Dann leb ich ja doch nicht mehr

Karl Günther Hufnagels starb 75-jährig in München

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Damals gab es für mich keinen einzigen interessanten deutschschreibenden Autor. Sie waren alle unglaublich optimistisch, penetrant wohlmeinend, und außerordentlich rührig um ihren Betrieb bemüht." Der dies 1979 schrieb und in der "Basler Zeitung" veröffentlichte, Jörg Fauser, hatte einen Autor im Sinn, auf den dies alles nicht zutraf - den in München lebenden Romancier und Hörspielautor Karl Günther Hufnagel. Hufnagel hatte damals, 18 Jahre nach seinem ersten Roman "Die Parasitenprovinz" (1960) und einem Erzählungsband ("Worte über Straßen", 1961), erneut einen Roman vorgelegt: "Die Liebe wird nicht geliebt", ein Wort des Heiligen Franz, des frommen Eiferers, im Titel und damit eine der unhintergehbaren Wahrheiten, die unser Dasein bestimmen. Hufnagel hatte sich dem Literaturbetrieb ferngehalten, hatte sich und seine Familie mit Hörspielen durchgebracht, war hin und wieder abgestürzt - und wurde schließlich dem jungen Autor und Debutanten Fauser ein väterlicher Freund. Nach zwei weiteren Romanen 1979 ("Draußen im Tag") und 1980 (" Auf offener Straße", ging er erst Ende der neunziger Jahre wieder auf Verlegersuche.

Axel Dielmann und Diana Kempff verlegten in rascher Folge die drei schmalen Prosabände, deren Grundidee der Autor schon lange zuvor konzipiert hatte und deren Umsetzung er nun endlich auch veröffentlicht sehen durfte, drei Bücher, die inhaltlich wie strukturell auf die dieselbe Grundierung verwiesen - auf das christliche wie das faschistische Moment "in uns" (vgl. literaturkritik.de 09/2001).

Der Protagonist von "Geburt eines Dichters im Bürgerkrieg" (2001) arbeitet als Journalist in der Boulevardpresse, ein Schmierant, der die Gier seiner Leser nach grellen Stories bedient und vor Nötigung nicht zurückschreckt. Die Hauptfigur seiner Erzählung "Der Wiedergänger" (2001) ist ein pathologischer Fall, der sich zum Einflüsterer Hitlers stilisiert: "So weit ich mich erinnere, habe ich immer auf Hitlers Schulter gesessen. Jahrzehnte in jedem Fall. Wenn der den Arm hebt zu seinem Gruß, küsse ich die Hand. Ich schmecke das Blut. Mein Zustand ist der Rausch." (vgl. literaturkritik.de 02/2002) Und auch das dritte Buch, "Crapziks Karneval", ist nichts weniger als "absonderlich". Es erzählt von Crapzik, dem Autor und Journalisten, der in einem sozialen Raum nach eigenen Regeln lebt und über Leben und Tod selbst entscheidet. Für sein neues Buch will er sich in das Gehirn eines Mörders hineindenken, doch muss er feststellen, das sich der Lenker des Schicksals weder außerhalb seiner Handlungen denken lässt noch innerhalb des Gehirns selbst (vgl. literaturkritik.de 06/2003).

Man ist gefesselt von Hufnagels Intensität, seiner Besessenheit, seiner exzessiven Beschwörung der bundesdeutschen Nachkriegstristesse, die, in seinem Werk zumindest, niemals aus dem Schatten des 'Dritten Reiches' herausgetreten ist. Mit brachialer Gewalt ergreift Hufnagel die bürgerliche Existenz seiner Figuren und zerschmettert sie, mit subtiler Psychologie erlöst er ihren inneren Dämon von den Fesseln - der Erzähler wird zum Kraftmensch, zum Berserker. Dies Werk, schrieb Jörg Fauser einst, lenkt uns nicht vom Leben ab (wie die Sozialutopien der Heinrich Bölls der 70er Jahre), sondern bringt uns zum Leben hin, "an den dunklen Ort, wo aus den Kadavern auch Rosen wachsen." Jetzt ist Karl Günther Hufnagel nach kurzer, schwerer Krankheit in München gestorben. Möge sein Werk blühen!

Titelbild

Karl Günther Hufnagel: Der Wiedergänger. Eine Erzählung.
Gemini Verlag Diana Kempff, Berlin 2001.
128 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3935978030

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Karl Günther Hufnagel: Geburt eines Dichters im Bürgerkrieg. Roman.
Axel Dielmann Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
176 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3929232022

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Karl Günther Hufnagel: Crapziks Karneval.
Gemini Verlag Diana Kempff, Berlin 2002.
172 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3935978103
ISBN-13: 9783935978101

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Jörg Fauser: Lese-Stoff. Von Joseph Roth bis Eric Ambler. Mit einem Vorwort von Friedrich Ani.
Verlag Neue Kritik, Frankfurt a. M. 2003.
232 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3801503666

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