, man wartet nicht einmal, dass etwas passiert, oh nein! Allah ist gnädig! Man weiß, es wird nichts passieren, und dieses Wissen trinkt man mit jedem Gläschen Tee wie ein köstliches, duftendes Wasser [...] immer tiefer in sich hinein." Als "Die Zeit" kurz darauf einen Artikel über die Junkies von Tophane schrieb, war Frau Fauser kurz davor, in die Türkei zu fahren und ihren Sohn zurückzuholen. Ihr Mann hielt sie zurück. Zehn Gramm Rohopium am Tag schoss sich Fauser zu seinen 'besten' Zeiten in die Venen, was sogar seinem wenig prüden Idol Burroughs die Bemerkung entlockte: "Junger Mann, sie müssen ja komplett verrückt gewesen sein." Weit gefehlt war das wohl nicht, aber Fauser ließ, und das war zweifelsohne sein Glück, seine Ambitionen als Schriftsteller trotz der Sucht nie aus den Augen.

"Tophane" hieß dann auch sein erster Roman, der nach Fausers Rückkehr in einer kleinen Göttinger Dachmansarde entstand. Es ist der Versuch, die akausalen und assoziativen Denkprozesse und die zerfaserte Wahrnehmung des Junkies zu versprachlichen. Kein einfaches Unterfangen, diese Mischung aus Tran, Traum und existentiellem Horror in die Vernunftsprache des Lesers zu übersetzen. Es sind "eingespritzte Worte", die ihre Intensität durch eine erschreckende Körperbezogenheit erhalten, wie sie bereits in Cocteaus "Opium" und Burroughs "Naked Lunch" zu finden ist. Harry Gelb watet im Alptraum tagelang durch dunkle, mit einer fauligen, stinkenden Flüssigkeit gefüllte Stollen bis er plötzlich realisiert, dass es sich um seine eigenen Venen handelt. Das Verlangen des Junkies nach einem Schuss wird bei Fauser zur totalen Reduktion des Menschen auf eine wimmernde, vegetative Körpermasse: "Nur dass ich mich halten kann, mich Haut, mich Zunge, mich Muskel, mich nichts als Zeit, mich nichts als Blut krank vor dir, mich nichts als Dreck vor mir, nur diese winzige einzige letzte herrliche Spritze, mach was du willst mit mir, was Dreck ich bin, was hungernde, durstende Zelle Kot und Zeit schwarz vom Geschmeiß deiner Fliegen und Hoffnung, gib sie mir, mach schon, irgendwohin, irgendworein, da in die letzte Mitte dessen was ich war." Fausers zweites Werk ist der 'Report' "Aqualunge", dem zwar die lyrische Unmittelbarkeit Tophanes fehlt, dafür aber in dem Bewusstsein geschrieben ist, dass Sucht den Menschen zu einem fremdbestimmten Subjekt macht, dessen einziger Weg zur 'Menschwerdung' eine Entgiftung von all den Dingen ist, die ihm seiner Autonomie berauben. Als Fauser, der politisch stets dem Anarchismus zugeneigt war, die Droge zur Metapher der Unterdrückung erhebt, sieht auch seine eigene Situation wieder hoffnungsvoller aus. Kurz nach der Fertigstellung von "Aqualunge" kommt er mit der von Burroughs propagierten Apomorphinkur von den 'harten' Drogen los.

In diesen Arbeiten ist all das angelegt, was Fausers spätere und bekanntere Romane ausmacht, man wird in der deutschen Literatur nach 1945 vergeblich nach einer ähnlich beklemmenden belletristischen Darstellung dieses Stoffes suchen. Zugegeben, seine Drogenliteratur ist stilistisch nie ganz aus dem Schatten von William Burroughs herausgetreten, aber das schmälert kaum die Authentizität des Erlebten und die Ernsthaftigkeit, mit der Fauser dies künstlerisch umgesetzt hat.

Wir sind ins Plaudern gekommen, der Tee ist kalt geworden. "Das Schreiben war stärker als die Droge, das hat ihn da rausgeholt", erklärt Frau Fauser. "Sie wissen doch, das Pflänzchen am Ende von seinem Roman "Rohstoff", das zwischen dem Asphalt wächst. Daran hat er sich festgehalten. Und später, als er schon von Drogen los war, hat er sich dann nie mehr eine Spritze geben lassen, genauso wie ein Alkoholiker Angst vor einem einzigen Tropfen hat." Was aber macht jemand, den die Droge jahrelang vor einer normalen Auseinandersetzung mit der Umwelt 'beschützt' hat? Er muss sich selbst schützen. Fausers Roman- und Krimifiguren sind Tough-Guys, die sich durch ihre Unnahbarkeit vor den emotionalen Extremausschlägen des Lebens bewahren möchten. Und wenn das nicht klappt, kann man ja immer noch ein "Speierling-Junkie" werden, wie so viele der schrulligen Loser, die seine Erzählungen bevölkern und den Alltag um sich vergessen wollen. Jörg Fauser war kein Sucher, für die "Love und Peace-Früchtchen" der Hippiebewegung und ihre visionären Drogenerfahrungen hatte er nur Spott übrig. An seinen literarischen Erfolg glaubte er stets und arbeitete systematisch dafür, doch die literarische Selbstkasteiung ging, ähnlich wie bei seinem Vorbild Joseph Roth, nicht ohne körperliche Ausschweifung ab. Fausers Interesse an der Droge, lag weder im intensiven Lebensrausch, noch im kleinen Tod, wie ihn Fallada immer wieder erwähnt. Vielmehr scheint sie für ihn immer dann wichtig geworden zu sein, wenn sich sein Schreibimpuls kurzfristig erschöpft hatte und er sich von sich selbst ablenken musste. "Ach", überlegt Frau Fauser, "wenn Sie ihn gekannt hätten, er war ja ein völlig stiller Mensch, er hat wenig geredet und wenn dann nur über Literatur oder Politik. Ich habe ihm manchmal gesagt, erzähl doch mal was über dich, hast du eine neue Freundin? Und er meinte nur: das ist doch nicht so wichtig."

Mit den Jahren gewinnt Fauser Distanz zu seiner Drogenabhängigkeit. In "Rohstoff" ist es vor allem Selbstironie, mit der er seine Zeit als schreibender Junkie in Tophane als jugendlichen Wahn belächelt vielleicht aber auch bewältigt. Ganz los lassen sie ihn allerdings nie, die Geister die er einst rief. Frau Fauser erzählt mir, dass Ede, sein Zimmergenosse aus "Rohstoff", sich Jahre später den goldenen Schuss setzte, genauso wie ein Freund aus England, dem er das Gedicht "Das Gewicht der Seele" widmete. Dort heißt es in der letzten Strophe: "Freudlos sitze ich diese Nacht über den Tasten / und verstehe doch nichts anderes / als mich an die 21 Gramm zu klammern, / die meine Finger schreiben machen / und meine Träume vorbereiten / auf den Tod." Gut, dass er damals schon die Droge Schreiben entdeckt hatte.

Titelbild

Jörg Fauser: Rohstoff. Roman.
Alexander Verlag, Berlin 2004.
303 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3895811149

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