Da laust mich doch der Affe!

Roger Willemsen und sein "Karneval der Tiere"

Von Roman KernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Kern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Komponist Camille Saint-Saëns war ein Wunderkind. Bereits mit 30 Monaten lernte er lesen, ab dem Alter von zweieinhalb Jahren begann er, sich die Notenschrift anzueignen, um mit drei Jahren und fünf Monaten sein erstes Musikstück zu schreiben. Heute ist "Le Carnaval des Animaux", der "Karneval der Tiere" sein bekanntestes Stück. Ursprünglich eine Sammlung von schnell dahingespielten Übungsstücken, die einem didaktischen Ziel dienten: Saint-Saëns war zu jener Zeit Lehrer an der renommierten École Niedermeyer in Paris.

Jene kleinen Stücke ahmen oft zeitgenössische Komponisten nach und brachten derart die Schüler zum Lachen und Üben zugleich. In seiner uns heute bekannten Form wurde es jedoch erst am 9. März 1886 anlässlich eines Karnevalskonzertes des Cellisten Charles-Joseph Lebouc uraufgeführt. Die 14 mehr oder minder kurzen Stücke haben sehr verschiedenen Charakter und erinnern ironisierend an berühmte Werke wie etwa Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt", Berlioz' "Verdammung des Faust" oder Mendelssohns "Sommernachtstraum", um nur einige zu nennen.

Camille Saint-Saëns war indes nicht glücklich über die äußerst positive Resonanz, die das Stück bei seiner Aufführung erfuhr - er befürchtete mit Recht, dass die den Stücken innewohnende Leichtigkeit im Hinblick auf seine anderen Werke irreführend sein könnte. Auch sah er die Gefahr, dass jener musikalische Zirkus und seine übermächtige Popularität einen Schatten werfen würden, in dem sein eigentliches Werk nur ein trauriges Dasein fristen würde. Er sollte Recht behalten.

Im Laufe der Zeit hat sich jener "Karneval" immer deutlicher als das populärste Stück seines Schaffens erwiesen und erfreut sich bis heute immer wieder neuer Interpretationen. So hat sich 1985 Vico von Bülow alias Loriot daran gemacht, der Musik ein- und überleitende Kommentare zur Seite zu stellen, und 1999 veröffentlichte Sir Peter Ustinov eine Fassung, die etwas Ähnliches versuchte. Nun liegt eine Fassung des - auch aus dem Fernsehen bekannten - Autors und Literaturwissenschaftlers Roger Willemsen vor.

Die Aufmachung der im Lido Verlag erschienenen CD macht unmissverständlich klar, dass hier jemand Anderes im Vordergrund steht: Camille Saint-Saëns erscheint auf der Hülle zwar an erster Stelle, jedoch sehr klein gegen den direkt danach übergroß genannten Roger Willemsen, bis zuletzt der Titel etwas größer als der Komponist, jedoch immer noch kleiner als Herr Willemsen genannt wird. Gerade das Verhältnis der Schriftgrößen von Autor und Werk stellen hier einen empfindlichen Fauxpas dar, bedenkt man die erwähnte Haltung von Camille Saint-Saëns seinem Werk gegenüber, auf die Willemsen in dem ansprechend geschriebenen Booklet Bezug nimmt.

Die CD gibt sich redlich Mühe, den einmal gewonnenen Eindruck zu unterstreichen: mit einer Gesamtlänge von 57:22 Minuten handelt es sich mit Abstand um die längste Interpretation, die man in dieser Hinsicht zu hören bekam.

Im Durchschnitt dauert eine musikalische Einspielung um die 20 Minuten, und auch Loriot oder Ustinov hatten dem, zeitlich gesehen, nicht allzu viel hinzu zu fügen. Beide hatten sich eher als Dompteure verstanden, die das Treiben der musikalischen Tiere mit einer meist kurzen, humoresken Einleitung versahen.

Roger Willemsen verfolgte eine gänzlich andere Absicht. In einem "aspekte"-Interview stellte er CD und Buch vor. Hier sprach er davon, er habe sich gewissermaßen vor die Fassungen von Loriot und Ustinov begeben wollen, da ihn unter anderem befremdet habe, dass das Werk heute vor allem Kindern ans Herz gelegt werde: es sei "nicht mehr so polemisch-zeitkritisch, wie es mal war."

Das hat ihn zu einer Version verleitet, die versucht, das heutige Zeitgeschehen satirisch zu kommentieren. Da dürfen Kalauer wie etwa die "Frustus Ganz-Medaille" oder auch Anspielungen auf Dieter Bohlen nicht fehlen; sogar ein Seitenhieb auf den "Rave" findet man. Spätestens hier tauchen erste Fragen auf: welchen Zusammenhang kann man herstellen zwischen Dieter Bohlen und der Musik von Saint-Saëns? Noch vehementer verlangt gar der "Rave" nach einer plausiblen Erklärung, die naturgemäß nicht die Musik liefern kann. So kommt schnell der Verdacht auf, hier habe jemand nach einer intellektuellen Fassade für seine Bübereien gesucht und sich an der Hochkunst bedient. Aber die hier so sorg- und mühsam hereingetragene Zeitkritik verblasst angesichts der Strahlkraft der Musik, die ehemals selber Träger der Ironie gewesen ist. Um die damals aktuelle Zeitkritik zu aktualisieren, hätte man sich also nur als Imitator von "Modern Talking"-Stücken oder als Programmierer persiflierender Rave-Beats betätigen müssen.

"Weil sich das Reimen so schön mit der Musik verbindet ...", hat Herr Willemsen sich zudem als Dichter versucht. Das ist streckenweise amüsant, etwa wenn er räsoniert: "aber hier ist nur verloren, wer Tomaten auf den Ohren" - überzeugend wirkt es dabei weder formal noch inhaltlich. Stutzen muss man, wenn sich frivole, teils derbe Anteile in den Text mengen. So hört man an einer Stelle Folgendes über das liebe Federvieh:

"Weil der Hahn das Huhn besteigt, hat das Huhn den Schluss vergeigt, denn er muss nur einmal flüstern, schon wird unser Hühnchen lüstern."

Was hier noch vergleichsweise liebenswert daherkommt, wirkt an anderer Stelle sprachlich dissonant. So klagt die Kuh:

"Wenn mich nicht bald der Stier besamt, dann piss' ich nur noch teilentrahmt!"

All diese tierischen und lustvoll sich gebärdenden Sprachkapriolen werden von Willemsen selbst vorgetragen, der mit diesem Programm auch eine Konzertreihe begleitete. Dabei kollidiert seine wohlbekannte, betont jungenhafte Stimme immer wieder mit dem expliziten Inhalt des Textes - manche mögen es für eine interessante ironische Reibung halten, gibt es Passagen, die bei aller Kritik zu unwillkürlichem Lachen reizen:

"Ich werde meine Stimme schonen unter diesen Konditionen; weiß mich niemand hier zu schätzen, soll er mich doch umbesetzen!"

Was offenbar nicht als Programm dieser Produktion gelten kann, drängt sich unweigerlich als Frage auf: von welchen Konditionen ist hier die Rede? Mehr noch: wie stellt man sie her?

Titelbild

Roger Willemsen: Der Karneval der Tiere. 1 CD.
Produktion Mitteldeutscher Rundfunk & LIDO.
Naxos Deutschland.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
58 min, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3821852712

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