Musik kann (k)eine Brücke bauen
Richard Powers' Roman "Der Klang der Zeit"
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn den USA gehört Richard Powers zu den führenden Köpfen der Gegenwartsliteratur. Mit seinem erzählerischen Opus "Der Klang der Zeit" und einer Startauflage von 70.000 Exemplaren sowie einer groß angelegten Werbekampagne will der S. Fischer Verlag nun den 47-jährigen Autor, von dem in deutscher Übersetzung bislang nur drei seiner acht Romane vorliegen, bei uns etablieren.
"Wir erkennen unsere Vorstellungen von der Zukunft, indem wir die Utopien von gestern betrachten", beschreibt Powers sein dichterisches Credo. Die seinem Roman zugrunde liegende Utopie, die mit Fortdauer der Handlung wie eine Seifenblase zerplatzt, ist der große Traum von der freien und liberalen amerikanischen Gesellschaft.
Der studierte Physiker, Literaturwissenschaftler und Informatiker Powers holt erzählerisch weit aus und beginnt seine Familiengeschichte der Stroms im Jahr 1939. Vater David, ein vor den Nazis geflüchteter jüdischer Physiker, lernt auf einem Konzert die farbige Arzttochter Delia kennen und lieben. Es ist nicht irgendein Konzert, sondern ein großer Openair-Auftritt einer farbigen Altistin, die (ausgerechnet) vor dem Lincoln-Denkmal einige zehntausend Besucher begeistert. Die bekannten Konzertsäle blieben der großen Künstlerin wegen ihrer Hautfarbe verwehrt. Der Einstieg wirkt symbolisch arg überfrachtet, der später beschriebene alltägliche Rassismus, dem sich die Stroms und ihre drei Kinder Jonah, Joseph und Ruth ausgesetzt sehen, gelingt viel authentischer.
Doch Powers hat weit mehr im Sinn als nur einen Familien- und (oder) Gesellschaftsroman, der Schriftsteller aus dem kleinen Städtchen Urbania in Illinois versetzt seine Hauptfiguren in eine Art "innere Emigration". Die Musik, eine Leidenschaft, die sämtliche Angehörige des Strom-Clans teilen, wird zur Ersatzwelt stilisiert, die für das innere Gleichgewicht der Figuren sorgen soll. Selbst Einstein ist begeistert von Jonahs Stimme, doch für einen schwarzen Tenor gibt es keinen Platz in der amerikanischen Musikwelt.
Was Richard Powers uns hier an umfangreichen Exkursen in die Musikgeschichte anbietet, ist nicht nur höchst lehrreich, sondern auch mit großer Leidenschaft erzählt. Doch die Stärke seines beinahe enzyklopädischen Wissens schlägt in eine Schwäche dieses Romans als Gesamtkunstwerk um.
Wir nehmen als Leser nämlich auch an David Stroms Arbeit an der Entwicklung der Atombombe teil, und wieder werden wir mit detailliertem Insiderwissen konfrontiert, das nur noch ein Achselzucken bewirkt. Man resigniert vor diesem Autor, weil man sich nicht auf Augenhöhe mit ihm bewegt und weil er versucht hat, all seine Bildung in diesen Roman hineinzustopfen.
Wie selbstverständlich nehmen die Stroms kein gutes Ende. Mutter Delia kommt in den Flammen eines Hauses (war es Brandstiftung?) ums Leben, die Brüder Joshua und Joseph tingeln auf Kleinbühnen durchs Land, Schwester Ruth wird militante Bürgerrechtlerin, und Vater David schottet sich völlig von der Außenwelt ab.
"Der Klang der Zeit" ist ein kräftezehrender Ultra-Marathon der Gesellschafts-, Kultur-, und Wissenschaftskritik, mehr Essay als Roman, denn alle Figuren sind bei Richard Powers zu Funktionsträgern ohne Eigendynamik degradiert. "Wenn sie sangen, waren sie niemandes Ausgestoßene mehr", heißt es über die Stroms. Ob sich dieses opulente Werk dem Leser nur mit einem Lied auf den Lippen erschließt? Denn irgendwie fühlt man sich auch ausgestoßen aus Powers' Denkuniversum.
|
||